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Pfingsten-ein Stadtfest

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Pfingsten in Amsterdam, in der Do- minikuskirche zum Beispiel: einer Kirche, die man sehr geschickt, ohne Substanzverlust, für moderne Liturgie adaptiert hat. Viele sind gekommen, vorwiegend Studenten, Akademiker, Künstler, auch so mancher „Randchrist“ (gibt es außer Heiligen andere?).

Und sie singen, unterstützt von einem Studentenchor, begleitet von der Orgel, vom Klavier, manchmal mit Trommeln, ihre Lieder. Das Liedgut der niederländischen katholischen Kirche ist zum Großteil erst in den letzten 20 Jahren entstanden. Bis dahin wurde wenig gesungen, und wenn, fast nur lateinisch. Jetzt singt die Gemeinde, heute zu Pfingsten singt sie das Lied von der Stadt:

„Hier ist die Stadt gebaut, schließt uns schon ringsum ein, Häuser und Bäume und Menschen aus Licht und Stein.

Wo ist die Stadt ohne Tod, ohne Finsternis - Stadt, in der Sonne nicht einmal mehr nötig ist?“

In der Predigt hört man Sätze wie: „Weihnachten ist auf dem Lande, Ostern in einem Garten, aber Pfingsten ist in der Stadt... in einer Stadt, die aufwacht ... Nicht die Nacht von Weihnachten, das Morgengrauen von Ostern, sondern 9 Uhr am Vormittag. Die Stunde, wo alles anfängt, die Büros, die Geschäfte, die Schulen.“

Pfingsten in der Stadt, Pfingsten für die Stadt?

Das sind wohl unzeitgemäße und vergebliche Träume, denkt man. Vergeblich, gerade in diesem Stadtteil von Amsterdam, in dieser merkwürdigen Mischung von luxuriösem Sonesta-Ho- tel, dem gegenüber das „Poezenboot“ (Katzenschiff), wo Hunderte von Katzen untergebracht sind, in der Nähe einige „gekraakte“ (besetzte) Häuser und die ganze Dekadenz und alle Auswüchse einer Großstadt mit sehr vielen arbeitslosen gelangweilten Jugendlichen.

Vergeblich: .Hier wird es wohl kein Pfingsten mehr geben. Die Stadt geht dem Untergang entgegen, ist dem Tod anheimgegeben. Nicht nur Venedig stirbt. Das wird es wohl nicht mehr geben: ein Aufwachen in den Morgen, das Wehen des Geistes, Menschen vom Geiste Gottes erfüllt, Menschen, die einander wieder verstehen - es versteht der Junge den Altgewordenen wieder, der Nachbar geht auf den Nachbarn zu.

Babel vorbei, vorbei die Sprache der Entzweiung und des Hasses, wiedergefunden die Sprache der Güte und des Erbarmens, Babel vorbei: Das neue Amsterdam, das neue Wien, das neue Jerusalem. Vergeblich solche Träume für unsere Städte, für Wien, für New York, für Sao Paolo? Das neue Jerusalem, aus dem wird wohl nichts werden?

Und unzeitgemäß, solche Träume! Für Menschen, die nicht ganz resignieren, junge Menschen, die noch eine Vision haben, für sie ist die Stadt eher zum Feindbild geworden. Für sie sind die Quellen des Lebens eher auf dem Lande, weg von den Menschen, in der Zurückgezogenheit, in der Natur. Das Leben, wenn es das in der Zukunft noch gibt, wäre alternativ und grün.

Die Stadt ist nicht grün, oft ist sie grau und finster, aber es gibt Augenblicke, da lächelt sie. Und er, der da ohne Hoffnung spazierengegangen ist, fühlt sich auf einmal umspült vom Leben der Stadt.

Nicht nur grau ist die Stadt, sie ist auch voller Farben, bunt und poppig. Das Leben ist nicht nur grün, es ist auch bunt. Das Leben ist nicht nur Gipfelruhe, es ist auch voller Lärm. Der Lärm der Stadt: Es ist der Lärm des Lebens, frech, banal, tief, beunruhigend, das Schreien, Rufen, Flüstern des Daseins.

Die Häuser der Stadt: Menschen haben sie gebaut, um dort miteinander zu wohnen. Die wenigen Bäume in der Stadt: Wie sehr rufen sie uns auf zur Hoffnung! Mehr als die Wälder, wo man vor lauter Wald die Bäume nicht mehr sieht, steht so ein kleiner Stadtbaum standfest auf der Straße und lebt.

Und die Menschen der Stadt: überall! Auch die Stadt ist voller Poesie.

So mußte Kirche wohl in der Stadt anfangen, dort, wo das Leben ist, sich in den Städten ausbreiten. Die Namen, die am Anfang der Kirchengeschichte stehen, sind auch Namen von Städten, Hafenstädten, Weltstädten: Jerusalem! Korinth! Alexandrien! Antiochien! Rom!

Ist auch nicht in unseren Tagen nicht das Land, sondern die Stadt die eigentliche Herausforderung für die Kirche? Stadt, das ist Kultur, Politik, Wissenschaft, Kunst. Es ist Universität, Bibliothek, Buchladen, Galerie, Kellertheater, Kaffeehaus: Und all das hat seine Sprache.

Die Kirche aber ist aufgerufen, auch dort auszusprechen, was Petrus in Jerusalem sagte, so einfach, daß alle es verstehen können, jeder in seiner Sprache: „Jesus von Nazareth, der Gekreuzigte, er ist auch der Auferstandene.“ Und, als dann gefragt wird: „Was sollen wir tun?“, die Antwort: „Kehre dich um!“

Von Charles Dickens wird erzählt, daß er zu Weihnachten einen Mann mietete, der als Auftrag bekam, um das Haus von Dickens herumzugehen und laut zu rufen: Kalt ist es draußen! (Damit Dickens sich in seiner Wohnung noch behaglicher fühlen konnte.)

So mancher Gläubige verlangt das von der Kirche, daß sie herumgeht und ruft: Kalt ist es draußen! Schließt die Fenster! (Damit er sich geborgen fühlen kann.)

Pfingsten mahnt uns zum Gegenteil: Wir werden aufgerufen, aus unserer Geborgenheit hinauszugehen, Türen und Fenster aufzureißen, hineinzugehen in die Realität des Morgens, in die Banalität des Tages, und in die Stadt hinein, erfüllt vom Geiste Gottes, die Sprache der Menschen zu sprechen.

So kann die Stadt, die vielgeschmähte Stadt, auch heute zum Ort der Erfahrung des'Geistes Gottes werden. Denn, wie ist das mit der Gotteserfahrung? Wo begegnet man Gott, dem Vater?

Viele Menschen machen da tiefe Erfahrungen in der Natur: Das Meer, die Berge, der unendliche Sternenhimmel in der Wüste lassen sie Gott, den Vater, den Schöpfer aller Dinge, ahnen.

Und Gott, dem Sohn, wo könnte man ihm begegnen? Da hat Jesus selbst uns die Antwort gegeben: in dem geringsten der Brüder. Wo jemand krank ist oder Hunger hat oder gefangen ist, da siehst du mich, hat Jesus gesagt.

Aber der Heilige Geist, kann man auch den Heiligen Geist erfahren?

Menschen sind nicht immer krank und verlassen. Manchmal begegnen wir Menschen, von intensiver Kraft erfüllt, aus tiefen Quellen schöpfen sie, getrieben werden sie von einem Geist, man weiß nicht woher, aber man ahnt: Es könnte der heilige Geist Gottes sein.

Es gibt die Gotteserfahrung in der Natur, aber es gibt auch den Weg zu Gott über die Straßen unserer Städte, in der Begegnung mit den Menschen überall.

So lenkt das Pfingstereignis im turbulenten Jerusalem unseren Blick auf die Stadt, auf Wien, auf Tokio, auf Paris, auf Amsterdam. Es läßt uns trotzdem wieder träumen von einer Stadt, von einem Jerusalem, über das man nicht mehr weinen muß. Es führt uns wieder die Vision vor Augen vom neuen Jerusalem, wie es ganz am Ende der Bibel beschrieben wird.

Denn die Bibel, so voll von. Bildern des Landes, endet doch mit dem Bild der Stadt, der neuen Stadt. Einer Stadt der Offenheit, mit Toren, niemals geschlossen. Einer Stadt, wo alles durchsichtig ist. Einer Stadt, wo die Menschen sind, immer im Licht sind. Einer Stadt ohne Finsternis, wo Gott selbst das Licht ist.

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