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Pinochets Traum

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Die Erklärungen von Isabel Allende, der Tochter Allendes, „Chile wird ein zweites Vietnam“, und des Präsidenten der Re-gierungs-,,Junta“, General Augusto Pinochet, er trete für einen „südamerikanischen Superstaat gegen die marxistische Gefahr“ ein, kennzeichnen die beiden Extreme der sich aus der chilenischen Situation ergebenden Möglichkeiten. Ob es in Chile einen Bürgerkrieg geben kann, der von einer „Vietnamisierung“ des Landes zu sprechen erlaubt, hängt zunächst davon ab, ob eine echte Widerstandsbewegung überlebt, ob sie genügend Waffen erhält und ob wesentliche Teile des Volkes an ihr teilnehmen.

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Die Erklärungen von Isabel Allende, der Tochter Allendes, „Chile wird ein zweites Vietnam“, und des Präsidenten der Re-gierungs-,,Junta“, General Augusto Pinochet, er trete für einen „südamerikanischen Superstaat gegen die marxistische Gefahr“ ein, kennzeichnen die beiden Extreme der sich aus der chilenischen Situation ergebenden Möglichkeiten. Ob es in Chile einen Bürgerkrieg geben kann, der von einer „Vietnamisierung“ des Landes zu sprechen erlaubt, hängt zunächst davon ab, ob eine echte Widerstandsbewegung überlebt, ob sie genügend Waffen erhält und ob wesentliche Teile des Volkes an ihr teilnehmen.

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Der frühere christdemokratische Präsident Dr. Eduardo Frei, bis zum letzten Staatsstreich Präsident des Senats, hat in einem Interview erklärt, daß die marxistischen Gruppen mehr und bessere Waffen gehabt hätten als das Heer. Ob die intensiven Razzien der Revolutionsregierung die Waffendepots völlig beseitigen können, läßt sich noch nicht übersehen. Daß Kuba, trotz der starken Angriffe Castros und

seines Außenministers Roa, Waffen liefern könnte, ist nach allen Erfahrungen der jetzt abgelaufenen Guerrillaepoche zu verneinen. Moskau enthält sich in Lateinamerika jeder militärischen Intervention und sucht sogar normale Beziehungen zu den lateinamerikanischen Militärdiktaturen. Nun liegt der Gedanke nahe, daß die Guerrilleros des „MIR“ (Movimiento Izquierdista Revolucionärio — Linke Revolu-

Junta-Chef Pinochet (vorn): Normalisierung wahrscheinlich

tionsbewegung), die gegen Allende mit Morden, Attentaten und illegalen Besetzungen von Gütern und Fabriken gearbeitet hatte, nunmehr mit Parteigängern des gestürzten Regimes eine viel größere Wider-

Standsbewegung organisieren

könnte. Es handelt sich aber um winzige und stark individualistisch gefärbte Gruppen, die nur. auf Einzelaktionen gedrillt sind und geringe Anziehungskraft als eventueller Mittelpunkt einer Volksbewegung ausüben. Die „große Unbekannte“ ist die Volksstimmung. Die Revolutionsregierung betreibt eine intensive Propaganda, besonders durch das Fernsehen, um skandalöse Korruptionsaftären unter den Männern des gestürzten Regimes aufzudecken. Sie findet dabei ein um so stärkeres Echo, als „der Mann von der Straße“ durch die beispiellose Inflation, deren Halb Jahresspirale abwechselnd mit 325 und 600 Prozent angegeben wurde, durch die zerrüttete Versorgungslage und die mit hemmungslosen Verstaatlichungen verunsicherten Wirtschaftsverhältnisse immer mehr .gegen das Allende-Regime eingenommen worden war.

In welchem Grade sich die Gegensätze in Chile auf die Dauer zuspitzen, wird weitgehend von der Stärke der Repression abhängen. Die Revolutionsregierung bezeichnet sich nur als eine „Übergangslösung'“ zu einem neuen verfassungsmäßigen Regime. So mißtrauisch man in Lateinamerika derartigen Ankündigungen gegenübersteht, so wenig kann man verkennen, daß zunächst ein starker „Druck von außen“ den Trend zur Normalisierung unterstützt. Inwieweit die USA den Staatsstreich begünstigt haben, läßt sich nicht aufklären. Ohne Kredite, vor allem der USA, läßt sich aber die völlig zerstörte chilenische Wirtschaft nicht wieder sanieren. Die Revolutionsregierung hat auch Verhandlungen mit den enteigneten nordamerikanischen Kupferminen Anaconda und Kennecott aufgenommen, wobei es sich jedoch offenbar nicht um die Rückgabe des Eigentums, sondern nur um das umstrittene Entschädigungsproblem handelt. Überhaupt wird das Pinochet-Regime die vom Kongreß anerkannten Enteignungen kaum rückgängig machen; die chilenische Produktion dürfte überwiegend in öffentlichen Händen bleiben.

Außerdem- wird die etwaige Normalisierung davon abhängen, welche Bundesgenossen die Revolutions-resieruns findet. Der wichtigste Ge-

genspieler Allendes, Dr. Eduardo Frei, galt Jahre hindurch als der erste Sozialreformer Lateinamerikas. In den drei Jahren der Allende-Herrschaft bot seine Partei die Mitarbeit unter der Bedingung an, daß die „Union Populär“ in ihrer Regierungsperiode Chile nicht endgültig in eine Volksdemokratie verwandeln dürfe. (Die von Frei angebotene Alternative war evolutionäre Sozialreform.) Die Christdemokraten sind Gegner von Militärrevolutionen, aber die Mehrheit ihrer Parteigänger in Chile billigte, wenn auch nicht die Methoden, so doch das Ziel des Militärputsches. Unter der Voraussetzung, daß die Generäle es mit der Wiederherstellung verfassungsmäßiger Zustände ernst meinen, bietet sich ihnen als Ausweg eine neue Frei-Regierung. Ob die Christdemokraten die politische Verantwortung mit der „Junta“ teilen oder ob sie diese Taktik ablehnen werden, um ihr Prestige nicht allzusehr zu gefährden — auf alle Fälle scheint, mindestens im Augenblick, eine „Normalisierung“ viel wahrscheinlicher als ein Bürgerkrieg.

Pinochets Traum von einem „antimarxistischen lateinamerikanischen Superstaat“ ist zwar für die wachsende „antimarxistische Welle“ auf dem Halbkontinent symptomatisch, aber völlig irreal. Eine echte Einheitsfront wäre nur denkbar, wenn die lateinamerikanischen Staaten gemeinsam emsthaft bedroht wären. Derzeit beschränken sich aber die Terroristen auf lokale Störungsherde.

Eine Integrationsbewegung auf antimarxistischer Ebene, wie sie Pinochet offenbar vorschwebt, scheitert weiter daran, daß die Tendenzen der einzelnen Generalsregierungen weit voneinander abweichen. So stehen die Militärregimes in Peru, Ekuador und Panama nicht rechts, sondern links. Der peruanische Präsident General Juan Veläzquez Alvarado erklärte nach dem chilenischen Militärputsch sogar, daß die reaktionären Gruppen seines Landes, nunmehr ermutigt, einen neuen gegenrevolutionären Angriff begonnen hätten, nachdem sie mit ihren infantilen Versuchen “gescheitert seien, eine kommunistische Unterwanderung seines“ Regimes nachzuweisen.

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