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Pfingsten in einem neuen Europa feiern

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Wie schön wäre es, wenn wir 1993 das Pfingstfest wirklich in einem neuen Europa erleben könnten! Leider sind wir noch nicht so weit. Wir leben wohl in einem in vieler Hinsicht veränderten Europa, aber noch nicht in einen erneuerten oder sogar neuen Europa. Dies trifft besonders zu, wenn wir nicht bloß politische Veränderungen in Betracht ziehen, sondern zugleich oder sogar vor allem die geistige Landschaft Europas vor Augen haben.

Die Unterschiede zwischen Ost- und Mitteleuropa einerseits und Westeuropa anderseits sind zu groß und zu tief, als daß wir von einem einheitlichen Europa sprechen könnten. Wir lassen hier die wirtschaftlichen und politischen Probleme beiseite und möchten nur einige Gedanken zur geistigen Lage Europas vorlegen. Dies geschieht im konkreten Kontext des Pfingstfestes, das in einer ganz einzigartigen Weise an das Ereignis erinnert, in dem durch die Herabkunft des Heiligen Geistes der Beginn der Kirche in Einheit und Verschiedenheit hervortrat.

Die Kirche feiert jedes Jahr an jedem Ort und in jedem Land Pfingsten im konkreten geschichtlichen Kontext. In Europa ist dieses Jahr Pfingsten dadurch gekennzeichnet, daß dieser alte Kontinent auf allen möglichen Gebieten nach einer neuen Einheit strebt. Daß sich bei diesem Bemühen viele Hindernisse in den Weg stellen, erleben wir immer von neuem. Vermutlich waren der Optimismus und die großen Erwartungen nach dem Zusammenbruch der politischen Systeme in Osteuropa zu groß, und bald und immer mehr trat eine Ernüchterung ein. Bei manchen machte sich sogar eine gewisse Enttäuschung und Resignation breit, weil sie keinen Weg in eine neue Zukunft sahen.

Wenn wir als Christen in diesem Europa, sei es in den östlichen oder westlichen Ländern, gläubig das

Pfingstfest feiern und seine Bedeutung und Botschaft annehmen, ist eine solche geistige Haltung unberechtigt und fehl am Platz. Nach der Apostelgeschichte war das Pfingstwunder das unmittelbare Eingreifen Gottes und nicht das Ergebnis von langwierigen menschlichen Verhandlungen und Kompromissen. Die bei der Herabkunft des Heiligen Geistes Anwesenden hörten einander in verschiedenen Sprachen reden, und doch verstanden alle die Botschaft und antworteten darauf im Glauben und in der Bekehrung.

Wagen wir als Christen heute an ein solches Pfingstereignis in Europa zu glauben? Wagen wir, wenn wir Pfingsten feiern, auf das Wirken des Heiligen Geistes zu vertrauen? Das Pfingstfest im heutigen Europa ist eine Herausforderung an uns Christen in unserem Glauben und Vertrauen.

Rückkehr zu den Wurzeln

Damit wir aber aus unserem Glauben dem Wirken des Heiligen Geistes in uns, in unseren Gemeinden und Ländern Raunt geben können, sind vor allem zwei Bedingungen zu erfüllen. Die erste ist, daß sich das Bemühen um eine gemeinsame Sprache in Ost und West nicht bloß auf wirtschaftliche Systeme und politische Probleme beschränkt. Gewiß kann sich das Wirken des Heiligen Geistes auch auf diesem Gebiet und bei Menschen, die sich dafür engagieren, bemerkbar machen. Viel wichtiger sind aber jene geistigen, kulturellen, sittlichen und religiösen Werte, die trotz aller Verschiedenheit der Sprachen und der Völker, der Geschichte und der Umstände, diese Werte zu leben, die gleichen sind.

Oft spricht man davon, daß alle europäischen Völker ihre gemeinsamen Wurzeln neu entdecken und sich darauf besinnen sollen. Begreiflicherweise ist dies in einer wirtschaftlich und politisch so schlechten Lage, wie sie Europa heute erlebt, besonders schwierig. Wenn wir an den Krieg im ehemaligen Jugoslawien denken,

scheint ein solches Unternehmen unmöglich. Es gibt aber keinen anderen Ausweg, als eine neue Besinnung und eine neue mutige Entscheidung zur Umkehr beziehungsweise zur Rückkehr zu den gemeinsamen geistigen Wurzeln Europas.

Fest der Ökumene

Die zweite Bedingung ist aber, daß wir unsere Verpflichtung und Sendung aus dieser Besinnung erkennen und annehmen. Wir beten zu Gott: Sende uns Deinen Geist, der das Antlitz der Erde erneuern wird. Mehr denn je ist dieses Gebet der Kirche in unseren Ländern notwendig. Dazu muß aber unser persönlicher Einsatz kommen. Was uns Sorge macht, ist die Tatsache, daß sich so wenige Menschen, vor allem auch junge, bei der geistigen Erneuerung Europas engagieren lassen. Es gibt zwar hoffnungsvolle Erneuerungsbewegungen in verschiedenen Formen. Im Zusammenhang mit der neuen Evangelisierung des alten Kontinentes, zu der Papst Johannes Paul II. immer wieder aufruft, werden auch konkrete Vorschläge gemacht. Dabei geht es nicht nur um eine neue Sprache, die alle verstehen, sondern auch um neue Träger und neue Formen der Evangelisierung. Nur unter einer solchen Mitwirkung kann der Geist Gottes das Antlitz der Erde, auch das Antlitz des alten Kontinentes Europa in Ost und West, erneuern.

Es ist gut, daß wir jedes Jahr von neuem Pfingsten feiern, damit wir uns besinnen, aus welcher Kraft die Kirche lebt. Hoffen wir, daß 1993 diese Besinnung bei möglichst vielen Christen, in der katholischen Kirche wie auch in anderen christlichen Kirchen, geschehen wird. Pfingsten ist ja in einem besonderen Sinn das Fest der Ökumene. Unsere Hoffnung ist, daß wir aus der Kraft des Heiligen Geistes immer mehr die Einheit in Verschiedenheit und die Verschiedenheit in Einheit leben werden.

Der Autor ist Erzbischof von Ljubljana/ Laibach.

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