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Philosoph des Dialoges

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In Arnoldshain, Frankfurt und Heppenheim (Bundesrepublik Deutschland) kamen jüngst Martin-Buber-Experten zu Tagungen zusammen, deren Resümee dieser Beitrag zu ziehen versucht.

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In Arnoldshain, Frankfurt und Heppenheim (Bundesrepublik Deutschland) kamen jüngst Martin-Buber-Experten zu Tagungen zusammen, deren Resümee dieser Beitrag zu ziehen versucht.

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Martin Buber als chassidischer Erzähler, als Ubersetzer der Bibel und als Begründer der Dialog-, der sogenannten Ich-Du-Philoso-phie: so weit ist der jüdische Religionsphilosoph, der 1878 in Wien geboren wurde und dessen Todestag sich am 13. Juni zum 20. Mal jährt, auch interessierten Laien gerade noch ein Begriff. Zwei wesentliche Aspekte seines Lebens und seiner Arbeit aber werden,' von Juden ebenso wie von Christen, im allgemeinen vernachlässigt oder sogar vollständig ausgeklammert.

Bei seiner Bildungsarbeit mag das noch daran liegen, daß sie fast untrennbar mit den Jahren des Nationalsozialismus bis 1938 in Deutschland verbunden ist. In seiner eigenwilligen Haltung gegenüber dem Zionisrnus und seinem Engagement für die Rechte der Araber in Palästina und Israel wird die zwiespältige Stellung Bubers allerdings besonders deutlich.

Diese zwiespältige Stellung Bubers innerhalb des Judentums ebenso wie zwischen Juden und Christen zieht sich durch alle Bereiche seines Lebens und seines Werkes. Obwohl „Erzju-de”, wie er sich selbst bezeichnete, konnte er mit seiner Auffassung von Judentum für viele Christen eher akzeptiert werden als für traditionsbewußte Juden.

Buber lehnte die Religion als institutionalisierte Form des Glaubens ab, damit auch die jüdischen Gesetze (er hat nie eine Synagoge betreten); ihr stellte er die Religiosität, die innere Dimension des Glaubens gegenüber. Jesus und der Baal-Schem-Tov, der Begründer des Chassidismus, verkörperten für ihn gleichermaßen die von ihm vertretene Art der Religiosität. Damit wurde er für orthodoxe Juden untragbar, für Reformjuden gerade noch erträglich und für Christen annehmbar.

Bei Christen besonders erfolgreich war Buber als chassidischer Erzähler. Hier eröffnete er ihnen eine Welt des Ostjudentums, das für sie als Christen attraktiv war. Juden bezeichnen Bubers Chassi-dismus-Deutung als „fruchtbares Mißverständnis”.

Mit seinem Zugang aus westeuropäischer Sicht hat Buber den Chassidismus auf den Kopf gestellt. Während der Chassidismus, von der Kabbala herkommend, nämlich grundsätzlich einen weitabgewandten Glauben vertritt, die Freude an Gott in der Welt, präsentierte Buber den Chassidismus als Freude an der Welt. So sehr er damit das westeuropäisch-christliche Denken ansprach, so heftig war die Kritik im Judentum.

Nicht viel anders erging es Buber mit seiner Verdeutschung der Bibel, die eigentlich eher eine Verrichtung ist. Sie wendet sich eigentlich an Nicht Juden, denn bibellesende Juden greifen grundsätzlich zur hebräischen Schrift.

Mit seiner Dialog-Philosophie, mit der er erstmals eine jüdische Philosophie entwickelte, sprach Buber zunächst Juden und Christen gleichermaßen an. Es war das Prinzip des Gespräches zwischen Ich und Du anstelle des Nicht-Gespräches zwischen Ich und Es. In Israel scheiterte die Anerkennung der Dialog-Philosophie lange Zeit an der Ubersetzung: das Hebräische kennt kein „Es”.

In der Erziehung gegen die Gewalt sah Buber zeit seines Lebens die einzige Möglichkeit für eine friedliche Welt. Und so verstand er auch das „Freie jüdische Lehrhaus” und die „Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung” in den Jahren 1933 bis 1938 in Frankfurt als innere Stärkung der Identität der deutschen Juden, als geistigen Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

Von aktivem Widerstand, von Gewalt gegen die Gewalt, hielt Buber seit der Ermordung seines Freundes Gustav Landauer gar nichts. Landauer, deutsch-jüdischer Sozialist, Pazifist, Anarchist und Sozialphilosoph, war als führender Teilnehmer an der bayerischen sozialistischen Revolution in München im Mai 1919 von der „Weißen Garde” der deutschen Regierung zu Tode geprügelt worden. Bubers politische Einstellung war wesentlich von den Ideen Landauers geprägt.

Tiefe Lebenstragik

Buber als Zionist, das ist ein heikles Thema. Unter den Juden inner- und außerhalb Israels, aber auch unter NichtJuden, ist Buber mit seiner Auffassung vom geistigen, jüdisch-humanistischen Zionismus, seiner Ablehnung des politischen Zionismus und damit der Staatsgründung und seinem Eintreten für ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Juden und Arabern in Palästina auf wenig Gegenliebe gestoßen. Seine Auffassung von einem binationalen Staat, einem Land mit zwei Völkern, in dem Juden und Araber, unabhängig vom Bevölkerungverhältnis, gleichberechtigt regieren, wurde als Utopismus abgetan.

Aber wie bereits in Deutschland, vertrat Buber seine Ideen nicht nur theoretisch. Wie seine Auffassung von Bildung und Erziehung immer mit konkretem Leben, konkreten Situationen und Realpolitik zu tun hatten, sah Buber auch eine Verpflichtung des Geistes zur Politik, war er gegen den Elfenbeinturm der Wissenschaft, war er überzeugt, daß der Weg zu Gott über die Politik führt, ebenso wie die Liebe zu Gott nur über die Liebe zu den Menschen, auch über die Liebe zwischen Mann und Frau führen kann.

Sofort nach seiner Einwanderung in Palästina 1938 setzte sich Buber noch mehr als bisher — er hatte damit bereits 1918 begonnen - gegen die Staatsgründung und für die Rechte der Araber ein. Bis zu seinem Tod gehörte es zur tiefen Lebenstragik Bubers, daß er, der Philosoph des Dialoges, es nicht erreicht hatte, in einen Dialog mit seinem eigenen Volk zu treten. Erst jetzt, 20 Jahre nach seinem Tod, beginnen Bubers Ideen vor allem bei der Jugend in Israel auf fruchtbaren Boden zu fallen - sowohl hinsichtlich seiner Auffassimg von Religiosität wie auch des Dialogs mit den Palästinensern.

Als Vertreter jüdischer Geistigkeit und jüdischen Humanismus' erhielt Buber zahlreiche Preise: den Goethepreis, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, den Osterreichischen Staatspreis um den Erasmus-Preis.

Für viele Christen symbolisiert der äußerlich assimilierte Buber, fälschlich als der Sprecher des Judentums angesehen, ein bequemes und ansprechendes Judentum. Die Gefahr, Judentum könnte nur in der von Buber vermittelten Form akzeptiert werden, ist nicht zu übersehen.

Und doch war es wieder Martin Buber selbst, der bei aller Zwiespältigkeit gegenüber der jüdischen Religion dennoch die Auffassung vertrat, daß ein Dialog nicht zwischen assimilierten Juden und Christen geführt werden kann; nur der verwurzelte Jude hat im Dialog mit Christen etwas zu sagen.

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