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Pfingsten - das Fest der Berührung

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Der geist ist Leben und schafft aus dem Chaos Geordnetes, Wunderbares und Neues.

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Der geist ist Leben und schafft aus dem Chaos Geordnetes, Wunderbares und Neues.

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Vor zehn Jahren hat P. K. Kurz in der „Presse" vom 29/30. 5. 1982 geschrieben: „Am Pfingstsonntag hören oder beten wir die schöne Sequenz aus dem 13. Jahrhundert (sie wird Innozenz III. zugeschrieben). Da ist von lauter Tätigkeiten der Berührung die Rede. Der Heilige Geist wird angerufen, daß er leuchte, wasche, heile, tröste, tränke, beuge, wärme, selig mache. Lauter berührende, belebende, kommunizierende Tätigkeiten. Wenn wir mit dem Pfingstgeschehen so schwer in Kontakt kommen, mag es auch daran liegen, daß die Christen (zumindest in den letzten Jahrhunderten) keine Kultur der Sinne, der Berührungen, der Zärtlichkeit entwickelt haben. Der Geist Gottes sollte möglichst in dogmatischer Vernunft oder als römisches Gesetz daherkommen. Aber der Geist ist Leben. Die Erfahrung der Männer und Frauen in Jerusalem muß offenbar mystisch verstanden werden: Geistesgegenwart durch die Sinne hindurch; die Sinne als Gefäß des Geistes. Alle mystische Erfahrung im engeren Sinn ist kommunizierende Berührung, Erfahrung von Gegenwart, Dasein, Ganzheit. Gott berührt den Menschen...".

Diese Aussagen haben mich ermutigt, von einigen Dingen zu erzählen, die mich in der letzten Zeit persönlich berührt haben und die für mich in einem großen Zusammenhang mit „Pfingsten heute" stehen.

Ich beginne mit dem jungen engagierten Hotelmanager, überzeugter Christ, der neben seiner vielfältigen Tätigkeit mit großer Hingabe eine Firmgruppe zwei Jahre begleitet hat. Im Gespräch mit mir formulierte er seine Erwartungen folgendermaßen: Die jungen Menschen brauchen klare Aussagen von kirchlichen Amtsträgern zu aktuellen Problemen der heutigen Zeit (Gerechtigkeit und Friede, Hochachtung vor dem Gewissen und der Gewissensentscheidung des einzelnen bis hin zu einer Verurteilung des Krieges). Es kann leicht nachgewiesen werden, daß zu all diesen Problemen - und zu noch viel mehr! -viel gerade auch von Amtsträgern gesagt worden ist. Es kann sein, daß die eine oder andere Forderung abgelehnt wird, aber in den allermeisten Fällen handelt es sich um etwas, das nicht nur bejaht werden muß, sondern auch kirchenamtlich neu ist - etwa die Lehre von Johannes Paul II. über das Gewissen, das als der bevorzugte Ort des Dialoges zwischen dem einzelnen und Gott bezeichnet wird. Keine menschliche Institution hat daher das Recht, sich einzumischen.

Mitten ins Herz

Warum wird dann so wenig verstanden oder vor allem das herausgegriffen, was kontroversiell oder sogar abzulehnen und zu bekämpfen ist? Beim ersten Pfingstfest geriet die Menge in Staunen und fragte: „Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören?" (Apg 2,8). Offenbar ist damals etwas geschehen, das uns vielfach verlorengegangen ist. Gottes Geist hat die Menschen befähigt, wirklich auf den anderen hinzuhören, ihn in seinem Meinen spontan zu erfassen oder seinen Standpunkt zu überdenken, verbunden mit der Bereitschaft, auch den eigenen Starrsinn aufzugeben: „Als sie das hörten, traf es sie mitten ins Herz, und sie sagten zu Petrus: Was sollen wir tun, Brüder?" (Apg 2,37).

Wenn das für die heutige Zeit so notwendige Sprachen wunder geschehen soll, dann wird es ein neues Hören und Sprechen geben müssen. Wer predigt und lehrt, muß sich um eine Sprache bemühen, die angeht. Eine solche wird nur möglich, wenn man vor allem auf Sorgen und Nöte des anderen hinhorcht; der andere muß mit all seinen Problemen zuerst in mir leben, dann wird mein Mund die richtigen Worte sprechen oder werden meine Finger beim Schreiben den richtigen Ausdruck finden. Um wirklich ins Herz zu treffen, ist unsere kirchliche Sprache oft zu fachmännisch, abgesichert, archiviert und lebensfern geworden. Wer zum Schreiben und Predigen berufen ist, sollte sich gut überlegen, was und wie er etwas sagt.

Der Religionsphilosoph Bernhard Welte hat behauptet, daß die Wortinflation unserer Zeit in Wirklichkeit ein Ausweis ihrer Sprachlosigkeit ist. Auf die Verkündigung in der Kirche übertragen bedeutet dies, daß ein ständiges und mitunter nicht überlegtes Reden von Gott, Christus, vom Heiligen Geist, von der Kirche und Maria nicht von vornherein ein Ausweis geistgewirkten Redens ist. Nur dann, wenn es mitten ins Herz trifft, ist Gottes Geist am Werk. Im Normalfall geschieht dies nicht direkt und vor allem nicht durch viele, sondern durch mächtige und aus dem Geist geborene Worte. Gottes Geist ist dann abwesend, wenn wir nicht mehr aufeinander hören können - auch ein Zeichen eines verhärteten Herzens. Das gilt nicht nur für Politiker und bestimmte Interessensgruppen, sondern für viele Bereiche der Kirche. Es gibt jede Menge von Vorurteilen, die im Inneren dermaßen zementiert werden, daß jener Geist, der „weich machen" soll, chancenlos bleiben muß.

Warum können wir nicht mehr so hören, wie ein Jakobus dies gegenüber dem Paulus getan hat? Brauchen wir - wie Petrus - tatsächlich eine Offenbarung, die uns in Bild und Wort ermahnt, wir sollen doch das nicht für unrein erklären, was Gott für rein erklärt hat?! Ich würde mir als pfingst-liches Wunder erwarten: Bischöfe, die unterschiedliche Meinungen vertreten, werden durch den Heiligen Geist innerlich befähigt, so aufeinander zu hören, daß jeder von beiden begreift, warum dem einen die Verwirklichung der Kirche auf diese Weise, dem anderen auf eine andere Weise ein so großes Anliegen ist. Und ich würde mir weiters wünschen, daß ihnen die Kraft der Umwandlung und der Bekehrung in demselben Geist geschenkt wird. Wie ein Traum würde es sein, wenn in diesem Geist Theologen der Befreiung und Mitglieder des Opus Dei zusammenkommen, sich dem Geist Gottes stellen und unter seinem Einfluß die unterschiedlichen Auffassungen beleuchten und in einer neuen Sprache zu reden beginnen. Es wäre ein Zeichen für die Welt, das Ungeheures bewirken könnte! Die vielen Verhärtungen weisen auf die Abwesenheit des Geistes in manchen Bereichen der Kirche hin. Ich vertraue aber jener Kraft, die alles umwandeln kann.

In seiner Predigt am Pfingsttag deutet Petrus das Geschehen dieses Tages im Lichte des Propheten Joel: „Ich werde von meinem Geist ausgießen über alles Fleisch. Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein, eure jungen Männer werden Visionen und eure Alten Träume haben" (Apg 2,17). Gottes Geist wird nicht in erster Linie wirksam durch wissenschaftliche Aussagen (die hoffentlich ebenfalls aus seiner Erleuchtung kommen), sondern durch das Zeugnis vom Geist erfaßter Menschen. Daher sind weder Amtsträger und solche, die Theologie studiert haben, von vornherein und ausschließlich diejenigen, an denen und durch die Geistesvermittlung geschieht, sondern jene, die der Heilige Geist berührt. Mit Recht dürfen wir dies von Amtsträgern und jenen, die Theologie studiert haben, erwarten. In das Geschehen sind aber alle hineingezogen - Männer und Frauen," Alte und Junge - alles Fleisch! Ist es aber nicht so, daß in der Kirche gewisse Einseitigkeiten gegeben sind, die zu dieser Vision und somit dem pfingstlichen Geist in der Kirche im Widerspruch stehen, ihr schaden und sie letztlich auch geist-los machen?

Bei der Frühmesse am Muttertag des heurigen Jahres in Wiener Neustadt habe ich, wie in den diesbezüglichen Richtlinien auch vorgesehen, eine Frau (Theologin, verheiratet und Mutter von drei Kindern) nach dem Evangelium um ihr Zeugnis gebeten. Da ich wußte, wen ich um dieses Zeugnis ersucht habe, erwartete ich mir gute und gescheite Aussagen, ja sogar ein wenig feministische Theologie. Sie sprach aber vor allem über das Thema „Jesus und die Frauen". Diese Frau erwies sich nicht nur als ausgezeichnete Kennerin der Schrift, sondern legte in einer herzerfrischenden Art dar, welche Kraft von Jesus auf die Frauen und umgekehrt ausgegangen ist. Nach der Messe mußte ich ihr gegenüber bekennen: „Ich habe mir erwartet, daß Du Richtiges in einer guten Form bringen wirst. Ich muß aber gestehen, daß ich von innen her bewegt worden bin!"

Seit meinem 14. Lebensjahr lese ich täglich in der Heiligen Schrift und versuche vor allem zu begreifen, wie Jesus wirklich war, um auch zu erkennen, was er durch mich heute verwirklichen will. Oftmals habe ich Exerzitien gemacht und an geistlichen Vorgängen teilgenommen oder sie geleitet. Trotzdem komme ich mir immer wieder wie am Anfang vor. Eine solche Erkenntnis ist die Voraussetzung dafür, daß man offen wird für den anderen und das andere. Was entgeht uns an Früchten des Geistes, wenn wir die Verkündigung nur Männern zuschreiben, das Sagen den Hierarchen und die Richtschnur für das Wahre und Rechte an die Vergangenheit anlegen!

Mein Kollege Bernhard Kaut (Nationaldirektor der päpstlichen Missionswerke in Aachen) war im Missionseinsatz in Afrika. Er hat mir erzählt, daß er oft nach der Verkündigung des Evangeliums einen seiner Christen (Mann oder Frau) gebeten hat, davon zu erzählen, welche Bilder die Schriftstelle in ihnen wachgerufen hat. Es sei unwahrscheinlich gewesen, so sagte er, mit welcher Treffsicherheit diese Menschen den Sinn der Schrift erfaßt haben. Das waren keine geschulte Theologen, manchmal konnten sie weder lesen noch schreiben. Wenn es in unseren Gemeinden, in den Lokalkirchen und der gesamten Kirche einmal so weit ist, daß Gehorsam nicht nur verstanden wird als ein Horchen auf das, was Vorgesetzte sagen - das wohl auch! -sondern ebenso als Hinhorchen, was Gott mir durch den anderen sagen will, dann ist nicht nur ein neues Pfingsten in der Kirche angebrochen, sondern eine Bereicherung gegeben, über deren Wirkung wir uns jetzt noch keine Vorstellungen machen können.

Die Daten, die wir jedes Jahr über unseren Planeten bekommen, geben in einem immer stärkeren Ausmaß Anlaß zur Sorge. Beim Studium des Berichtes 1992 für das Überleben unseres Planeten ist in mir das Bild vom Abgrund aufgetaucht, auf den wir mit riesigen Schritten zugehen, um danach in die Tiefe zu stürzen. Im Schöpfungsbericht lesen wir: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut, und Gottes Geist schwebte über dem Wasser" (Gen 1,1.2). Chaos und Geist werden in der Offenbarung von Anfang an in Verbindung gebracht. Der Geist schafft aus dem Durcheinander Geordnetes, Wunderbares und Neues. Er ist größer als alles Bedrohende. Es scheint sogar so zu sein, daß immer dann, wenn die Gefahr übergroß wird, er sich umso mächtiger erweist. Die Offenbarung des Johannes drückt dies noch viel eindeutiger aus: Durch alle Wirren hindurch - Naturkatastrophen, Verfolgungen, Genozide, ökologischen Holokaust - erweist sich Gott als der immer Stärkere, der aus dem Unheil Heil, einen neuen Anfang zu schaffen vermag.

Eine Ahnung und somit eine Stärkung meines Glaubens habe ich im Frühjahr des heurigen Jahres bekommen. Ich bin mit dem Rad von Eggenburg über Guntersdorf durch das Weinviertel nach Wien gefahren. Es war die Zeit der Baumblüte; ein schwacher Rückenwind von Nordwesten machte das Radfahren beinahe mühelos, sodaß ich die gelben Rapsfelder, die Bäume in der Pracht ihrer Blüten intensiv in mich einsaugen konnte. Ich brachte es nicht zuwege, irgendwo einzukehren, weil mich die Pracht der Bäume und der Felder derartig in Beschlag nahm, daß ich am liebsten niedergekniet wäre, um Gott für dieses Geschenk zu danken. Darf es wundern, daß in solchen Augenblick der Glaube an den Geist, der aus dem Chaos das Geordnete und Wunderbare, das ständig Neue zu schaffen imstande ist, gekräftigt wird? Augustinus hat bereits gemeint, daß das Entstehen einer Kornähre ein ebenso großes Wunder ist wie die in der Bibel berichtete Brotvermehrung.

Krise und Chance

In diesen Stunden wird in mir die Überzeugung ganz stark, daß dieser Geist, der sich vor unseren Augen als so mächtig erweist, auch in Zukunft seine Schöpfung nicht im Stiche lassen wird. Er wird in vielen Menschen den Eros erwecken, an der Bewahrung und Verschönerung mitzuwirken. Er wird Techniker beeinflussen, das Ihre beizutragen, daß immer weniger Umweltschäden entstehen; Politiker wird er mit der Gabe des Mutes ausstatten, daß sie unpopuläre aber notwendige Entscheidungen treffen und durchstehen, weil sie sich darauf verlassen können, daß der sensible Teil der Bevölkerung dafür Verständnis hat. Propheten und Asketen neuer und eigener Art werden aufstehen, die nicht nur zu einem neuen, anderen und erfüllenderen Lebensstil aufrufen, sondern diesen auch glaubwürdig vorleben.

Das Gefühl der Ohnmacht des einzelnen wird verschwinden, weil viele erkennen, daß es auf sie ankommt, auf jeden einzelnen, auf jede noch so unscheinbare Tat. Was die Technik an Neuem hervorgebracht hat, ist oft zu bewundern und auch faszinierend. Gottes Geist wird aber zum eigentlichen Wunder, zu dem der Schöpfung, der Natur, der Pflanzen- und Tierwelt zurilckführen und vielen jenen Geist 'schenken, von dem ein Franz von Assisi beseelt war. Wenn diese Änderung eintritt, dann ist tatsächlich das geschehen, was notwendig ist, um die Not der Menschen zu wenden.

Pfingsten 1992 ist Krise und Chance, daß alles entweder in den Untergang oder zum Aufgang führt. Größer kann die Spannung in Kirche und Welt wohl kaum sein als 1992. Im Vertrauen auf den Heiligen Geist entsteht in mir eine Ahnung, die von Jahr zu Jahr sich immer stärker abzeichnet. Sie ist keine Vertröstung auf eine Ewigkeit, auf eine zeitlose Zeit, auch nicht auf einen raumlosen Raum. Sie ist schon mitten unter uns zu sehen, zu hören, zu begreifen - wie auch nach Jesu Wort das Reich Gottes schon mitten unter uns ist. Sie ist angebrochen. Sie entspringt dem Glauben an die Lebens- und Liebeskraft des Heiligen Geistes. Dieser Geist - um den Anfang zu wiederholen - heilt, wärmt, belebt, erneuert und schafft Beziehungen. Er treibt uns dazu, das Leben zu umarmen. Er lehrt uns das Denken mit dem Herzen: „Komm, Heiliger Geist, und erfülle die Herzen deiner Gläubigen mit dem Feuer deiner Liebe!"

Der Autor ist Weihbischof in Wien und Nationaldirektor der Päpstlichen Missionswerke.

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