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Pille ohne Wissen der Eltern?

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Kürzlich fand in Wien eine wissenschaftliche Tagung der österreichischen Gesellschaft für Familienplanung zum Thema „Kontrazeption in den Grenzbereichen der Fertilität“ statt. Wenngleich sich nur ein Referat direkt mit Fragen der Abtreibung befaßte - Primarius Rockenschaub, der seine Berechnungen über die Zahl der in Österreich jährlich durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche (ca. 100.000) darlegte -, so lag dieses Thema doch dauernd in der Luft. .

Interessant war, daß wiederholt von sozialistischen Landespolitikern betont wurde, wie unerwünscht und vorbeugenswert Abtreibungen seien. Man verstieg sich sogar zu der Behauptung, die Zahl der Eingriffe ginge zurück. Wie es aber oft Art der Politiker ist, blieb man nicht bis zur Diskussion, in der die Gründe für derartige Behauptungen hätten erhoben werden können. Sie eilten vorher davon.

Die Fachleute redeten freilieh eine andere Sprache, nicht nur Primarius Rockenschaub. Die jugoslawische Ärztin Dr. Andolsek, die für die Weltgesundheitsorganisation WHO arbeitet, begann ihre Ausführungen mit dem Hinweis auf die speziell wichtige Rolle der Empfängnisverhütung, da die Abortusziffern bei jungen Mädchen generell steigen und da Kinder von Frauen, die bereits eine oder mehrere Abtreibungen hinter sich haben, ein niedriges Geburtsgewicht haben oder Frühgeburten sind.

Wie gesagt, die Politiker waren nicht mehr da, und von den Anwesenden widersprach niemand ihrer Behauptung. Sie hatte sie auch nicht als These, sondern als eindeutige Feststellung und offizielle Meinung der WHO ausgesprochen.

Es wurde eine Fülle von Themen kurz angerissen, wobei eine gewisse Schizophrenie zutage trat: Während Prof. Husslein angesichts des gegenwärtigen Geburtenrückgangs vehement erklärte: „Der Geburtensturz geht jeden an“, ist doch gerade die Familienplanung, von wenigen Ausnahmen abgesehen, mit der Kontrazeption, also Empfängnisverhütung, befaßt.

Das bedeutet in vielen Fällen eine Entscheidung gegen das Kind oder eine Entscheidung für ein oder zwei Kinder, mehr nicht. Die Klinik Husslein und die Gesellschaft für Familienplanung sind ja bekannt für reiche Erfahrung mit Intrauterinpessaren, und so nahmen Erfahrungsberichte darüber auch einen breiten Raum ein.

Beunruhigend und frustrierend war für die anwesenden Mediziner jene Information, die sie zum Thema „Rechtliche Aspekte der Kontrazeption bei Jugendlichen“ erhielten. Nur wenige von ihnen schienen sich vordem bewußt gewesen zu sein, in welch prekärer Rechtslage sie tagtäglich beim Umgang mit minderjährigen Jugendlichen agieren.

Sieht das Famihenrecht ein subjektives Erziehungsrecht der Eltern ihren Kindern gegenüber vor und meint man, die Sache sei damit eindeutig geregelt, so muß man doch berücksichtigen, daß mit fortschreitendem Alter des minderjährigen Jugendlichen auch das Persönlichkeitsrecht des Kindes sukzessive zunimmt. Es müßte daher der behandelnde Arzt jeweils für sich die Frage klären, ob und wieweit das Erziehungsband zwischen Eltern und Kind intakt ist, wieweit der Rechtsanspruch des minderjährigen Jugendlichen auf Grund seiner eigenen Entwicklung unabhängig von den Eltern gegeben ist.

Zu Beginn seiner Ausführungen behauptete Ministerialrat Ent vom Justizministerium, er könne vorwegnehmen, daß weder der Arzt noch der in einer Familienberatungsstelle Tätige verpflichtet sei, auf den Willen der Eltern Rücksicht zu nehmen, es sei denn, dieser Elternwille sei ihm ausdrücklich zur Kenntnis gebracht worden und unterscheide sich von dem des Jugendlichen.

Diese Behauptung wurde allerdings relativiert, als die Frage auftauchte, was passiert, wenn ein Mädchen, ausgerüstet mit einem Krankenschein, den es von den Eltern -vielleicht unter einem Vorwand - erhalten hat, in die Ordination kommt und ein empfängnisverhütendes Mittel haben will. Der Arzt meint, die Eltern seien informiert, und verschreibt, was er für richtig hält. Am nächsten Tag ruft die Mutter an, um zu wissen, was los war. Gilt da nun seine ärztliche Schweigepflicht oder nicht?

Eine eindeutige Antwort gab es nicht. Noch schwererwiegende Fragen tauchten auf, z. B.: Was passiert, wenn es auf Grund einer den Eltern nicht bekannten Behandlung zu einer Infektion kommt, die zu einer lebenslangen Unfruchtbarkeit führt?

Die Ärzte hätten gerne Ja/Nein-Antworten gehört, die es auf Grund der Rechtslage aber nicht zu geben scheint und so einigten sie sich denn bei der Tagung auf Anwendung einer Faustregel: keine Empfängnisverhütung ohne Wissen der Eltern unter 14 Jahren; bei Mädchen über 14 Jahren wird die Sache zwischen Arzt und minderjährigem Jugendlichen abgehandelt.

Da die Themenstellung „Rechtliche Aspekte der Kontrazeption bei Jugendlichen“ gelautet hatte, wurden Fragen über den Schwangerschaftsabbruch bei Jugendlichen vom Vorsitzenden gar nicht erst zugelassen. Eine eingehende Information über dieses Thema wäre freilich gleichfalls dringend nötig.

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