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Pfingsten scheidet

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Die Kirche kommt in die roten Zahlen. Ihr Einkommen hält überall dort, wo es mit der Steuer gekoppelt ist, jeden Vergleich mit finanzstarken Betrieben aus — ihr Auskommen scheint trotzdem nicht gewährleistet zu sein. Der Schluß liegt nahe: je besser es ihr geht, desto übler steht es mit ihr.

Doch dieser Schluß trügt, die Gegenprobe beweist es. In der DDR wie in vielen anderen Ländern Osteuropas sind die Kassen der Kirche ebenso leer wie ihre Bänke. Der Druck von oben hat aufs Ganze gesehen weder die Opferwilligkeit der Gemeinden noch ihre Teilnahme am gottesdienstlichen Leben verstärkt. Der Heilige Geist läßt sich weder mit noch ohne Geld, weder mit noch ohne staatliches Wohlwollen manipulieren. Auch die Bekennende Kirche in Hitlers Reich war nur ein kleines Häuflein, ihre Aufwertung nach der Kapitulation zur Widerstandsorganisation blieb theologisch und kirchengeschichtlich bedeutungslos.

Die Magie der kleinen, treuen Schar ist nicht weniger gefährlich als jene der großen Massen. Im Pfingstbericht des Lukas begegnen wir bereits beiden. Mit dem Haus in Jerusalem, in welchem die wenigen Getreuen beieinander sitzen, beginnt es — mit der Bekehrung und Taufe der Dreitausend endet es. Für die Tatsache aber, daß die Botschaft von dem gekreuzigten und auferstandenen Jesus in wenigen Jahrzehnten ihren Siegeslauf rings um das Mittelmeer vollendete, war anderes entscheidend.

Dieses „andere” ist und war das eigentliche Thema von Pfingsten, damals und heute. Am besten kann man es an der Wirkung ablesen, die jene lange, schonungslose Predigt des Petrus am Pfingstmorgen bei den Diasporajuden von Jerusalem hervorrief: „als sie das hörten, schnitt es ihnen ins Herz und sie sprachen zu Petrus und den übrigen Aposteln ,Was sollen wir tun, Brüder?'” Die das fragten, waren mit ganzen Katalogen von Regeln der Frömmigkeit und Moral eingedeckt. Ihr Leben war genormt und es konnte eigentlich nichts Neues mehr passieren. Keine animistischen Gottheiten bedrängten sie, keine unverständlichen Tabus umstellten sie. Ihre Rechtschaffenheit stand außer jedem Zweifel, selbst die römischen

Gouverneure zollten ihr widerwillig Respekt. Plötzlich aber fällt alles wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Hunderte oder auch Tausende von Männern werden, wie man heute sagt, verunsichert, ihr Glaube hat plötzlich seine Rolle als Lebensversicherung ausgespielt. Daher die Frage: was sollen wir tun, Brüder? Das „andere” von Pfingsten — hier wird es offenbar.

Vieles in der Predigt des Petrus, die solche Wirkung hatte, war nur jüdischen Zeitgenossen verständlich und bedeutsam. Entscheidend aber für die nun anhebende Mission, die bald die Grenzen des Judentums sprengte, war der Satz: „diesen Jesus hat Gott auferweckt, des sind wir Zeugen. Er ist zur Rechten Gottes erhöht, hat die Verheißung des Heiligen Geistes vom Vater bekommen und das ausgegossen, was ihr hier seht und hört”. Gott manifestiert sich in einem Zeitgenossen, läßt ihn durch Menschenschuld sterben, holt ihn am dritten Tag wieder aus dem Grab und läßt ihn fortan Teilhaber der eigenen Weltherrschaft sein.. Das ist das Grundbekenntnis der Apostel und auch der Grundstein von Pfingsten, seiner Wirkung und allem, was nun in der Welt unter dem Namen Kirche entstehen, vergehen und an anderen Orten wieder aufblühen sollte. Es war und blieb der Eckstein, wie auch der Stein des Anstoßes.

Pfingsten ist also nichts ohne Passion und Ostern, ohne Himmelfahrt und Missionsbefehl. Isoliert man es nach hinten, nimmt man ihm seine Glaubwürdigkeit für die Zukunft. Lukas hat- wohl gewußt; warum er am Anfang der Apostelgeschichte die Jünger, noch einmal die unbegreiflich törichte und zugleich begreiflich ungeduldige Frage stellen läßt: „Herr, stellst du zu dieser Zeit das Reich für Israel wieder her?” Änderung der scheinbar unveränderlichen Machtverhältnisse auf Erden, endliche Auszahlung des Erbes an die Enterbten dieser Welt, damals im besetzten Israel, später durch Kreuzzüge, dann im Bauernkrieg und heute im revolutionären Protestsong — das Mißverständnis hat Pfingsten überdauert und stellt die Kirche immer wieder vor die Frage nach ihrem Auftrag und ihrer Existenzberechtigung. Dringlicher als zuvor stellen in unseren Tagen viele die gleiche Frage: stellt Jesus Christus die Ordnung der Welt wieder her?

Die Apostelgeschichte berichtet nun nicht nur von dem Erschrecken der Hörer angesichts der Tatsache, daß Gott sich zu einem als Verbrecher verurteilten Mann ihres Volkes in so unerhörter Weise bekannte. Sie beschreibt auch sehr genau, wie die nachpfingstliche Gemeinde in Jerusalem lebte: beieinander, hörend auf die Botschaft, vereint im Sakrament und in praktizierter Nächstenliebe. Die Antwort auf die Frage der Jünger wurde anders, aber wirkungsvoller gefunden. Nicht die alten Macht- und Rechtsverhältnisse werden wiederhergestellt oder neue Mächte und Rechtsordnungen, die bald den alten aufs Haar gleichen, installiert. Eine völlig neue Ordnung entsteht vielmehr. In der Gemeinde Gottes, der Kirche Jesu Christi, gehört man schon zusammen; als Teilhaber des Auferstandenen in Predigt und Sakrament überwindet man die Zwänge des Establishments in tätiger, brüderlicher Liebe. Die Maße stimmen, denn man nimmt sich nichts vor, was die geistliche Kraft übersteigt — scheut sich aber auch vor keiner praktischen Konsequenz, die vom Glauben und der Liebe geboten sind.

Die ungeduldige Frage nach dem Auftrag der Kirche heute, ihrem Uberleben angesichts der roten Zahlen, in die sie geraten ist, ihrer merkwürdigen Disproportioniertheit von öffentlicher Rechtsstellung und geistlicher Auszehrung: ihr wird keine andere Antwort zuteil, als damals den Jüngern aus dem Mund Jesu. Sie lautete: „Ihr werdet Kraft -empfangen, indem der Heilige- Geist auf euch kommt. Dann werdet ihr meine Zeugen sein — in Jerusalem, in Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde.” Geist, der da lebendig macht, nennt ihn das Nizäani-sche Glaubensbekenntnis. Der abgelebte Formen der Kirche ebenso willig abstreift, wie er sich nicht übereifrig zum Schrittmacher der Mode macht und dabei doch nur lächerlich wird, weil er atemlos immer am Ende der Prozession läuft, welche vom Zeitgeist eröffnet wird.

Heiliger Geist — Zeitgeist. Die Kirche konnte noch nie beiden zugleich dienen. Versucht sie es doch, verliert sie beide. Dann emigrieren die Frommen in die Sekte, die Zeitgeistgenossen aber vergleichen vor allem das ethische Angebot der Kirchen mit anderem, was auf dem Markt der Ideologien feilgehalten wird. Freiheit zum Dienst an der Welt bekommt nur die Kirche, deren Bekenntnis zu ihrem Herrn allen

Nutzanwendungen vorausgeht. Auf dem Weg zur einen, heiligen, allgemeinen, christlichen Kirche, welche gerade zu Pfingsten von Christen aller Konfessionen erbetet wird, sind dann wichtige Schritte zurückgelegt.

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