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Phönix unterm Strich

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Angesichts der neuen Intensität von politischen Krisen und Umwälzungen, angesichts gesellschaftlicher und ökologischer Horrorberichte in unserer Gegenwart, vermehren sich auch die dringenden Anfragen an Theater und Kunst allgemein. Was haben Intendanten, Regisseure, Schauspieler, Autoren und Theatermacher dazu zu sagen?. Wie lauten ihre Antworten? Wie drücken sie ihr Entsetzen oder ihr Mitgefühl aus?

Stellen wir uns als Theatermacher die Frage einmal bewußt radikal und provokant. Was muß noch alles passieren, daß Theater auf die Zeit konkret und verbindlich reagiert? In den führenden deutschsprachigen Bühnenzeitungen jedenfalls- lese ich keine Aufforderung zum Umdenken, keine kritische Äußerung zum inhaltslos gewordenen Theater mancher Häuser und Städte. Ist es nicht eine feige Flucht, wenn wir mit der Allgemeingültigkeit der

Kunst, dem Bildungsauftrag, der Allumfassendheit des Themas argumentieren? Hält heute in diesen Tagen noch das Argument von der immerwährenden Aktualität Schillers oder Shakespeares. Als ich kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands am Schillertheater eine ästheti-sierende und den Theaterapparat genüßlich bedienende Räuber-Inszenierung gesehen habe, wäre es mir schwergefallen, einem hartnäckigen Vorwurf nach der Sinnlosigkeit solcher Kunst in dieser Zeit zu widersprechen.

Sind die Spielpläne nicht zu unflexibel, die Programmplaner zu sehr einer Tradition verhaftet, die Intendanten wegen Verträgen mit hochbezahlten Stars nicht zu unbeweglich? Inszeniert sich die Theaterkunst nicht zu selbstgefällig bei Festivals und Theatertreffen? Gerät nicht langsam Theater in eine gefährlich ökonomische Spirale und damit an der Zeit vorbei?

Ich möchte natürlich auch die Frage an unser Haus stellen. Welche Kriterien gelten für die Planung des Programms im Theater Phönix? Lieblingsstücke? Profilie-rungssucht? Erfolgsdruck? Wirkungsbefangenheit? Bestätigungszwang? Was hemmt uns wirklich, auf politische und gesellschaftliche Krisen schnell zu reagieren? Macht das Theater Phönix ein Theater der Zeit, oder schwimmen wir ebenfalls mit im Sog des Erfolges mancher großer Stücke? ,

Ich möchte vorerst beim Fragen bleiben. Was ist aktuelles Theater? Wie präsentieren sich zeitgemäße theatrale Formen? Sind es auf den Punkt gebrachte Dokumentationen aktueller Ereignisse? Ist es ein inszenierter Inlandsoder Auslandsreport? Genügt es, aktuelle Schicksale auf die Bühne zu stellen? Natürlich weiß ich, daß es eine Fülle von Autoren und Stücken gibt, die nahe an der Aktualität sind, die die Probleme der Zeit erfassen. Jedoch in einer radikalen Diskussion genügt es nicht mehr, Themen auszuwechseln. Wir müssen noch eine Frage stellen. Verändern Golfkrieg, Umstürze in Osteuropa und verheerende Naturkatastrophen nicht auch nachhaltig die Aufgaben der Theater? Es genügt wahrscheinlich nicht, der medialen Verwertungsmaschinerie im Zusammenhang mit dem Golfkrieg nur neue Inhalte und aktuelle Themen entgegenzusetzen, sondern es gilt, eine Suche und Forschungsarbeit anzutreten, die alte Formen grundsätzlich in Frage stellen und aufreißen. Das verlangt Diskussion und Risikobereitschaft sowohl von den Machern als vom Publikum. Natürlich besteht angesichts der Intensität jüngster Krisen die Gefahr eines kunsttheoretischen Fatalismus, denn angesichts der Dimension von Bangladesh oder der Kurdenkrise ist alles belanglos: das Schreiben, die Ästhetik und auch die Bühne. Doch glaubwürdig wird speziell Theater in Zukunft nur dann sein, wenn Strukturen in Bewegung geraten und Gewohnheiten infrage gestellt werden. Gerade als „anderes Theater” müßten wir uns auf eine solche Suche begeben, Diskussionen anregen und Strukturen überprüfen. Wir müssen ganz einfach auch Probleme ansprechen, die zeitgemäß sind. Die nächste Saison ist vielleicht ein kleiner Schritt, zu neuen Verbindlichkeiten vorzustoßen, Neues zumindest zu wagen, aktuelle Themen zu diskutieren. Das Theater Phönix darf aber nicht nur ein Haus für den Theaterkonsum sein - da gingen wir schwer an unserem Auftrag und an unseren

Möglicheiten vorbei -, sondern ein Ort, wo Ideen geboren werden, Visionen ausgesprochen und Pläne geschmiedet werden. Daß so etwas funktionieren kann, haben die Diskussionsabende mit großem Publikumsinteresse zumindest im Ansatz gezeigt, oder anders ausgedrückt, diese Abende haben dafür Mut gemacht.

Die Theatersaison 91/92 beginnt mit einem Beitrag zur Ars Electronica 91; gleich zu Beginn der Saison also eine Chance, völlig Neues zu wagen, noch dazu zu einem -wie uns scheint - sehr zeitgemäßen Thema: „Out Of Control”. Der Projekt-Titel unserer Arbeit heißt „Der kranke Raum”. Ein Projekt, das Musik, Schauspiel und

Projektionen auf eine Weise verbindet, die den üblichen Rahmen sprengt. Aufgelöst wird auch der traditionelle Zuschauerraum. Also kein Vorspieltheater, kein Konsumentenabend, sondern ein Projekt, bei dem grundsätzliche Dimensionen wie Zeit und Raum anders erfahrbar gemacht werden.

Anfang Oktober gibt es nach längerer Zeit wieder eine Kindertheaterpremiere: die österreichische Erstaufführung des Grips-Theater-Stückes von Volker Ludwig „Himmel, Erde, Luft und Meer”. Ein eindeutiges Stück zum Thema Umwelt für Kinder ab 9 Jahren.

Mitte November dann die Premiere von Turrinis „Tod und Teufel”. Ein Stück, das in der Öffentlichkeit viel diskutiert wurde, am Burgtheater uraufgeführt wurde und inzwischen in einigen deutschen Städten für Aufregung gesorgt hat. Peter Turrini schickt einen kleinen Landpfarrer auf die Suche nach der Sünde. „Tod und Teufel” ist Turrinis Antwort auf die Verlogenheit und Käuflichkeit der Welt.

Eine weitere österreichische Erstaufführung gibt es Anfang Februar 1992. Zum ersten Mal wird Thomas Baum in einer Theaterproduktion im Theater Phönix vorgestellt. Sein Stück „Kalte Hände” thematisiert ein Tabu: Inzest und sexuelle Gewalt gegen Kinder. Ein Thema, das gerade in letzter Zeit mediale Aufmerksamkeit erreicht hat, das aber schon viel zu lange verschwiegen und verdrängt wird.

Vor diesen drei Theaterpremieren gibt es noch zwei beachtenswerte Gastspiele: Thomas Baum ist wieder als Chansonnier zu sehen. In 15 Abenden präsentiert er seine neuen Lieder und Texte. Anschließend findet ein Wiedersehen mit dem österreichischen Kleinkunstpreisträger Peter Honegger alias Crouton statt. Die Uraufführung seines neuen Programms wird im Oktober im Theater Phönix zu sehen sein.

Daß damit die Fragen, die ich eingangs gestellt habe, natürlich noch nicht beantwortet sind, ist klar. Mit den gestellten Fragen, aber auch mit den Inszenierungen möchten wir auch eine Einladung aussprechen an jene, die interessiert sind, Neues zu suchen, über die Erfordernisse von aktuellem Theater zu sprechen und zu diskutieren.

Liebe Leser, liebes Publikum, genießen Sie den Sommer und willkommen im Herbst.

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