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Pietätvolles Unverständnis?

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Wien und die Welt feiern Arnold Schönbergs 100. Geburtstag: Mit einer Festwochenausstellung der Stadtbibliothek in der Wiener Secession, mit der Uberführung der Aschenurne aus den USA und einer festlichen Beisetzung in einem Ehrengrab der Stadt Wien im Zentralfriedhof, mit dem ersten internationalen Schönberg-Kongreß, einem — allerdings nicht so recht überzeugend gelungenen — Film, mit ein paar in Secession und Künstlerhaus-Theater arrangierten Festwochenkonzerten, die vergessen lassen sollen, was man jahrzehntelang versäumte, und daß auch jetzt es sich keine der großen Konzertgesellschaften angelegen sein ließ, wenigstens eines der großen Schönberg-Werke aufzuführen, ja, daß auch aus der Staatsoper nichts verlautete von einer Wiederaufnahme der beispielhaften „Moses-und-Aaron“-Produktion anläßlich des Geburtstags am 13. September.

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Wien und die Welt feiern Arnold Schönbergs 100. Geburtstag: Mit einer Festwochenausstellung der Stadtbibliothek in der Wiener Secession, mit der Uberführung der Aschenurne aus den USA und einer festlichen Beisetzung in einem Ehrengrab der Stadt Wien im Zentralfriedhof, mit dem ersten internationalen Schönberg-Kongreß, einem — allerdings nicht so recht überzeugend gelungenen — Film, mit ein paar in Secession und Künstlerhaus-Theater arrangierten Festwochenkonzerten, die vergessen lassen sollen, was man jahrzehntelang versäumte, und daß auch jetzt es sich keine der großen Konzertgesellschaften angelegen sein ließ, wenigstens eines der großen Schönberg-Werke aufzuführen, ja, daß auch aus der Staatsoper nichts verlautete von einer Wiederaufnahme der beispielhaften „Moses-und-Aaron“-Produktion anläßlich des Geburtstags am 13. September.

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Wie stets in .solchen Gedenk-,^Fäl-len“ gibt es auch hier wieder viel Wirbel um Schönberg — immerhin „positiven“! —, aber für das Werk Schönbergs, für Aufführungen seiner in den landläufigen Abonnementprogrammen noch immer nicht integrierten Werke, für Möglichkeiten, dem Publikum den Zugang zu diesem Oeuvre zu erleichtern, wird auch jetzt kaum Nennenswertes getan. Außer, daß man ihm, dem 1951 in Los Angeles verstorbenen, posthum allen Ruhm zuerkennt. Unwillkürlich erinnert man sich Paul Stefans 1931 in Berlin erschienener Chronik „Das Grab in Wien“, wo er schreibt: „Die zukunftverheißende Kunst ist unbeliebt. Zwar einem, der gestorben ist, verzeiht man manches (Fall Mahler!). Der darf sogar als „Attraktion“ einer Musikwoche Fremde ködern helfen. Aber die Lebenden! Die Vertreibung Schönbergs war ein böses Zeichen. Gewiß, man hatte eine Dozentur für ihn. Aber keine Bezüge, keine Preise, keine Mittel. Anderswo schafft man Platz für das Genie. Bei uns ebnet man ihm den Weg zur Fremde...“

Zwar gibt es keine Verdammungen Schönbergs und seiner Lehre mehr. Für Pfeif- und Zischkanonaden, etwa wegen seines Klavierkonzerts, würde sich das Publikum längst genieren. Und selbst erbitterte Gegner Schönbergscher Lehren würden heute wohl kaum Sätze schreiben, wie sie 1919 noch in der Tagespresse standen und vereinzelt noch nach dem Zweiten Weltkrieg auftauchten:

„Wenn einmal in der Kunst an Stelle der Schönheit die klangliche Häßlichkeit auf den Thron gesetzt wird, dann wird Schönberg zweifellos der Beethoven der neuen Musik und wenn für verworfene Musiker eine eigene Höllenabteilung existieren sollte, so dürfte dort Tag und Nacht die neue Schönbergmusik erschallen. Und es gibt Menschen, die diesen Mißklängen frenetisch zujubeln! ... Das Betrübende an der Sache aber ist und bleibt die unheilvolle Wirkung, die diese von Schön-berg ins Extrem geleitete Richtung auf unseren Künstlernachwuchs ausübt und das gesunde Empfinden von Hunderten langsam zu vergiften droht. Die Jugend ist nur allzu geneigt, kritiklos allem Ungewöhnlichen zuzujubeln. Die von diesen giftigen Treibhausprodukten überreizten Nerven werden für feinere und natürlichere Kunsteindrücke mit der Zeit vollständig abgestumpft... Dreimal wehe einer Kunst, die sich auf solchen Wegen bewegt!“

Aber hat sich die Situation des Werkes Schönbergs wirklich entscheidend geändert?

Gewiß, Ensembles wie „die reihe“, unter Cerha oder Boulez' Pariser „Domaine“ haben seit ihrer Gründung geradezu Pionierarbeit geleistet. Aber nach fünfzehn Jahren „Aufbauarbeit“ auf dem Gebiet der neuen Musik ist Schönberg zum Beispiel in Wien auch heute noch mehr oder minder in das Ghetto von ORF-Konzerten, zum Beispiel der „reihe“, verbannt. Ja, man braucht sich gar nicht darüber hinwegzutäuschen: Schönberg, der „große unbequeme Meister“, der „Erfinder der Zwölftonkomposition“, der Begründer der zweiten Wiener Schule, und wie all die „Ehrensignets“ und geistigen Verkaufsmarken vom Lexikon bis zum Readert-Digest- und Plattenkatalog lauten, rangiert ziemlich weit unten, was die Aufführungszahl seiner Werke betrifft. Noch tiefer als Anton von Webern, sein Schüler und Parteigänger in Sachen neuer Musik, dessen man zum 25. Todestag, 1970, auch nur gerade am Rande mit improvisierten Aufführungen gedacht hat.

Natürlich muß sich in Wien irgend etwas geändert, muß sich Erfreuliches getan haben, wenn schon im Fall Schönberg sogar die als konservativ etikettierten Philharmoniker freiwillig die Ehre des „Goldenen Saals“ retten und in Eigeninitiative unter Abbado Schönbergs „Uberlebenden von Warschau“ in einer mustergültigen Wiedergabe herausbringen. Wo hingegen das neuer Musik gegenüber doch aus traditioneller Verpflichtung so „engagierte“ Konzerthaus den „Fall“ sich offenbar zu ignorieren bemühte. Und im Musikverein die bereits eingeplanten „Gurrelieder“ mit Karajan glattweg fallen mußten, weil das Werk für Salzburgs Festspiele angeblich zuwenig Attraktivität, sprich: Verkaufsattraktivität haben soll und der Rentabilität wegen doch zumindest hier und dort gespielt werden müsse.

Ist es also heute wirklich so anders als damals, schon 1910, als Schönbergs Werke in Wien als „Verletzung“ des Durchschnittsgeschmacks aufgefaßt wurden und er selbst den „Hitzegrad der Auflehnung“ spürte, die ihm überall entgegenschlug, diese „Auflehnung“, die etwa 1924, zum „Fünfziger“, einen denkbaren Lehrstuhl verhinderte, so daß Schönberg im Oktober 1925 als Leiter einer Meisterklasse für musikalische Komposition an die Berliner Akademie der Schönen Künste (bis 1933) berufen wurde. Und er — der Wiener Skandale müde — gern ging.

dringendes Bedürfnis, von Wien so unbeachtet zu scheiden“, schreibt er etwa im September 1925 an einen Journalisten des „Neuen Wiener Journals“, der ihn um ein Interview bat: „wie ich es in der Zeit gewesen bin, die ich hier zugebracht habe. Ich wünsche keine Anklagen, keine Angriffe, keine Verteidigung, keine Reklame, keinen Triumph! Nur: Ruhe!“

Man darf sich da also keine Illusionen machen: Aktivitäten aller Art mögen täuschen. Aber Schönbergs Werk wird erst dann in der Gedankenwelt des Publikums einen Platz haben, wenn Konzertveranstalter nicht mehr das „Risiko“ Schönberg fürchten, wenn sie bereit sind, im Sinne erzieherischer Tätigkeit die versteinernden Abonnementkonzert-Programme klassisch-romantischer Prägung endlich durch neue Konzepte zu beleben. Vielleicht wird man im Zuge des Modetrends bis zu seinem 25. Todestag, 1976, Schönberg einen „Eingang“ verschafft haben; vielleicht wird man's aber auch bis zum 125. Geburtstag 1999 bewenden lassen, um dann das Kapitel Schönberg in gleicher Weise zu behandeln und — pietvoll-verständnislos zu erledigen! Nach Wiener Art...

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