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Pele ist kein Neger

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In Büchern, Propagandaschriften und Reiseprospekten wird Brasilien den Lesern und Touristen als Rassendemokratie angepriesen. Das südamerikanische Land verdient angeblich diese Bezeichnung, weil hier niemand wegen seiner dunklen Hautfarbe diskriminiert werde. Die Angehörigen der sogenannten weißen, der noch früher den Subkontinent bevölkernden indianisch-roten und der später von Afrika als Sklaven übers Meer geschifften schwarzen Rasse würden friedlich und in Eintracht beisammen leben, heißt es in manchen Texten über Brasilien. Und nicht selten wird Brasilien für die Lösung des Rassenproblems anderen Staaten als Vorbild hingestellt.

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In Büchern, Propagandaschriften und Reiseprospekten wird Brasilien den Lesern und Touristen als Rassendemokratie angepriesen. Das südamerikanische Land verdient angeblich diese Bezeichnung, weil hier niemand wegen seiner dunklen Hautfarbe diskriminiert werde. Die Angehörigen der sogenannten weißen, der noch früher den Subkontinent bevölkernden indianisch-roten und der später von Afrika als Sklaven übers Meer geschifften schwarzen Rasse würden friedlich und in Eintracht beisammen leben, heißt es in manchen Texten über Brasilien. Und nicht selten wird Brasilien für die Lösung des Rassenproblems anderen Staaten als Vorbild hingestellt.

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Das Schlagwort der brasilianischen Rassendemokratie wird auch ein Stück weit von der Wirklichkeit bestätigt. In Rio oder Säo Paulo gibt es nicht, wie in jeder zweiten nordamerikanischen Stadt, ein Viertel, wo nur Neger wohnen und ein Hellhäutiger, gar Blondhaariger gut daran tut, nach Einbruch der Dunkelheit sich nicht blicken zu lassen, um festzustellen, was sich „on the wrong side of the track“, auf der falschen Seite der Gemeinschaft, tut. Autobusse wie in Alabama oder Mississippi, wo die Neger nur hinten, nicht vorne neben den Weißen Platz nehmen dürfen, finden sich hierzulande nicht. In der Schlange vor einem Aufzug oder Taxistand wartet der Schwarze keine Sekunde länger als der Weiße. Das breite Volk achtet kaum darauf, wer mit wem Kinder zeugt.

Und da die Rassenmischung hierzulande einer jahrhundertealten Praxis entspricht — nur auf diese Weise konnten die wenig zahlreichen Portugiesen ihre große Kolonialmacht all die Jahrhunderte hindurch gegen die spanische, anglosächsische und französische Ubermacht behaupten —, kann man heute Familien mit hell- und dunkelhäutigen Angehörigen sehen, die von den gleichen Eltern abstammen. Schlägt das dunkle Element durch, so treten Schwarze auf, die Europäer ohne weiteres als Neger bezeichnen würden, wie den Fußballstar Pele, der in Brasilien jedoch zu den Mulatten gezählt wird. Menschen, die nicht „rabenschwarz“ sind, gelten in diesem Land als Mischlinge. Jeder Dunkle, dem es gelingt, sich mit einem Hellhäutigen zu vermischen, pflegt sozial aufzusteigen, während in einem hauptsächlich von Anglosachsen kolonisierten Land wie Südafrika oder den Vereinigten Staaten der Weiße wegen dieser Verbindung mit einem outsider als Paria, Außenseiter oder Verräter behandelt und von beiden Seiten abgeschrieben und verstoßen wird.

Bezeichnend das traurige Schicksal der „Angloindians“, jener englisch-indischen Mischlinge nach Abzug der britischen Kolonialherren im Jahre 1947. Auf einmal verloren sie ihren festen Platz in der indischen Gesellschaft und die Vorzugsstellung als Staatsbeamte, besonders Eisenbahner, die sie vorher jahrzehntelang im Empire besessen hatten.

Da in Brasilien Negerinnen oder auch Mulattinnen durch eine Ehe mit einem Weißen einen erheblichen sozialen Aufstieg erfahren, warnen Konsulate europäischer Länder ihre Staatsangehörigen vor einer solchen Verbindung, so schön und wohlgewachsen, vielleicht sogar gebildet die halb- und ganzschokoladefarbe-nen Frauen auch immer sein mögen. Regelmäßig klammern sich sämtliche brasilianischen Angehörigen an ihr neues hellhäutiges Familienmitglied in der Zuversicht, daß es als Teil der höheren und gewöhnlich auch reicheren Rasse nicht nur für die Gattin, sondern auch noch für ihren ganzen Anhang von Onkeln und Tanten und deren Kinder sorgen und einstehen werde. Von der jahrhundertealten feudalistischen Herrschaft her gewohnt, daß der Europäer auch mit Nichtstun viel verdienen kann, meinen die Abkömmlinge der Sklaven oft noch heutzutage, es sei mit dem Zustandekommen einer solchen .Verbindung die beste Lebensversicherung für den ganzen Clan abgeschlossen.

Daß in Brasilien Ehen zwischen verschiedenen Rassenangehörigen an der Tagesordnung sind, aber auf eine einseitige Belastung des weißen Partners und seiner Familie hinauslaufen, verdeutlicht Möglichkeiten und Grenzen der Rassendemokratie in Brasilien. Auf der einen Seite gibt es hier tatsächlich eine Rassenmischung sondergleichen und darf niemand wegen seiner Hautfarbe diskriminiert werden. Wer es dennoch tut, dem kann es schlecht ergehen. Wird einem Neger die Unterkunft in einem Hotel verweigert, ein Weißer nachträglich jedoch zugelassen, so muß der Betrieb von Gesetzes wegen geschlossen werden, was nicht nur graue Theorie, sondern harte Wirklichkeit sein soll, wie man in Rio versichert.

Dennoch ist die brasilianische „Rassendemokratie“ ein Schlagwort, weil das Problem, wer unter wessen Dach schlafen darf, sich praktisch nur einseitig stellt, nämlich für den Schwarzen, nicht aber für den Hellhäutigen, der allerorten übernachten kann und es auch tatsächlich tut. In vielen Fällen verzichtet jedoch der Neger auf die Ausübung seines Rechtes auf absolute Rassengleichheit. Obwohl er im „Copacabana Pa-lace“ ohne weiteres ein Zimmer belegen könnte, läßt er sich niemals in diesem modern-feudalen Hotel blik-ken, sowenig wie am Luxusstrand der Paulistaner (Leute von Säo Paulo) in Guarujä, wo die Dunkelhäutigen nur als Dienstpersonal, zum Aufstellen der Sonnenschirme oder als Lebensretter, nicht als lustwandelnde und sich erholende Gäste in Erscheinung treten.

Die brasilianische Rassentoleranz beruht also auf Voraussetzungen, die nur in diesem Lande gegeben sind und vergeblich anderswo gesucht werden. Bereits Graf Keyserling bemerkte, daß es in Portugal keinen einheitlichen Menschentyp gibt, vielmehr „Gestalten von skandinavischem und negroidem Aussehen seit eh und je zusammen leben“. Diese Zweiteilung geht möglicherweise auf prähistorische Zeiten zurück. Bereits vor der Römerzeit wurde besonders der westliche Teil der Iberischen Halbinsel von „Schwarzen“ überschwemmt, bemerkt Gilberto Freyre in dem immer noch besten Brasilienbuch („Herrenhaus und Sklavenhütte, ein Bild der brasilianischen Gesellschaft“, Kiepenheuer Witsch, Köln-Berlin 1965, S. 29). Je mehr die Portugiesen, noch vor der Gründung ihres Kolonialreiches, ein Mischvolk darstellten, desto leichter konnte es ihnen, im Gegensatz zu Anglosachsen und Franzosen, fallen, sich in der Neuen Welt mit anderen Rassen zu verbinden.

Und darum ist es problematisch, ja völlig verfehlt, reinrassigeren Völkern, die das fremde Element nicht in ihrem Blute tragen, die brasilianische Rassentoleranz als Patentlösung ihres Segregationspro-blems zu empfehlen.

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