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Pension: Ein Akt der Gleichbehandlung

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Zum Unterschied von Österreich erhalten in der BRD Mütter beziehungsweise Väter der Jahrgänge ab 1921 (in den neuen Bundesländern ab 1927) pro Kind ein Erziehungsjahr in der gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt, soweit keine gleichwertigen Versicherungszeiten vorliegen. Durch die Rentenreform 1992 erfolgte eine Aufstok-kung auf drei Jahre für nach dem 1. Jänner 1992 geborene Kinder.

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Zum Unterschied von Österreich erhalten in der BRD Mütter beziehungsweise Väter der Jahrgänge ab 1921 (in den neuen Bundesländern ab 1927) pro Kind ein Erziehungsjahr in der gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt, soweit keine gleichwertigen Versicherungszeiten vorliegen. Durch die Rentenreform 1992 erfolgte eine Aufstok-kung auf drei Jahre für nach dem 1. Jänner 1992 geborene Kinder.

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Die Erziehungszeit wird für die Rente mit 75 Prozent des Durchschnittseinkommens aller Versicherten bewertet. Diese Jahre wirken sich nicht nur pensionssteigernd, sondern unter Umständen auch pensionsbegründend aus. Denn: Ebenfalls im Unterschied zu Österreich sind in der BRD nur fünf Jahre Wartezeit für einen eigenen Pensionsanspruch notwendig. Dies bedeutet: Wenn Mütter oder Väter fünf oder mehr Kinder, bei Geburten ab 1992 zwei oder mehr Kinder erzogen haben, dann erlangen sie allein dadurch mit 65 Jahren einen Anspruch auf das Altersruhegeld.

Falls durch die Kindererziehungszeiten die fünfjährige Wartezeit nicht erfüllt wird, kann durch die Entrichtung von freiwilligen Beiträgen der Anspruch auf ein Altersruhegeld erlangt werden. So kann jemand, der während der Kindererziehungszeit weder versicherungspflichtig beschäftigt war, noch auf andere Weise Rentenansprüche erworben hat, derzeit pro Kind mit einer monatlichen Erhöhung seiner Rente um rund 31 DM (in den neuen Bundesländern rund 18 DM) rechnen.

Der Ausschluß der vor 1921 geborenen Mütter hatte aufgrund mehrerer Verfassungsbeschwerden zu ei-

nem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht der BRD geführt. Darüber hinaus war in den Verfassungsbeschwerden die generelle Gleichbehandlung der Kindererziehungszeiten und der Rentenbeiträge Erwerbstätiger gefordert worden. In den Leitsätzen zu seiner Anfang Juli ergangenen Entscheidung (siehe FURCHE 29/ 1992) hat das deutsche Höchstgericht

den Gesetzgeber verpflichtet, „den Mangel des Rentenversicherungssystems, der in den durch Kindererziehung bedingten Nachteilen bei der Altersversorgung liegt, in weiterem Umfang als bisher auszugleichen".

In seiner Entscheidung stellt das Bundesverfassungsgericht einleitend fest, daß „der Gesetzgeber im Interesse des Gemeinwohls neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange bei seiner Haushalts-

wirtschaft zu berücksichtigen und dabei vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten" habe. Dem Grundgesetz sei zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich zu entnehmen, es bestehe aber eine grundsätzliche Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Bei einer Differenzierung des Gesetzgebers zum Nachteil der Familie sei aber der besondere Schutz zu beachten, den der Staat nach dem Grundgesetz der Familie schulde.

Nach diesen Überlegungen merken die Richter an: „Das bestehende Alterssicherungssystem führt zu einer Benachteiligung von Personen, die sich innerhalb der Familie der Kindererziehung widmen, gegenüber kinderlosen Personen, die durchgängig einer Erwerbstätigkeit nachgehen können."

In der Entscheidung wird betont, daß die bisherige Ausgestaltung der Rentenversicherung im Ergebnis zu einer Benachteiligung der Familie führt, namentlich der Familie mit mehreren Kindern. Die Richter weisen daraufhin, daß durch den Verzicht auf eine außerhäusliche Erwerbstätigkeit die Familie „im Vergleich zu den Kinderlosen nicht nur Einkommenseinbußen hinnehmen, sondern vielmehr das gesunkene Einkommen auch auf mehrere Köpfe verteilen" muß. Die Benachteiligung von Familien, in denen ein Elternteil sich der Kindererziehung widmet, wird weder durch staatliche Leistungen noch auf andere Weise ausgeglichen.

Erinnert wird, daß die festgestellten Nachteile ihre Wurzel nicht nur im Rentenrecht haben und folglich

auch nicht nur dort behoben werden müssen. Wie der Gesetzgeber die Nachteile beseitigt, bleibt ihm überlassen. Soweit es aber Benachteiligungen im Rentenrecht betrifft, sind sie vornehmlich durch rentenrechtliche Regelungen auszugleichen, wird argumentiert. Die rentenbegründende und rentensteigernde Anerkennung von Kindererziehungszeiten werden im Erkenntnis als erster Schritt bezeichnet, zugleich aber angemerkt, daß „für die Begrenzung auf einen Wert von 75 vom Hundert des Durchschnittseinkommens ein sachlicher Grund nicht ohne weiteres ersichtlich" ist.

Offene Konsequenzen

Die konkreten Beschwerden waren nicht erfolgreich, weil die einer Stichtagsregelung anhaftende Härte notwendigerweise hingenommen werden muß und damit nicht verfassungswidrig ist. Dennoch schließt das 72 Ma-schinschreibseiten umfassende Erkenntnis versöhnlich: „Obwohl die Verfassungsbeschwerden zurückzuweisen waren, haben die Beschwerdeführerinnen erreicht, daß der Gesetzgeber dem Lebenssachverhalt Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung künftig in weitergehendem Maße Rechnung tragen muß. Es ist daher billig, die Erstattung der Hälfte ihrer notwendigen Auslagen anzuordnen."

Die Konsequenzen des Urteils sind noch offen. Diskutiert wird in der BRD eine höhere Beitragsleistung von Kinderlosen, wogegen aber eingewandt wird, daß sie unvermeidlich zu gleichheitswidrigen Lösungen führt. Weiters wird vorgeschlagen, die Bewertung der Kindererziehungszeiten auf 100 Prozent des Durchschnittseinkommens anzuheben. Ein anderer Vorschlag sieht die Staffelung der Erziehungsjahre nach Kinderzahl vor.

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