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Pickerl-Philosophie

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Bold nach dem Beginn dessen, was als „Pickerl-Sturm“ dem auf Welt-Stories dieses Genres stets versessenen Boulevard so recht gelegen kam, war alles, wie es immer ist: Alle waren gleich, aber einige waren noch gleicher, ob einer gleicher war als die anderen oder nur gleich, hing allerdings diesmal von zusätzlichen Faktoren ab. Darunter nicht zuletzt geographischen und zeitlichen.

Zehn Prozent, so schätzte eine Zeitung, fahren mit einem „S“, fünf Prozent nach den Angaben einer anderen Zeitung, was darauf schließen läßt, daß die Informanten der Journalisten am Montag noch nicht klar sahen. Tatsache scheint zu sein, daß in manchen Gegenden Österreichs das begehrte „S“ jedem zuteil wurde, der nachweisen konnte, daß er sechsmal pro Woche arbeitet und seinen Arbeitsplatz nur mit dem Wagen erreichen kann, während anderswo in gleichgelagerten Fällen hart entschieden wurde: dann sei eben der Sonntag für autolos zu erklären. Was bedeutet, daß auf den privaten Gebrauch des Kraftfahrzeuges für Freizeitzwecke weitgehend verzichtet werden muß.

Man wird abwarten müssen, ob nicht der autolose Tag neue Belastungen für die Landbevölkerung bringt und die Städter, vor allem jene, die im Stadtkern wohnen und arbeiten, viel weniger hart trifft. Alle Auguren sind sich aber darin einig, daß die psychologischen Auswirkungen dieser Sparmaßnahme wesentlich schwerer wiegen als der faktische Spareffekt.

Mehr als sieben Prozent Treibstoffeinsparung erwartet sich kaum jemand vom autolosen Tag und wenn alle in Österreich verfügten Sparmaßnahmen, autoloser Tag plus Tempo 100, zehn bis fünfzehn Prozent Minderverbrauch einbringen, haben wir großes Glück gehabt.

Dabei wäre nicht nur an Aufklärung darüber zu denken, wie man nun tatsächlich sparsamer fahren kann, sondern auch daran, wie jenes neue „Stadt-Fahrklima“ geschaffen werden kann, das die Voraussetzung für sparsameres Fahren bildet. Seien wir doch ehrlich: Vor allem in der Großstadt hat sich ein autofahrerisches Cätch-as-catch-can herausgebildet, dem der einzelne Fahrer nur noch durch lenkerische Demutsgesten entrinnen kann. Indem er sich etwa an jeder Kreuzung vom Pulk der mit mächtigem Tritt aufs Gaspedal steigenden „Straßenkameraden“ abhängen läßt. Benzinsparendes Fahren bedeutet heute in der Großstadt, langsamer als das Gros weiterzukommen. Dieses Klima kann nur durch Eingriffe von außen beeinflußt werden, die aber nicht autoritärer Art sein sollen. Möglicherweise könnten die Kraftfahrverbände mehr als zumindest das Tempo 100 zur Einsparung von Treibstoff beitragen, wenn sie mithelfen, einer sparsamen Fahrweise den Charakter des Schicken zu verleihen. Zu denken wäre etwa an ein — weiteres/ — „Pickerl“, das, am Heck eines Wagens angebracht, zum Ausdruck bringt, daß der Lenker sich weder aus Dummheit, noch aus Hasenherzigkeit überholen läßt, sondern aus Verantwortungsbewußtsein.Die Folgen wären nicht nur günstig für die Treibstoffsituation, sondern auch für die Unfallstatistik und für das menschliche Klima auf unseren Straßen.

Dies alles natürlich unter der Voraussetzung, daß uns keine Rationierung bevorsteht und daß alle Sparmaßnahmen mehr den Zweck haben, den österreichischen Benzinverbrauch auf dem Ist-Stand einzufrieren, als den echter und massiver Einsparungen. Doch glaubt in Österreich ohnehin ein immer geringerer Prozentsatz der Kraftfahrer an die Rationierung — einfach deshalb, weil man so gut wie nichts über offizielle Überlegungen gehört hat, tote die Rationierung optimal durchgeführt werden könnte.

Gleiche Ration für jeden wie in Schweden? Wer davon ausgeht, vergißt erstens, daß der schwedische Kfz-Bestand hubraum- und leistungsmäßig weniger inhomogen ist als unserer, und vergißt vor allem, daß in Schweden die Versorgungssituation schwieriger ist, weil Schweden kaum über eigene Raffineriekapazitäten verfügt. Das bedeutet Import von Fertigprodukten in großem Maßstab und die Unmöglichkeit, durch Variieren der Raffinerieprozesse Umschichtungen vorzunehmen, aus gleichen Rohstoffmengen Ausgangsprodukte in verschiedener Mengenzusammensetzung herzustellen.

Wenn Österreichs vom Kraftfahrzeug abhängige Wirtschaft nicht stillstehen soll, muß nach dem Verwendungszweck der Fahrzeuge unterschieden werden, was aber ein Vorausdenken notwendig machen würde, von dem bisher kaum Spuren erkennbar wurden. Alle diesbezüglichen Fragen stehen offen im Raum: Unterscheidung nach dem Charakter als Privat- oder Firmenfahrzeug? Was ist dann mit dem als Privatwagen gemeldeten Fahrzeug eines Vertreters? Gleiche Mengen für alle Lieferfahrzeuge? Egal, ob nur in Wien oder zwischen Wien und Bregenz unterwegs? Oder etwa Rationierung für Privatwagen, freier Verbrauch für Firmen? Wenn nicht — dann vielleicht ein Ausgehen vom Vorjahresverbrauch? Wer kontrolliert dann die Fahrtenbücher? Was geschieht, wo — mit finanzamtlicher Bewilligung — solche nicht geführt werden? Und wieviel bekommen neugegründete Firmen? Tausend Detailfragen, aber im Detail sitzt der Teufel ja bekanntlich.

Die totale Funkstille der Verantwortlichen über diese Probleme läßt als wahrscheinlich erscheinen, daß sie an eine Benzinrationierung längst nicht mehr denken. Die Alternative hieße Verantwortungslosigkeit — denn man kann Maßnahmen, die solche Differenzierungskünste erfordern, nicht in aller Stille vorbereiten. Und es ist auch nicht anzunehmen, daß man sich darauf verläßt, Verteilungsmechanismen über Nacht aus dem Boden stampfen zu können. Kammern, Gremien und Zünfte wären dafür so ungeeignet wie Gewerkschaften, Betriebsräte und so weiter — vor allem, wenn nicht genügend Vorbereitungszeit zur Verfügung steht.

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