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Pinochets wunde Stellen
Ein Dutzend Tote, zahlreiche Verwundete und wachsende Feindschaft zwischen Volk und Ordnungshütern: Das ist die traurige Bilanz des fünften nationalen Protesttages in Chile und der pompösen Zehnjahresfeiern zur Machtergreifung General Augusto Pinochets.
Ein Dutzend Tote, zahlreiche Verwundete und wachsende Feindschaft zwischen Volk und Ordnungshütern: Das ist die traurige Bilanz des fünften nationalen Protesttages in Chile und der pompösen Zehnjahresfeiern zur Machtergreifung General Augusto Pinochets.
War Pinochets Argument für das Eingreifen der Armee im Jahre 1973 gegen die Regierung Salvador Allendes (er wurde 1970 zum Präsidenten gewählt) das wirtschaftliche Chaos, das der charismatische Marxist nicht in den Griff bekommen hatte, so steht Pinochet heute selber — al-
lerdings seltsam blind dafür — vor den Trümmern seiner Wirtschaftspolitik. Die Mehrheit der Bevölkerung ist in den zehn Jahren noch ärmer geworden (wenn auch einige Jahre hindurch große Zuwachsraten im Nationalprodukt zu verzeichnen waren, die jetzt der Schrumpfung Platz gemacht haben).
So zeigt der General heute wunde Stellen. Dies aber nicht wegen der Tage des Nationalen Protests, und auch nicht wegen der Arbeiter um den jungen Gewerkschaftsführer Rodolfo Seguel (der dieser Tage wieder einmal vorübergehend festgenommen worden ist), die sich am Protest beteiligen — mit diesen Unruhen wird das chilenische Militär noch fertig. Pinochets Stolpersteine sind sein Schwiegersohn, der US- Botschafter und ein christdemokratischer Oppositionspolitiker.
Chiles gedrillte Streitkräfte stützten Pinochet nicht nur wegen seiner klaren antimarxistischen und antichristdemokratischen Linie. Sie stützten ihn auch, weil er gegen Korruption durchgriff. Und gerade in der bestehenden Wirtschafts- und Autoritätskrise belegt ein Dokument, daß Pinochet-Schwiegersohn Julio Ponce kräftig in die eigene Tasche ge- wirtschaftet hat. Als Generaldirektor der Staatsholding „Corfo“ konnte er sich Ländereien aneignen, mit Staatsgeldern Rinderherden anschaffen und bei Lieferungen an die Armee überhöhte Preise verrechnen. Der Vorwurf des „yernismo“, der Vetternwirtschaft, schadet Pinochets Ruf mehr als jede Demonstration.
Der zweite Stolperstein ist der durchaus konservative US-Bot- schafter James Theberge, dessen sanftes Fordern nach einer demokratischen Öffnung angesichts der wirtschaftlichen Lage Chiles nicht mehr wie bisher übergangen werden kann.
Der dritte Punkt, der dem General schwer zu schaffen macht, ist der Christdemokrat Gabriel Valdės, der Außenminister unter Eduardo Frei (1964 bis 1970) war. Valdės gelang es, in den vergangenen Wochen (dabei half ihm auch seine zeitweise Inhaftierung) so stark an Profil zu gewinnen, daß er Pinochet offen herausfordern darf.
So lancierte er Anfang September in einer illegalen Großveranstaltung im „Circulo Espanol“ in Santiago eine breite Parteienkoalition, die „Alianza Democra- tica“, welche sogar die Radikalsozialisten einschließt. Valdės ehrgeiziges Ziel: innerhalb von 18 Monaten Wahlen für eine Ubergangsregierung.
Unter dem wachsenden Druck hat Pinochet schon im Sommer Retuschen an seinem Kabinett durchgeführt. So besetzte er das Innenministerium zum ersten Male seit 1973 mit einem Zivilisten, dem Rechtsaußen Sergio Onofre Jarpa. (Das Finanzministerium wechselte die Besetzung nicht, so daß keine Änderung im gescheiterten Wirtschaftskurs zu erwarten ist.)
Im übrigen beschränkt sich der Präsidentengeneral auf Ankündigungen: er deutet die Bereitwilligkeit an, die nicht-marxistischen Parteien in Chile aus der Illegalität zu holen; er liebäugelt mit einem Plebiszit (das ihn bestätigen soll); er redet seit Wochen von der Gründung einer eigenen Bewegung.
Nur über eines läßt er Klarheit bestehen: Er will, wie es die von ihm gemachte und bestätigte Verfassung vorsieht, bis 1989 im Amt bleiben. Hält Augusto Pinochet daran fest, ist eine echte demokratische Öffnung nicht in Sicht, wohl aber ein Kräftemessen zwischen ihm und Gabriel Valdės. Und die Armee wird der Schiedsrichter sein.
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