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„Pik“—oder: „Auf den Hund gekommen“

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„Pik“ war ein bekanntes Tier in der Stadt, Gehörte er doch Mika Dunißska, die nun bereits seit zwei Monaten alles, was sich zur Lebewelt Mitrovitzas zählte, allabendlich in das sogenannte „Kolosseum“ zog.

Woher das verrauchte, nie gelüftete, schmutzige Lokal zu dem Titel kam, wußte der Teufel. Jedenfalls litt sein Besitzer an Größenwahn, schon deswegen, weil er das elende Gesüff, von dem man regelmäßig auf drei Tage Leibschmerzen bekam, „Champagner nannte, so stand's wenigstens auf der einen, ebenfalls schmierigen Weinkarte geschrieben.

Mika war nun die Attraktion des „Kolosseums“. Sie war auch für hiesige, das heißt Mitrovitzaer Verhältnisse schon ' etwas Besseres, und dann war sie „unparteiisch“. So behauptete wenigstens die Lebewelt

Nun, ganz unparteiisch schien sie doch nicht zu sein, denn sie bevorzugte einen ganz ausgesprochen: Wladimir Palkowitsch. Warum, das wußte sie wohl selbst nicht, denn Andor war reicher, Wrotnowitsch jünger und hübscher, aber — Weiber sind eben imberechenbar.

Und Wladimir Palkowitsch war dessen zufrieden, obwohl es bei ihm nicht ganz so einfach ging. Er war nämlich verlobt, veritabel verlobt.

Sie konnten zwar nicht heiraten, da kein Geld da war, aber das war nur vorderhand, „sie“ hatte eine reiche Erbtante, wenn die starb, war die Partie sogar eine glänzende. Doch da sich eben niemand gern, am wenigsten Erbtanten, zum Sterben drängen lassen, hieß es warten.

Das wäre nun ganz schön gewesen, wenn Vera — der Name sei außer der Erbschaft in spe das schönste an seiner Braut, meinte Waldimir — nicht so eigentümliche Ansichten gehabt hätte. Sie hielt nämlich ungeheuer auf Moral, Anstand und gute Sitten und hatte in der Beziehung so extravagante Ansichten, daß sie mit ihrem Bräutigam in einemfort auf Kriegsfuß war. Der Begriff „Liebe“ mußte bei Wladimir etwas Reales haben, sonst pfiff er darauf, seinem eigenen Ausspruch zufolge, und da Vera für so was gar kein Verständnis hatte, mußte er eben anderwärts Ersatz suchen gehen. Und Mika war hiefür wie geschaffen! Die weiß doch, was Liebe ist! Wenn's nicht wegen der Erbtant' war, das andere blöde Getue könnt' mir gestohlen werden, wo's so viel nette Weiber gibt, hatte er einmal gesagt. Das Unangenehme dabei war nur, daß er die Geschichte mit der Duninska möglichst vertuschen mußte. Wenn Vera dahinterkam, dann adieu Vera! Das heißt nämlich, die Erbtante mitsamt ihrer Erbschaft.

Heute war er das erstemal unvorsichtig gewesen. Er hatte Mika auf die Bahn begleitet Sie hatte aber auch so schön gebeten, daß er es endlich tun mußte. Zum Glück war er niemandem Bekannten begegnet Als sie schon im Coupe stand, war ihm plötzlich eingefallen: „Pik“ fehlte ja, der unzertrennliche Begleiter.

„Wo ist denn .Pik, Mika?“

„Zu Haus, ich kann das Vieh doch nicht so überall mit mir herumschleppen.“ Sie konnte ja nicht sagen, daß Nikolajevics, zu dem sie fuhr, Hunde geradezu haßte, selbst wenn sie einer Mika Duninska .gehörten.

„Wenn er nur am Ende nichts anstellt“

„Ah, was sollt' er denn machen? Also, adieu, John.“

Sie nannte ihn John, das klänge, viel schöner als Wladimir, so heiße hier fast jeder Dritte, und da es Mika war, ließ er es sich gefallen.

Der Zug pfiff und war ein paar Minuten später verschwunden.

Wladimir seufzte erleichtert auf. Gott sei Dank, die Gefahr war glücklich vorüber.

Er sah auf die Uhr, Schon 4 Uhr. Da mußte er zu Vera; sie hatte Gesellschaft. Wenn er nur an all die faden Mädel dachte, die immer dasaßen, als wenn sie nicht bis fünf zählen könnten und bei der geringsten Anekdote, die er erzählte, ganz empört dreinschauten, wurde ihm schon übel.

Er kannte eben keine anderen Anekdoten und schlecht waren sie doch nicht. Aber was konnte man machen?

Er wanderte langsam die Straße herunter. Plötzlich fuhr er zusammen, wie wenn er einen Stoß von rückwärts erhalten hätte! Und nun an ihm hinauf, laut bellend und mit den schmutzigen Pfoten breite Kotstreifen auf seinem lichten Überzieher hinterlassend. Das war ja „Pik“! Verfluchtes Vieh. Er hatte ja so eine Ahnung gehabt Wie der nur ausgekommen war. Das Tier wollte sich gar nicht beruhigen. Er schlug nach ihm. Das faßte er als Spaß auf und umkreiste ihn bellend in weiten Sätzen. Wenn ihn jemand mit dem Vieh sah — da konnte er hundertmal leugnen. Vielleicht wenn er sich nicht um ihn kümmerte. Und ohne sich umzusehen, und ohne auf den Hund zu achten, ging er weiter.

Richtig verstummte das Bellen. Gott sei Dank!

Na, jetzt wußte er auch, wie „Pik“ ausgekommen war. So eine Idee auch, das Fenster bei einer Parterrewohnung offen zu lassen. Ob so Weiber nur im geringsten dachten!

Hoffentlich war das Vieh abgefahren. Er blieb stehen und sah sich um. Da — keine fünf Schritte hinter ihm, als wenn er's nie anders gewohnt gewesen wäre, stand „Pik“ und sah ihn schweifwedelnd an.

Er wußte nicht auf wen er in dem Moment einen größeren Zorn hatte, auf Mika oder den Hund. Und dabei seiner Wut nicht einmal ordentlich Luft machen können!

Natürlich kamen jetzt auch noch Bekannte. Da hieß es weitergehen, vielleicht blieb das Vieh beim Hause zurück. Er ging immer schneller und schneller, ohne daß er es wagte, sich umzublicken.

In fünf Minuten war er bei Vera Wenn ihn jemand von der Gesellschaft mit dem Hunde sah — das gab eine Katastrophe. Sich entschuldigen? Da hätt' er gerade so gut das Blaue am Himmel droben leugnen können.

Er war bei einer Seitengasse angelangt. Nun wollte er sehen — Himmel, Hölle, Tod und Teufel! Die Bestie war noch immer da. Eine grenzenlose Wut stieg in ihm auf.

Gerade heute mußte er seinen Revolver daheim lassen, er hätte das Vieh ruhig mitten auf der Gasse niedergeschossen. So kochte es in ihm. Da durchzuckte ihn ein Gedanke. In die Seitengasse einbiegend, schritt er auf einen der Schotterhaufen zu, die dort aufgehäuft lagen.

Dann fünf oder sechs recht große, kantige Steine nehmend, drehte er sich rasch um und nun — wie das hagelte. Getroffen! Mochte das Vieh hin werden! Aber „Pik“ hatte, die Gefahr erkennend, beim zweiten Steinwurf heulend Reißaus genommen und jagte nun, den Schweif zwischen die Beine geklemmt die Straße hinunter.

Gott sei Dank! Es hatte also gewirkt Jetzt nur den Augenblick ausnützen, eh das Vieh am Ende wieder umkehrte. Und Palkowitsch fing zu rennen an, daß die Bock-schössel nur so flogen. ■ Erst als er atemlos die Tür des Hauses, in dem Vera wohnte, hinter sich zumachte, nicht ohne noch ängstlich auf die Gasse hinauszublicken, kam ihm sein Benehmen recht zur Besinnung. Teufel! Wenn ihn jemand so rennen gesehen hatte! Die Leute mußten ihn ja für verrückt halten. Und alles wegen dieser gotverdammten Bestie, mit der er nur Mikas wegen immer so freundlich gewesen war. Hätte er ihm lieber gleich Gift anstatt Zucker gegeben!

Wie er aussah. Der Schweiß tropfte ihm nur so von der Stirn, der Hemdkragen war ganz verschwitzt und die Krawatte hing fast wie ein Fetzen herunter. Dazu überall die Spuren von „Piks“ Pfoten.

Vor der Tür im ersten Stock blieb er stehen und reinigte sich ein wenig; dann läutete er an. Da — klang's nicht von unten von der Haustür wie Kratzen und Scharren? Mir scheint er litt auch noch an Halluzinationen, oder sollte „Pik“ am Ende — er hatte keine Zeit darüber nachzudenken, der Diener öffnete.

Als Palkowitsch, gründlich gereinigt in den Salon trat, empfand er ein Gefühl wohligen Behagens. Hier wenigstens war er vor „Pik“ sicher. Heute ging er hier nicht so bald fort, am Ende wartete die Bestie wirklich unten auf ihn.

Er wurde fast freundlich mit den jungen Mädchen, obwohl sie ihm wenig Beachtung schenkten. Hatte er nicht recht? Diese dummen Dinger gingen ja alle nur auf's Heiraten aus, und da er bereits verlobt war, zählte er für sie nicht. Gänse! — Aber er wollte sich seine gute Laune nicht verderben lassen.

Und so setzte er sich zu dem dicken, alten Doktor und begann mit ihm von Verdauungsstörungen zu sprechen. Mein Gott! Das war das einzige, worüber der reden konnte und da konnte man immer etwas profitieren. Amüsant war's ja gerade nicht besonders, da der Doktor meist den Mund voll belegter Brötchen hatte und daher beim Sprechen schmatzte, daß man die Hälfte nicht verstand.

Draußen klingelte es. Wahrscheinlich war noch ein verspäteter Gast gekommen. Man hörte im Vorzimmer einen erregten Wortwechsel, dann polterte etwas gegen die Tür, daß dieselbe jählings aufsprang. Und nun, zunächst in die Portiere verwickelt, daß dieselbe krachend in Fetzen riß, ein blutiges, kotiges, zottiges Ungeheuer, rücksichtslos sich zwischen den kleinen Tischen durchdrängend — daß Nippes, Gläser und Teetassen klirrend in Scherben gingen: ,3k“ Die Fetzen der Portiere wehten wie tolle Fahnen hinter ihm her, alles umreißend, was ihm in den Weg kam.

Es war nur ein Aufschrei des Entsetzens. Auf Stühlen, am Tisch, auf dem Klavier standen sie, flüchtend vor dem Untier, zwei ältere Damen lagen ohnmächtig auf dem Sofa, der Doktor, dem der Bissen im Halse steckengeblieben war, drohte, blaurot zu ersticken, nur Palkowitsch starrte, unfähig, ein Wort herauszubringen, wie versteinert auf „Pik“, der, ihn endlich erkennend, mit einem Freudengeheul an ihm hinaufsprang. In der Tür aber, halb versteckt durch die eine Hälfte der zerrissene Portiere, hinter die sich Vera im allgemeinen Entsetzen geflüchtet hatte, stand Andor, der kleine Andor, und setzte das unschuldigste Gesicht auf, als er mit feinem Lächeln, die Verwirrung überblickend, sagte: „Pardon, aber der Hund wartete draußen vor der Tür, ich dachte, er gehöre einer der Damen.“

Wäre Palkowitsch nicht zu allem unfähig gewesen, er hätte in dem Moment den kleinen Andor einfach erschlagen oder sonstwie umgebracht.

So eine Gemeinheit! Andor kannte das Rabenvieh genauso wie er selber; der gemeine Kerl!

„Aber, das ist ja jPik! Der Doktor hatte, sich endlich aufraffend, und zuerst ängstlich über seine rote Nase hinweg auf das Tier starrend, lachend die Worte ausgerufen.

„ ,Pik'? Wer ist .Pik?“

Schon war Vera vorgetreten, alles horchte auf. Wem gehörte das Tier?

„ ,Pik', nun das ist eben ,Pik. Sie kennen ihn freilich nicht Fräulein Vera. Der gehört der Duninska.“

Palkowitsch wäre wahrscheinlich auf der anderen Seite der Erde wieder herausgekommen, hätte er in dem Moment so tief versinken können, als er sich wünschte.

Duninska! Den, Namen kannten sie alle, und nun ihr Hund, der hier zu seinen Füßen lag, als wäre er das gar nie anders gewohnt

„Verflucht!“ Er brachte nur das eine Wort heraus, verbunden mit einem Fußtritt, daß „Pik“ aufheulend in eine Ecke floh.

Fünf Minuten später war er mit „Pik“, den er trübselig an einem Spagat angebunden hinter sich herzog, auf dem Wege nach seiner Wohnung. Er wußte nicht, was in den fünf Minuten vorgefallen, er spürte nur, daß in ihm eine Wut kochte, die ihr Opfer verlangte. Daheim angelangt, schoß er „Pik“ einfach, nieder.

Am anderen Tag erhielt Palkowitsch drei Briefe. Einen von Vera, in dem sie ihn ersuchte, ihre Verlobung als aufgelöst zu betrachten, den zweiten von Mika, die sich seine weiteren Besuche dringendst verbat und den • dritten von einem Advokaten, der ihn im Namen Mikas um 300 Francs Schadenersatz für „Pik“ ersuchte, widrigenfalls die Klage eingeleitet würde.

Zwei Tage später schoß ihn der kleine Andor, den er auf der Gasse geohrfeigt hatte, zum Krüppel und heiratete ein halbes Jahr nachher Vera, nachdem die Erbtante glücklich gestorben war. Das war „Piks“ Rache.

Wladimir Palkowitsch aber hat nur eines, woran er sich schadlos halten kann: „Piks“ zottiges Fell.

Das benützte er als Bettvorleger, und abends und morgens beim Niederlegen und Aufstehen stampfte er mit beiden Füßen darauf herum mit einem Gefühl wilder Schadenfreude und bedauerte nur, daß „Pik“ schon tot war.

Denn er übt diese Beschäftigung so gründlich, daß von einem „Fell“ längst nichts mehr zu bemerken ist. Aber Wladimir Palkowitsch genügt zur Befriedigung seiner Rache auch die „Haut“.

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