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Pflegeheim Lainz war für sie nicht Endstation

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Der „Fall Lainz" hat's zutage befördert: Es steht schlimm um die öffentliche Altenhilfe in Österreich. Auf Besserung ist nicht zu hoffen, eher das Gegenteil zu befürchten, betrachtet man das unaufhaltsame Wachsen des Pflegebedarfs.

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Der „Fall Lainz" hat's zutage befördert: Es steht schlimm um die öffentliche Altenhilfe in Österreich. Auf Besserung ist nicht zu hoffen, eher das Gegenteil zu befürchten, betrachtet man das unaufhaltsame Wachsen des Pflegebedarfs.

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Eine erste Bedarfsschätzung sämtlicher Formen von stationären Einrichtungen und ambulanten Hilfen hat jetzt Karoly Cserjan vom Österreichischen Institut für Raumplanung vorgelegt. Was der Sozialwissenschaftler fordert, tönt mittlerweile immer häufiger auch aus Politiker-Munde: Weg mit den überdimensionierten „Verwahranstalten", her mit kleinen, überschaubaren Einrichtungen und mehr ambulanten Diensten.

Eine Devise, die Sozialarbeitern der Magistratsabteilung (MA) 12 in Wien längst schon zum Handlungsprinzip geworden ist: 20 ehemaligen Bewohnern des Pflegeheims Lainz haben sie in den vergangenen sieben Jahren in insgesamt sechs Alten-Wohngemeinschaften (WG) ein neues Zuhause verschafft. „Nicht ins Pflegeheim und doch nicht allein" lautete das Motto, unter dem 1984 das erste der Projekte, die WG „Am Schöpfwerk", entstand.

„Uns war ein Kreis von Personen aufgefallen, die der intensiven Pflege in einer Institution nicht mehr bedurften, gleichzeitig aber nicht allein wohnen wollten oder konnten, weil sie Angst vor dem Alleinsein hatten oder es verlernt hatten, für sich selbst zu sorgen", erinnert sich Antonella Cambanis, Sozialarbeiterin und WG-Pionierin. Nicht überall stieß die Idee einer WG gleich auf Zustimmung. Verwandte fürchteten, wieder mehr Verantwortung tragen zu müssen. Die Alten selber assoziierten mit WG vielfach die „Kommune" der Endsechziger.

Mehr Interessenten als Plätze

Schlußendlich standen dann aber doch mehr „Lainzcr" auf der Bewerberliste, als das Projekt „Am Schöpfwerk" im zwölften Bezirk fassen konnte. Die Vier-Zimmer-Wohnung hatte sich mit Hilfe der MA 52 rasch gefunden. Bank, Post und Einkaufsmöglichkeiten liegen in unmittelbarer Nähe, eine löstufige Treppe zur Wohnung hinauf ist der einzige Makel am ansonsten optimalen Standort.

Die Vorbereitungen zum „Miteinander Wohnen" dauerten ein ganzes Jahr lang. Bei regelmäßigen Treffen tauschten die künftigen WG-Mitglie-der Lebensgeschichten und Zukunfts-phantasien aus, diskutierten die Möglichkeiten, den Tag zu strukturieren, suchten Möbel, Vorhänge und Handtücher aus. Die Sozialarbeiter stellten den Kontakt zu Hausbesorger und Ärzten in der Umgebung her. Im September 1984 fand die Ubersiedlung statt. Anfangs sah neben der Heimhilfe täglich ein Sozialarbeiter zu den Bewohnern der Wohngemeinschaft hinein, kurze Zeit später schon war diese intensive Betreuung nur noch punktuell nötig.

„Die Sache läuft perfekt", kann Cambanis heute, nach sieben Jahren, bestätigen. Das weitgehend problemlose, tolerante Miteinander der WG-

Bewohner, ihr verantwortungsvoller Umgang mit der Wohnung und nicht zuletzt die „unwahrscheinlich hohe Akzeptanz der WG in der Umgebung" beweisen das.

„Dabei", so die Sozialarbeiterin, „hatten wir wirklich keine Bilderbuchpatienten". Durch ihren „teilweise jahrzehntelangen" Aufenthalt im Heim hatten sie in vielen Bereichen des Alltags ihre Selbständigkeit eingebüßt. Heute kochen sie selbst, erledigen selbst ihre Einkäufe und Bankgeschäfte, bestimmen selbst, wie ordentlich die Wohnung zu sein hat.

Der 67jährige Severin F., vor Jahren fast völlig gelähmt, ist, wenn es nur geht, auf Reisen. Manchmal begleitet ihn sein Mitbewohner, Georg W., der vor einigen Jahren neu zu der Truppe hinzugestoßen ist. „Ausgang hab' ich ja bekommen," meint Seve-

rin F. über seine Zeit im Pflegeheim, „aber wirklich frei war ich nicht". Daß in der „Bett-Nachtkastl-Privat-sphäre" des Heims verloren gegangene Lebensenergien in der WG wieder aktiviert werden, ist für die Sozialarbeiterdas Wesentliche an dieser Form des Zusammenlebens.

Sogar eine billigere Lösung

Fast als,,Nebeneffekt" mag da scheinen, daß der WG-Platz eines alten Menschen die öffentliche Hand auch noch weit weniger kostet als ein Bett im Pflege- oder Altenheim. Bei der Wohnung „Am Schöpfwerk" ist die MA 12, der Hauptmieter, für die gesamten Anschaffungskosten, die Einrichtung derGemeinschaftsräume und die Grundausstattung der Küche aufgekommen. Außerdem bezahlt sie die monatlichen Fixkosten. Die Bewoh-

ner beteiligen sich mit jeweils 20 Prozent ihres Einkommens daran. Auch für sie bringt die WG einen finanziellen Vorteil. Cambanis: „In Lainz werden 80 Prozent der Pensionen einbehalten, 20 Prozent bleiben den Patienten zur freien Verfügung."

Gründe genug, auf Wohngemeinschaften als eine Alternative zu herkömmlichen Alteneinrichtungen zu setzen. Die Sozialarbeiter stoßen aber lange schon an Grenzen: Für sie war der WG-Betrieb bisher „Fleißaufgabe".

Aus eigener Kraft haben sie ein neues Modell der Altenversorgung entworfen, umgesetzt und klar gezeigt, daß es funktioniert. Jetzt wäre die öffentliche Hand an der Reihe, darauf zu reagieren - „mit Personal und mit Geld"; so die Sozialarbeiter. Eduard Kügler, einer der beiden Lei-

ter des Referats „Individualhilfe" , sieht die Schwierigkeiten, die sich hier auftun, in einen größeren politischen Kontext eingebettet: „Solange in der Spitalsreformkommission keine Grundsatzentscheidungen gefallen sind, bleiben auch die Detailentscheidungen ungeklärt".

Ob, in welcher Weise und in welchem Ausmaß Alten-WGs künftig gefördert werden können, hängt nach Kügler davon ab, welche Prioritäten die Reformkommission setzt und insbesondere, wie schnell sich Bund und Länder über die Finanzierung der extramuralen Versorgung einigen können. Kügler verweist auch auf ein wachsendes Problem von ganz anderer Seite: Einem steigenden Bedarf an Sozialarbeitern stünde eine abnehmende Zahl von Bewerbern gegenüber.

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