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Pinochets „neue Demokratie“

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Die intensiven Diskussionen über das Waffenembargo gegen Südafrika, der Konkurrenzkampf zwischen Israel, England, Frankreich und der Bundesrepublik um den lateinamerikanischen Rüstungsmarkt und der Vertrag, den Israel mit Chile auf Lieferung von Raketen und Technologie geschlossen hat, aktualisieren das Problem der Isolierung. Die Vereinigten Staaten haben die Militärhilfe für Chile gestrichen und mit der Begründung, das Pinochet-Regime verletze fortwährend die Menschenrechte,jie facto auch die Gewährung internationaler Darlehen verhindert

Auch Staaten wie Frankreich und die Bundesrepublik, die nach außen hin freundschaftliche Beziehungen zu dem Chile Pinochets aufrecht erhalten, haben öfters zu erkennen gegeben, daß sie die Unterdrückung der politischen Freiheit und vor allem die brutalen Übergriffe des Sicherheitsdienstes („Direcciön de Inteligencia Nacional“ -„DINA“) schärfstens mißbilligen. Pinochet hat den Geheimdienst daraufhin aufgelöst

Es läßt sich noch nicht klar erkennen, ob die Ersatz-Organisation Grundsätze der Menschlichkeit und des Rechts beachtet Vor allem aber hat Pinochet jüngst erklärt, er wolle zur „Verfassungsmäßigkeit“ zurückkehren. Hiebei folgt er einem Trend, der in ganz Lateinamerika zu beobachten ist. Auch in Bolivien, Ekuador, Peru und Uruguay wird der „Demokratisierungsprozeß" angekündigt.

Am Anfang stehen Verfassungsreformen. In fast all diesen Ländern soll dabei der politische Einfluß der Offiziere auch unter der zivilen Herrschaft verankert bleiben. Dazu dient, daß die „innere Sicherheit“, deren Wahrung den Militärs anvertraut bleibt, die absolute Priorität erhält Unter dieser Aufgabe versteht man nicht nur die Bekämpfung revolutionärer Bestrebungen, sondern die Ausschaltung jeder Form regimekritischer Einflüsse in Parteien, Vereinen, Gewerkschaften, Massenmedien oder Erziehungswesen, wobei die Gegner der verschiedensten Richtungen als „marxistisch“ geächtet werden. Es handelt sich also um eine weitgehende - wenn auch in Zukunft versteckte - Gleichschaltung, bei der die äußeren Formen der Demokratie nur scheinbar gewahrt sind.

Nach den Richtlinien, mit denen Pinochet eine Kommission unter Leitung von Dr. Enrique Ortuzar (Justizminister in der Regierung Alessandri) beauftragt hat, sollen die Parteien nicht mehr die Gesetzgebung und die Regierungskontrolle übernehmen, sondern auf die Nebenrolle „meinungsbildender Faktoren“ beschränkt bleiben. (Die Behandlung der Parteien ist sehr verschieden. In manchen Ländern werden die alten einfach zugelassen, in anderen unter Ausschaltung der früheren Aktivisten, oder die Macht wird neuen Gruppen zugespielt)

Wie weit die Gewerkschaften nach vergeblicher Einschaltung von Schlichtungsstellen Streiks werden organisieren dürfen, ist umstritten. Die Unabhängigkeit der Gerichte wird proklamiert, ist aber nach der ganzen Situation in höchstem Maße fraglich. Der „Demokratisierungsprozeß“ soll, wie in den anderen Staaten auch, gradweise verwirklicht werden, aber in Chile erst in zehn Jahren zu echten freien Wahlen führen. Die lange Frist macht das Vorhaben unglaubwürdig. Angesichts der schnell wechselnden politischen Konstellation in fast allen lateinamerikanischen Ländern läßt sich die Entwicklung nur relativ kurzfristig planen.

Trotzdem ist es sehr interesseint, daß eine immer wachsende Zahl lateinamerikanischer Staaten von der Diktatur, die in allen Ländern südlich des Äquators an der Macht ist, wieder abzugehen beginnt. Mit der bloßen Ankündigung der Demokratisierung hat sich die Spannungen zu den USA vermindert und damit die drohende Isolierung ihrer Regime vermeiden lassen.

Die Suspendierung der MUitärhilfe aus den USA hatte kontraproduzente Wirkung. Die Rüstungsindustrie anderer Staaten hat die Lücke gefüllt Außerdem dient die lateinamerikanische Rüstung mehr dem gesteigerten Selbstbewußtsein der Militärs als daß sie vitaler Notwendigkeit entspräche. Eine reale Kriegsgefahr besteht nicht.

Im Rahmen dieser Rüstungsprobleme verdient das Abkommen, das Israel mit Chüe über die Lieferung von Raketen und Ausbildung geschlossen hat besondere Beachtung. Es ist ein Beweis für unerwartete Entwicklungen. Denn daß ein kleines Land wie Israel, das noch dazu in einer Situation permanenter Kriegsgefahr ist, einem südamerikanischen Staat modernste Waffen zu liefern vermag, ist ebenso erstaunlich wie die sich aus dem gemeinsamen Schicksal der Isolierung ergebende Bindung zwischen Ländern so unterschiedlicher Regierungsformen.

Auf ökonomischem Gebiet schwelt auch in Lateinamerika der Konflikt zwischen Agrar- und Industrieländern weiter. Auch gibt es vielfach eine alarmierende Inflation, trotzdem ist auch auf diesem Halbkontinent der Trend zur freien Marktwirtschaft unverkennbar. Insofern ist eine erstaunliche Ambivalenz zwischen politischer Unfreiheit und wirtschaftlicher Freiheit festzustellen.

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