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Pekingoper und Shakespearedrama

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Der deutsche Journalist Karl Heinz Janssen zieht in seinem neuen Buch interessante Parallelen zwischen der deutschen und der chinesischen Geschichte und zeigt Verbindungswege auf: vom Besuch des chinesischen Vizekönigs Li Hung-Tschang bei Bismarck bis zu den Reisen der bundesdeutschen Politiker Franz Josef Strauß und Helmut Schmidt nach Peking. Deutsche Offiziere waren als Militärberater Tschiang Kai-scheks einst entscheidend an den chinesischen Machtkämpfen beteiligt.

Die von ihm geschilderten Ereignisse sind voller Dramatik und das Buch liest sich spannend wie ein Roman. Es ist bestens geeignet, die Entwicklung Chinas und damit einen entscheidenden Faktor der Weltpolitik näher kennenzulernen.

Was an der Persönlichkeit Maos so fasziniert, ist seine ungeheure Willenskraft und sein Selbstbewußtsein, das ihn befähigte, in völliger persönlicher Bedürfnislosigkeit und Uneigennützigkeit einen schier aussichtslosen Kampf zu führen; seine eminente politische Begabung, seine Fähigkeit, aus eigenen Fehlern zu lernen und zuzuwarten, bis der Augenblick zum Handeln gekommen war. Lehrer von Beruf, wurde er zum Erzieher eines ganzen Volkes.

Mao selbst war ein Revolutionär, schon ehe er die Schriften von Marx und Lenin in die Hand bekam. Sein Anliegen und das seiner Freunde war im Grunde ein nationales: die Einigung Chinas und die Befreiung von den westlichen Kolonisatoren und östlichen Bed rohem. Mao führte China aus einer mittelalterlich erstarrten Kultur durch einen gewaltigen und gewaltsamen Sprung ins technische Zeitalter. Sehr früh hatte er erkannt, daß in China nicht das Industrieproletariat der Träger der revolutionären Bewegung sein konnte, sondern die bäuerliche Masse. Das machte ihn Moskau suspekt.

China ist für uns immer noch die große Unbekannte im Spiel der Mächtigen. Man ist sich im Westen viel zuwenig bewußt, welche Rolle dieses Riesenreich längst in der Weltgeschichte einnahm, lange bevor es durch die spektakuläre Reisediplomatie Kissingers und Nixons in den Blickpunkt der Fernsehkameras rückte.

Dieses Land ist ja von einer Großräumigkeit, die man sich immer wieder durch einen Blick auf die Weltkarte vor Augen führen muß. Und der Chinese besitzt eine Ausdauer im Ertragen von Unglück, Naturkatastrophen, Hunger und Elend, die dem europäischen Menschen kaum vorstellbar ist. „Die Geschichte der kommunistischen Partei Chinas hat etwas von der schillernden Buntheit einer Pekingoper und von dem düsteren Glanz eines Shakespeareschen Dramas” schreibt Karl-Heinz Janssen.

Nicht erst mit den Übergriffen der mitteleuropäischen Diktatoren begann der Zerfall der internationalen Rechtsordnung, sondern schon 1931 mit der Annexion der Mandschurei, des nordöstlichen China, durch Japan. Der Zweite Weltkrieg mit all seinen Schrecknissen begann eigentlich bereits 1937 in China und hat dort fast ebenso viele Menschenopfer gefordert wie in Europa. 1945 zählte das Reich der Mitte zwar zu den fünf Siegermächten, in Wirklichkeit wurden aber die Chinesen von ihren Verbündeten immer noch wie eine Nation dritten Ranges behandelt.

Der Aufstieg Maos vom Bauernsohn zum „Großen Vorsitzenden” ist identisch mit dem Aufstieg Chinas zur Großmacht, wie immer die internen Machtkämpfe um seine Nachfolge ausgehen und wie immer Maos Bild von den neuen Herrschenden gezeichnet oder vielleicht auch verzeichnet werden wird.

Chinas Entwicklung hat ihre eigenen Gesetze, die man nur aus der Kenntnis des Landes und seiner Bewohner - immerhin ein Viertel der gesamten Menschheit! - verstehen kann. So hat der chinesische Kommunismus von Anfang an seine eigenständige Entwicklung genommen und stand immer in einem gewissen Gegensatz zu Moskau, das zeitweise eher geneigt vyar, Tschiang Kai-schek als Mao zu unterstützen.

DAS ZEITALTER MAOS. Chinas Aufstieg zur Supermacht. Von Karl- Heinz Jansen. Eugen-Diederichs-Verlag Köln. 296 Seiten. 1 Frontispiz, öS 246,40.

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