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Phönix aus der Asche

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Der langersehnte Silberstreifen am Horizont, den alle Wirtschaftsprognosti- ker herbeigesehnt haben, scheint aufzuleuchten: In den USA zeichnet sich endlich ein Boom ab.

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Der langersehnte Silberstreifen am Horizont, den alle Wirtschaftsprognosti- ker herbeigesehnt haben, scheint aufzuleuchten: In den USA zeichnet sich endlich ein Boom ab.

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Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges gab es in den Vereinigten Staaten sieben Rezessionen und acht Aufschwünge, also insgesamt fünfzehn Konjunkturphasen. Die durchschnittliche Dauer jeder Phase betrug etwa zweieinhalb Jahre. Auch der jetzige Aufschwung .wird kein Dauerzustand bleiben, ihn aber deswegen als Zwischenspiel oder als Scheinkonjunktur zu bezeichnen, ist völlig verfehlt.

Das genaue Gegenteil ist der Fall: Er hat sich inzwischen als eine der kräftigsten Erholungsphasen entpuppt. Das reale, also inflationsbereinigte Wirtschaftswachstum belief sich im ersten Quartal 1983 auf 2,6 Prozent, im zweiten auf 9,2, im dritten auf 7,9 Prozent und der Oktober brachte so ausgezeichnete Ergebnisse, daß man schon heute sagen kann, daß die Wachstumsrate für das letzte Jahresviertel mindestens sieben Prozent betragen dürfte.

In Europa hat sich bisher merkwürdigerweise nur eine einzige Facette dieses Erfolges herumgesprochen, nämlich die Reduzierung der zweistelligen Inflationsrate auf etwa 3,5 bis vier Prozent.

Nach neuesten Prognosen wird es 1984 nicht nur möglich sein, diese mäßige Teuerungsrate zu halten, sondern sie noch tiefer, nämlich auf etwa drei Prozent, herunterzudrücken.

Wenden wir uns zuerst dem größten Problem, nämlich der Arbeitslosigkeit, zu. Seit dem Ende der Rezession ist die Arbeitslosenrate von 10,7 auf 8,7 Prozent gesunken. Es muß zwar konzediert werden, daß selbst das jetzige Niveau noch immer zu hoch ist. Der Trend ist aber eindeutig: Seit zehn Monaten sinkt die Zahl der Arbeitsuchenden Monat für Monat. Allein im Oktober dieses Jahres schrumpfte sie um 537.000 Personen. Seit dem Ende der Rezession ging sie um 2,1 Millionen zurück. Die Zahl der Beschäftigten hat seit dem Ende der Rezession um 2,9 Millionen zugenommen und erreichte im heurigen Oktober einen Rekordstand von 103,7 Millionen!

Die Autoindustrie wird heuer mit rund sieben Millionen Personenwagen ihr bestes Produktionsjahr seit dem Jahr 1978 verzeichnen. Seit dem Ende der Rezession hat sie von den früher entlassenen Arbeitskräften 80.000 wieder eingestellt. Im zweiten und dritten Quartal 1983 erzielten die großen vier amerikanischen Autokonzerne Gewinne in Höhe von 1,7 bzw. 1,2 Milliarden Dollar, während sie in den gleichen Zeiträumen des Vorjahres mit Verlusten abgeschnitten hatten. Eine andere Schlüsselindustrie, nämlich die Bauwirtschaft, hat sich ebenfalls kräftig erholt. Nachdem im Vorjahr nur knapp über eine Million Wohnungen und Einfamilienhäuser gebaut wurden, wird das heurige Jahr mit einem Ergebnis von 1,7 Millionen und das Jahr 1984 mit 1,8 Millionen Wohneinheiten abschließen. Ähnlich wie bei der Autoindustrie ist die Entwicklung dieser Branche deswegen für die amerikanische Gesamtwirtschaft wichtig, weil auch sie Tausende Zulieferfirmen beschäftigt.

Ein dritter besonders wichtiger Industriezweig, nämlich die Stahlindustrie. ist im Begriff, durch gigantische Investitionen und eine Serie von Fusionierungen wieder profitabel zu werden. Der Präsident des größten amerikanischen Stahlkonzerns, David M. Roderick, hat dieser Tage erklärt, daß die Zahl der großen amerikanischen Stahlfirmen innerhalb der nächsten zwei Jahre von acht auf drei schrumpfen werde.

Vielleicht ist es das positivste Merkmal der jetzigen Konjunkturphase, daß die Investitionen heuer inflationsbereinigt um elf Prozent zunehmen werden.

Die Industrieproduktion hat ih ren Stand vor der Rezession nicht nur wieder erreicht, sondern übertroffen; die durchschnittliche Kapazitätsausnutzung ist von 67 auf 77 Prozent gestiegen. Die Nettogewinne der Unternehmen werden sich innerhalb von zwei Jahren (1983 und 1984) annähernd verdoppeln. Das ist ein sensationelles Ergebnis, eines der bestgehüteten „Geheimnisse“ dieses Aufschwunges.

Während sich buchstäblich Dutzende von Indikatoren günstig entwickeln — hier seien nur Lagerabbau, Auftragseingänge, Produktivität und Realeinkommen erwähnt — gibt es zwei Bereiche, die sich nicht in das Gesamtbild einfügen und die eines Tages den Konjunktur-Aufschwung gefährden oder unter Umständen sogar abwürgen könnten.

Der eine dieser beiden Bereiche ist der Außenhandel. Der hohe Dollar kurs verzerrt den Wettbewerb in beiden Richtungen: Die Exporte verteuern sich auf den Weltmärkten und erleiden zum Teil empfindliche Absatzrückgänge. Die Importe werden billiger und der Konkurrenzdruck wird stärker.

Das Handelsbilanzdefizit belief sich allein im dritten Quartal 1983 auf 25 Milliarden Dollar, wird im ganzen laufenden Jahr 70 bis 75 Milliarden Dollar und im nächsten Jahr sogar 100 Milliarden Dollar erreichen, gegenüber einem langjährigen Durchschnitt von etwa 25 bis 30 Milliarden.

Der andere Bereich, der Anlaß zur Besorgnis gibt, ist das Budget, genauer gesagt, der Umstand, daß das jährliche Defizit auf Jahre hinaus bei 200 Milliarden Dollar liegen wird, falls es nicht gelingt, die Ausgaben weiter zu senken oder zusätzliche Einnahmen zu erschließen. Im Klartext heißt das, daß, bestehende Steuern zu erhöhen oder neue einzuführen sind.

Nun, was Ausgabensenkung anbelangt, dürften alle Budgetkosten, mit Ausnahme der Verteidigungskosten, vor allem aber die Sozialprogramme, ausgereizt sein. Eine Senkung der Rüstungs-ausgaben innerhalb der nächsten Jahre zu erwarten, wäre aber unter den gegebenen Umständen kaum realistisch. Bleibt also die Einnahmenseite. Heißt das, daß zusätzliche Steuereinnahmen un-umgänglich notwendig sind? Darüber streiten die Gelehrten.

Es gibt natürlich einen Zusammenhang zwischen dem Importüberhang und dem Gebarungsabgang. Solange die Kreditnachfrage des Bundes so hoch bleibt, werden die Zinsen nicht sinken, und solange die Zinsen hoch bleiben, wird der Höhenflug des Dollars anhalten. Die Regierung wird also handeln müssen, nur wird sie dies wahrscheinlich erst nach den Wahlen tun.

Im Gegensatz zur Grundstimmung in Europa ist die Stimmung in Amerika gegen Ende des Jahres 1983 durch und durch optimistisch. Es wäre zu wünschen, daß die Europäer sich wenigstens ein bißchen von dem amerikanischen „Wir-schaffen-es-Ansatz“ zu eigen machen würden.

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