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Phantasien des Westens

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Seitdem die Bilder laufen gelernt haben, läßt sich nicht nur Exotisches noch viel nachdrücklicher erleben. Der Film suggeriert eine Wirklichkeitsnähe, die häufig noch intensiver wirkt als das eigene Erleben. Wo man selbst nicht hin-kommt, vermittelt einem das Kino bewegte Bilder, die mit Klängen, Musik und Sprache unterlegt sein können, um den Eindruck noch zu steigern.

Ohne Exotik gäbe es kein Kino. Das beweisen die exotischen Film-persönlichkeiten (Rudolpho Valentino als Scheich) und neben den Dokumentarfilmen (wirklich Infor-matives ist häufig nur eine Haares-breite vom Bedenklichen entfernt) die exotischen Genrefilme. Im öster-reichischen Fernsehen haben sie zur Zeit Hochkonjunktur: "Der Tiger von Eschnapur" und "Das indische Grabmal" entführten in ein Indien der europäischen Vorstellungswelt und die Love Story "Die Welt der Suzie Wong" in ein moralisches Prostituiertenmilieu von Hong Kong.

Die von Fritz Lang geschaffenen Indienfilme haben zweifellos ihre cineastischen Qualitäten, doch von einem Hinführen zu den Problemen des Subkontinents kann nicht gesprochen werden. Die Filme geben nicht vor, über Indien Be-scheid zu wissen. Auch die bitter-süße Liebesgeschichte zwischen einem chinesischen Freudenmäd-chen und einem mäßig erfolgrei-chen Maler erhebt keinen Anspruch auf Authentizität. Und doch be-schleicht einem ein Unbehagen, wenn man die geballte Ladung an Phantasien über den Fernsehschirm flimmern sieht. Vieles, was sich als Eindrücke über Länder der soge-nannten Dritten Welt in den Gehir-nen der Mitteleuropäer festgesetzt hat, entstammt solch zweifelhaften Quellen.

So wie das Bild des Indianers maßgeblich von Karl May geprägt worden ist, wird das Bild asiatischer Frauen von duldsamen Wesen wie Madame Butterfly bestimmt. Schnulzen wie "Der Wind kann nicht lesen" haben ebenso an der Entwicklung der Vorstellung mitgewirkt, die Asiatin ist hinge-bungsvoll, devot und anpassungs-fähig. Suzie Wong tanzt in diesem Zusammenhang ein wenig aus der Reihe: Die trickreiche Asiatin wird entworfen. Zwar zeigt sie mensch-liche Züge, beispielsweise ihre Trauer, als ihr kleiner Sohn durch ein Unwetter umkommt. Dafür kann sie eine Palette von Verhal-tensweisen ausleben, die in Europa eigentlich nicht mehr gefragt sind: Naivität, Aggression und ein Schuß Irrationalität. Aber auch witzige Schläue fehlt nicht. Ein Stereotyp, der Asiaten gern zugeschrieben wird.

Im Grund genommen gelten die Asiaten als intelligent. Ganz im Ge-gensatz zu den Schwarzen, die als brutal und hinterfotzig eingestuft werden. Die Tarzanfilme sind voll von diesen Episoden. Am bezeich-nendsten ist wohl die Überlegenheit von Tarzan an sich. Er, der weiße Affenmensch, vermag die Sprache der Tiere zu erlernen, während die Schwarzen nie diese Intelligenzleistung erbringen konnten.

Wahrscheinlich wäre das alles viel weniger problematisch, würde nicht der Massentourismus zahllose Weiße ausgerechnet in jene Länder führen, die häufig als (s)exotischer Hintergrund für Filme herhalten müssen. Die Unwissenheit der Europäer führt dazu, daß ihre vor-gefaßten Meinungen nur bestätigt werden. Die interkulturellen Kon-takte finden nicht statt: Der ver-gleichsweise geldschwere Fremde trifft nur Menschen, die ihn bedie-nen. Über den Wall von Dienstlei-stungen (Portiere, Kellner, Stuben-mädchen, Taxilenker) kommt er nicht hinaus. Dazu fehlt nicht nur die Zeit, sondern auch die sprachli-che Voraussetzung. Wie viele Rei-sende sprechen die Sprache des Urlaubslandes? Für die "schönsten Wochen des Jahres", wie die Wer-bung verspricht, stürzt sich selten einer in das schwierige Abenteuer, ein fremdes Idiom zu erlernen.

So entsprechen in erschreckender Weise die eigenen Erlebnisse dem Bild, das der Genrefilm vermittelt: Schauplätze eigener und fremder Träume, Dokumente der Sehnsucht nach weiter Welt, die so unberührt wie möglich ist. Just das Gegenteil von dem, was die Erste Welt angenehm zum Leben macht.

Da machen auch Widersprüche nichts aus. Wenn Fluglinien mit dem Komfort ihrer Maschinen die Kunden locken, lächeln exotische Schönheiten dem Fluggast entge-gen. Nicht einmal unterschwellig wird das Klischee bedient, daß hinter der Höflichkeit, dem uner-gründlichen Lächeln und der Anmut der Mädchen noch Abenteuer verborgen sind. Mit dem erre-genden Prickeln in der Magenge-gend spekulieren nicht nur Boule-vardzeitungen, wenn sie die Leser informieren: "Die meisten Mädchen finden nichts dabei."

Solche Sätze ignorieren die Armut völlig, übersehen die kollektive Entwürdigung ganzer Nationen. Es gilt die (S)Exotik wirtschaftlich zu nutzen, da hat Moral keinen Platz. Die Errichtung der Fluchtburg aus einem überentwik-kelten Erdteil kennt keine Scham. Die Reisenden können nur um des Vergnügens willen jedes Unrecht scheint's ertragen. Als 1984 auf der Touristeninsel Phuket in Thailand ein Bordell abbrannte, kamen sie-ben Mädchen in den Flammen um. Sie waren angekettet gewesen, um sie an der Flucht zu hindern. Hat keiner der Kunden gemerkt, daß es den Mädchen doch etwas "aus-macht"?

Vielleicht sollte man sich ange-wöhnen, alle Berichte über fremde Länder kritischer anzusehen, um hinter die Fassaden blicken zu können. Auch dem exotischen Genrefilm sollte mit mehr Mißtrau-en begegnet werden, um festzustel-len, was realistisch und als Aussage über ein Land zu bewerten ist und was nichts anderes ist, als einer der zahllosen Träume von Europäern^ die aus ihrer zu eng gewordenen Haut herausschlüpfen wollen.

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