7040839-1990_16_03.jpg
Digital In Arbeit

Perestrojka auf Afrikanisch

19451960198020002020

Der Wind der Perestrojka in der UdSSR verwandelte sich in Osteuropa in einen Sturm und fegte die Kommunisten hinweg. Was passiert in Afri- ka mit dem Sozialismus so- wjetischen Musters ?

19451960198020002020

Der Wind der Perestrojka in der UdSSR verwandelte sich in Osteuropa in einen Sturm und fegte die Kommunisten hinweg. Was passiert in Afri- ka mit dem Sozialismus so- wjetischen Musters ?

Werbung
Werbung
Werbung

Als die Unabhängigkeit den afri- kanischen Staaten Anfang der sech- ziger Jahre einen neuen Morgen bescherte, erwarteten sich die afri- kanischen Politiker dieser Zeit von verschiedenen Varianten der sozialistischen Ideologie die Lösung ihrer Probleme. Schließlich ist der Grundbesitz in Afrika öffentliches Gut, und gemeinsame Feldbestel- lung gehört in vielen Gebieten zur Tradition. Also schien Sozialismus nach sowjetischem Muster von fer- ne gesehen fast als ein einheimi- sches Modell.

Die Sowjets scheuten sich nicht, diese Einstellung für ihre Propa- ganda zu benützen. In etlichen Staaten setzten sich schließlich Planwirtschaften nach sowjeti- schem Muster durch, mit kolchos- artigen Kooperativen und vor al- lem mit der Einheitspartei unter- geordneten Gewerkschaften.

Doch die Euphorie des Sozialis- mus nach sowjetischem Modell dauerte nicht lange. Ende der sech- ziger Jahre fegten Militärputsche die prosowjetischen Regime von Mali und Ghana von der Bühne. Anderswo waren es gerade wieder die jungen Offiziere, die am Ende dieser Dekade und Anfang der sieb- ziger Jahre marxistisch-leninisti- sche Regime in Benin, Kongo, Äthiopien und Madagaskar ausrie- fen.

Dazu kamen dann Mitte der sieb- ziger Jahre die ehemaligen portu- giesischen Kolonien, die alle für den Marxismus optierten. Anfangs der achtziger Jahre gesellten sich schließlich das Ghana des Obersten Jerry Rawlings und das Burkina Faso des Thomas Sankara dazu. In vielen dieser Staaten lief das alles nach vertrautem kommunistischen Schema ab, mit Säuberungskam- pagnen, Hinrichtungen, Putschen und wirtschaftlichem Desaster.

Heute, im Zeitalter von Perestroj- ka und Glasnost, versuchen die wirtschaftlichen und politischen Berater des Sowjetblocks den pro- sowjetischen Politikern begreiflich zu machen, daß es notwendig sei, die Ergebnisse des sowjetischen Entwicklungsmodells vor Gorbat- schow neu zu überdenken. Damit verlieren die afrikanischen Marxi- sten die letzten Illusionen.

Der kongolesische Präsident Denis Sassou Nguesso, dessen Par- tei die erste auf dem afrikanischen Kontinent war, die offiziell den Marxismus-Leninismus zur Staats- doktrin erklären ließ, forderte vor kurzem seine Genossen auf, „mit Intelligenz und Verständnis die Vorgänge in Osteuropa zu analy- sieren", welche „unseren eigenen Kampf in einem neuen Licht er- scheinen lassen, einen Kampf, der die in anderen Breiten gemachten Erfahrungen weder ignorieren soll noch darf". Das prosowjetische Afrika hat diese Botschaft verstan- den.

In mehreren dieser Länder hat die Strukturkrise der Landwirt- schaft den wirtschaftlichen Auf- schwung verhindert. Die Kollekti- vierung nach sowj etischem Muster, die den gegebenen sozialen und ökologischen Bedingungen nicht entsprach, sowie die Verstaatli- chung des Verteilungssystems sind die Hauptursachen der Misere.

In Mozambique sank die Produk- tion von Baumwolle und Cashew- nüssen um 90 Prozent, die Kakao- produktion in Ghana um 60 Pro- zent. Im einstigen Reisexportland Madagaskar kam Anfang der acht- ziger Jahre nur mehr halb so viel Reis auf den Markt als früher, Guinea muß pro Jahr 100.000 Ton- nen Reis importieren, während frü- her die Produktion zur Selbstver- sorgung reichte. Die Nachrichten von Perestrojka, die aus der So- wjetunion kommen, zerstören die letzten Überreste des Glaubens an die Fähigkeit von Planwirtschaft, forcierte Industrialisierung und Kollektivisierung, die Entwicklung dieser Länder schneller voranzu- treiben. Dementsprechend beden- kenlos wird heute überall die Neu- ordnung der Wirtschaft angegan- gen - Umgestaltung auf Afrika- nisch. Es geht um die Abwertung von Währungen, um Privatisierung von Banken, Staatsfirmen, Freiga- be von Preisen.

In Benin wurde der Liberalismus als zusätzliches Dogma in den „Marxismus-Beninismus" aufge- nommen. Die Volksrepublik lobt jetzt Privatinitiative trotz etlicher schmerzhafter sozialer Auswirkun- gen. Auch auf den kapverdischen Inseln ist Perestrojka zum Mode- wort geworden. Zwar ist der Mar- xismus dort nicht Staatsdoktrin, die Wirtschaft aber ist weitgehend verstaatlicht. Die Wirtschaftskrise bringt die Menschen in der zweit- größten Stadt des Landes, in Min- delo, häufig genug auf die Straße, um Wirtschaftsreformen zu fordern.

Auf Madagaskar hat die Revolu- tion des Jahres 1972 das liberale Wirtschaftssystem durch den wis- senschaftlichen Sozialismus des Präsidenten Didier Ratsiraka er- setzt.

Die Hilfe von Sowjets, Chinesen und Nord-Koreanern gestattete die Entwicklung von Bürokratie, Kor- ruption und politischer Polizei. Auf wirtschaftlichem Gebiet war das Fiasko total. So warf der Präsident das Ruder nach Westen herum. Ausländische Investoren wurden eingeladen, die ersten Ergebnisse der Neustrukturierung sind bereits sichtbar. Es gibt wieder importier- te Waren auf den Regalen, das Budget- und das Außenhandelsde- fizit wurden verringert, die Schwarzmärkte beginnen zu ver- schwinden. Darüber hinaus wur- den verfügbare Mittel auf die Stär- kung der Landwirtschaft konzen- triert.

Selbst das dogmatischeste aller afrikanischen marxistischen Regi- me, das Äthiopien Mengistus, hat seine Perestrojka gestartet und ausländische - westliche - Investo- ren eingeladen. Mit Gesellschaften des Ostblocks gab es schon seit Jahren Joint ventures.

Während die wirtschaftliche Umstrukturierung in den afrikani- schen Ländern mit sozialistischer Ausrichtung voll im Gange ist, hinkt Glasnost, die Transparenz - als politische Öffnung verstanden - etwas lahm hinten nach.

Im Volkskongo, wo seit 27 Jahren eine linke Revolutionspartei herrscht, hat die „Kongolesische Arbeiterpartei" Parlamentssitze nun auch jenen zugestanden, die keine „Genossen" sind. Vertretern von Handels- und Gewerbekäm- mern ebenso wie Vertretern der Kirchen. Präsident Sassou Ngues- so hat die Abgeordneten eingela- den, „eine wahrhaftige Transpa- renz in die Debatten zu bringen". Auf Madagaskar, wo die herrschen- de AREMA-Partei nicht stark ge- nug ist, um allein zu regieren, hat Präsident Ratsiraka diejenigen unter den anderen Parteien zur Mitarbeit eingeladen, die „den Frie- den und den Fortschritt wollen". In Benin wurde die Rückkehr zum wirtschaftlichen Liberalismus un- ter dem Druck der Bevölkerung im Dezember des letzten Jahres auch gleich zur offiziellen Abkehr vom Marxismus. Überall sind Propagan- daplakate und revolutionäre Slo- gans verschwunden.

Die größte Überraschung kommt aber aus Mozambique. Die ur- sprünglich wohl doktrinärste Par- tei Afrikas hat völlig ihre Sprache geändert. Die FRELIMO hat im Juli 1989 jede Referenz zum Marxismus aus ihrem Programm eliminiert und erklärt, sich in keiner „weltweiten antiimperialistischen Front" mehr zu engagieren. Bei den nächsten Wahlen können auch Nichtmitglie- der der FRELIMO kandidieren. In Mozambique ebenso wie in Angola und in Äthiopien wurden Gesprä- che mit den jeweiligen „Contras" aufgenommen, um politische Lö- sungen zu den Bürgerkriegen zu finden, die diese Länder verheeren.

Guinea war rund dreißig Jahre lang ein Staat mit Einheitspartei und Nahbeziehung zur Sowjetuni- on. Der neue Staatspräsident Lan- sana Kont£ konzentriert sich zur Zeit darauf, sein Regime in eine afrikanische Rarität zu verwan- deln, in eine pluralistische Demo- kratie. Während in den osteuropäi- schen Staaten das Primat der Kom- munistischen Partei in Frage ge- stellt wurde, bleiben die marxisti- schen Parteien Afrikas vorerst Ein- heitsparteien. Statt „Avantgarde des Bündnisses von Arbeitern und Bau- ern" sehen sie sich jetzt einfach als „Avantgarde des gesamten Volkes".

Aber die FRELI- MO hat Probleme mit dem Mehrpar- teiensystem. Das Thema taucht immer wieder in den Reden von Prä- sident Chissano auf, das Prinzip wird von ihm aber stets abgelehnt. Auch Angola, Gha- na, Guinea Bissau und Äthiopien wei- gern sich, mehrere Parteien zuzulas- sen. Dagegen sind die Kapverdischen Inseln, San Thonie und Principe, Benin und Madagaskar nicht mehr bedin- gungslos gegen das Mehrparteiensy- stem.

Die Einheitspar- tei ist in Afrika aber keineswegs Spezia- lität der Staaten mit sozialistischer Option. Mit Aus- nahme von Nigeria, Senegal, Mauritius und Botswana haben alle afrikani- schen Staaten mit liberalem Wirt- schaftssystem Einheitsparteien. Diese Erscheinung hat soziologi- sche Gründe. Leidvolle Erfahrung hat gezeigt, daß die Existenz meh- rerer Parteien in kurzer Zeit die Stammesgegensätze anheizt.

In diesem Zusammenhang kann gesagt werden, daß angesichts der Stammesproblematik Afrikas, bei der häufig die Solidarität mit dem Stamm über der Solidarität mit dem Land steht, das Beispiel Sowjet- union in Afrika beeindruckte. Die sowjetische Propaganda betonte immer wieder, daß das Nationali- tätenproblem in der UdSSR gelöst sei. Alle sowjetischen Völker, hieß es, identifizierten sich trotz aller ethnischen und religiösen Unter- schiede mit der KPdSU. Für einen afrikanischen Beobachter sind deswegen die Vorgänge heute im Kaukasus oder im Baltikum ganz besonders interessant.

In der Bevölkerung der afrikani- schen Länder mit sozialistischer Option wird häufig Sozialismus gleichgesetzt mit Wirtschaftskrise, Bürgerkrieg und Unterdrückung. Die Führungen dieser Länder sind heute von den Ereignissen im Ost- block und von ihrer ungeduldig werdenden Bevölkerung gezwun- gen, ihre Versionen von Glasnost und Perestrojka durchzuziehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung