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Pfarrpatenschaften für Vietnamflüchtlinge

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Im Rahmen der Aktion Pfarr-Patenschaft der Caritas sind kürzlich wieder rund 100 vietnamesische Flüchtlinge nach Österreich gekommen. Weitere werden folgen. Dies beweist, daß auch die Initiative von wenigen Menschen entscheidende Erfolge bringen kann.

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Im Rahmen der Aktion Pfarr-Patenschaft der Caritas sind kürzlich wieder rund 100 vietnamesische Flüchtlinge nach Österreich gekommen. Weitere werden folgen. Dies beweist, daß auch die Initiative von wenigen Menschen entscheidende Erfolge bringen kann.

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Ende 1978 war im österreichischen Fernsehen ein Beitrag über das Elend, von Vietnamflüchtlingen gezeigt worden. Betroffen von dem tragischen Schicksal dieser Menschen, beschloß die Pfarrgemeinde Hard in Vorarlberg, selbst etwas für die Flüchtlinge zu tun. Sie wandte sich an Landesregierung und Caritas, um Möglichkeiten konkreter Hilfe zu erkunden. Damit begann für die Flüchtlingshilfe in Österreich eine neue Ära.

Erstmals ging die Initiative von der Basis aus. Die Flüchtlinge, die bisher in Österreich aufgenommen worden waren (Chilenen, Kurden, usw.) waren auf Initiative der Regierung ins Land gekommen. Für ihre Aufnahme und Eingliederung sorgten die öffentlichen Stellen.

Nunmehr hat sich die Situation geändert: Ein Großteil der Verantwortung wird von jenen Pfarren getragen, die Patenschaften für Flüchtlingsfamilien übernehmen. Dieses Modell wurde in den USA entwickelt, von der österreichischen Caritas übernommen und es sieht Folgendes vor:

Die Pfarren'verpflichten sich, eine geeignete Wohnung, einen Arbeitsplatz für Familienerhalter und die arbeitsfähigen Angehörigen zu besorgen. Sie haben weiters den finanziellen Unterhalt der Familie in den ersten Aufenthaltsmonaten sicherzustellen, müssen den Flüchtlingen bei ihren ersten Gehversuchen im Inland (Behördenwege, Einkäufe, usw.) unter die Arme greifen und auch weiterhin dafür sorgen, daß sich die Neuankömmlinge bei uns einleben.

Zu viel verlangt, ist man versucht zu denken, wenn man sich die Liste der Verpflichtungn und die Dauer des zu erwartenden Engagements vor Augen hält. Umso angenehmer war ich überrascht, als ich die neuesten Zahlen über die Patenschaftsaktion erfuhr: Bis Ende Februar 1980 haben sich 125 Pfarren bereiterklärt, Flüchtlinge bei sich aufzunehmen. Das bedeutet, daß derzeit in Österreich für 940 Vietnamflüchtlinge schon konkret vorgesorgt ist. 166 Wohnungen und 257 Arbeitsplätze sind bereitgestellt

Gingen die Hauptanstrengungen der Caritas-Aktion zunächst auf die Mobilisierung der Bereitschaft im Inland, so wendet sich das Augenmerk des Hauptverantwortlichen Felix Bertram gegenwärtig auf zwei andere Bereiche: Im Inland gilt es, die Patenfamilien auf ihre Aufgaben vorzubereiten und in Südostasien die Flüchtlingsfamilien auszuwählen und Richtung Österreich in Marsch zu setzen.

Die Inlandsvorbereitungen zielen darauf ab, djen Verantwortlichen in den Pfarren zu vermitteln, wie man Südostasiaten wirksam die deutsche Sprache beibringt. Worauf bei diesen Versuchen besonders zu achten ist.

Wer weiß schließlich, daß Vietnamesen zwischen den Lauten L und N kaum unterscheiden können?

Weiters müssen die Gastgeber auf die kulturellen Besonderheiten der Vietnamesen aufmerksam gemacht werden: Auf den besonderen Stellenwert der Familien, auf die besonderen Höflichkeitsregeln, auf den Vorrang des Alters aber auch auf ihre besonderen Eßgewohnheiten.

Die Hauptanstrengungen von Herrn Bertram richten sich aber derzeit auf die Organisation der Auswahl von Flüchtlingsfamüien. Im Gegensatz zu unseren Vorstellungen, daß da ein Anruf nach Bangkok oder Kuala Lumpur genügen müßte, um eine entsprechende Zahl von Flüchtlingen abzuberufen, hat die Caritas die Erfahrung gemacht, daß diese Aufgabe recht-schwierig undihaMm aus der Entfernung zu bewältigen ist.

Eine besonders gute Lösung für dieses Problem haben die Länder entwickelt, die große Kontingente von Flüchtlingen aufnehmen können. Die USA, Kanada und Frankreich haben nämlich eigene ständige Auswahlkommissionen in Malaysia, Thailand, Hongkong und Indonesien eingerichtet. Dadurch konnten etwa die USA allem im Jahre 1979 110.000 indochinesische Flüchtlinge aufnehmen.

Die meisten Flüchtlinge wollen auch in eines dieser Länder. Besonders stark ausgeprägt ist der Wunsch, in die USA auszuwandern. Dies illustriert die Erzählung einer Vietnamesin, von der Herr Bertram berichtet: Während mehr als einer Woche war diese arme Frau unter den furchtbarsten Bedingungen in einem gänzlich überladenen Boot unterwegs. Niemand durfte während der ganzen Fahrt auch nur aufstehen, sonst wäre es gekentert. Man kann sich kaum vorstellen, unter welchen Bedingungen diese Menschen diese Tage verbracht haben. Danach befragt, woher sie die Kraft genommen habe, diese Tortur auszuhalten, antwortete die Frau, sie habe stets ein Bild vor Augen gehabt: Ein Coca-Cola-Plakat mit einem strahlenden lebenslustigen Amerikaner. Um dieses Land der Freiheit zu erreichen, hatte sie alle ihre Kräfte angespannt. Aber kaum jemand kennt Österreich. Niemand meldet sich daher von selbst, um bei uns aufgenommen zu werden. Daher gilt es, das österreichische Angebot direkt an die Flüchtlinge heranzutragen. Dies wird jetzt dadurch erleichtert, daß die österreichischen Behörden für jeweils eine Gruppe von 100 Flüchtlingen eine Blankovollmacht zur Ausstellung von Einreisevisa erteilen.

Damit können die österreichischen) Vertreter in Südostasien geeignete Asylwerber direkt aufnehmen. Dies'

erleichtert die Arbeit der UN-Flüchtlingsorganisation, die die Auswahl für Österreich an Ort und Stelle durchführt, erheblich. Nunmehr bedarf es keiner aufwendigen Rückfragen mehr.

Wenn alles planmäßig verläuft, erwartet die Caritas, daß in den kommenden Monaten jeweils ein Kontingent von 100 Flüchtlingen nach Österreich gelangen wird. Das entspricht ungefähr der Aufnahmekapazität von Thalham, dem österreichischen Durchgangslager. Diese Zwischenstation muß durchlaufen werden, um den Gesundheitszustand der Einwanderer zu überprüfen und die Einwanderungsformalitäten zu erledigen. Die dabei auflaufenden Ko-,sten trägt übrigens der Bund, während die Reisekosten aus internationalen Mitteln bestritten werden.

Die ersten Gruppen von jeweils 100 Vietnamesen kommen aus Lagern in Hongkong. Diese Flüchtlinge wurden von Herrn Bertram selbst anläßlich seines jüngsten Aufenthaltes in Südostasien ausgewählt. Ab 30. April hofft die Caritas auf die Einreise von Flüchtlingen aus Malaysia. In den dortigen Lagern sind die Bedingungen weitaus schlechter und Hilfe ist daher noch dringender. Schwieriger sind allerdings dort die Möglichkeiten der Auswahl.

Bis Jahresende wäre es somit möglich, die derzeit vorhandenen Aufnahmemöglichkeiten voll auszunützen.

Der Umstand, daß diese Hilfsaktion nicht verordnet, sondern von unten gewachsen ist, gibt Anlaß zur Hoffnung. Mut, einen eigenen Beitrag zu leisten, auch wenn die Not übergroß erscheint, löst mehr Probleme als noch so tief empfundenes Entsetzen, wenn es nur zur Resignation führt.

Weitere Pfarrgemeinden werden die Herausforderung annehmen und die Erfahrung machen, wie sehr eine sinnvolle gemeinsame Aufgabe die eigene Gemeinschaft vertieft. Vielleicht wäre dies eine Herausforderung für manchen von uns.

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