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Pionier des Faustrechts

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Angesichts der Unbedingtheit, mit der sich die Türkei auf die Teilung Zyperns festgelegt hatte, hätte die Genfer Konferenz ohne den militärischen Kraftakt der Türken wahrscheinlich ohnehin genau damit, mit Taksim, dem alten türkischen Zypern-Wunschziel, geendet. Die Türkei hat nun die Befriedigung, mit Gewalt genommen zu haben, was auf friedlichem Weg alles andere als unerreichbar schien. Egevit hat den türkischen Generälen gezeigt, wer er ist (und damit den innenpolitischen Rahm abgeschöpft), die türkischen Generäle haben der Welt gezeigt, wer sie sind (und damit die USA, die immer gerne auf die Starken setzen, für sich eingenommen) — und der Preis?

Der Preis war hoch, ^phr hoch. Er wurde nicht nur von Zyprioten mit ihrem Blut, mit ihrem unnötigerweise zerstörten Eigentum bezahlt. Er wird von der ganzen Welt in politischer Währung bezahlt — die Türkei wollte es so. Der einstmals kranke Mann am Bosporus, der offenbar für seinen eigenen Geschmack schon viel zu lange brave Mann am Bosporus, wollte sich wieder als starker Mann am Bosporus profilieren. Daa ist ihm gelungen. Und die Folgen?

Die Türkei hat einen Markstein in der negativen Eskalation der weltpolitischen Sitten gesetzt, dessen Bedeutung sich erst langsam herausschälen wird. Nackte Aggression ist auf dieser Welt nichts Neues. Nackte Aggression ist in der gegenwärtigen weltpolitischen Situation vielleicht nicht gerade an der Tagesordnung, aber auch kein so seltenes und unerhörtes Ereignis, daß man darüber nicht zur Tagesordnung übergehen könnte.

Der Türkei ist etwas durchaus Neues gelungen. Bei aller Gewalt in dieser Welt wurde bislang doch wenigstens die Schiedsrichterrolle der UNO und die Unantastbarkeit ihrer Friedensstreitmacht respektiert. Mit diesem Relikt einer Periode, die sich selbst schon genügend gewalttätig und skrupellos erschien, eines Tages aber, im Rückblick, vielleicht noch friedens-nostalgischa Gefühle auslösen wird, hat die Türkei mit einer bisher ungewohnten Brutalität aufgeräumt.

Die wichtigste Lehre aus dem zweiten Zypern-Konflikt dieser letzten beiden Monate, diese türkische Lehre für die Welt, lautet: Die blauen Helme der UNO-Soldaten sitzen auch nur auf den Köpfen von Menschen, auf die man schießen kann. Und schießt man auf sie, verfinstert sich nioM der Himmel, erdröhnt nicht Gottes Stimme, sondern nur die Stimme des UNO-Generalsekretärs, der nur so stark ist, wie ihn die Großmächte halben wollen.

Die Türkei hat die Glaubwürdigkeit der UNO-Streitkräfte als Friedensgaranten erledigt. Und sie hat ein seit Hitlers Niederlage für überwunden gehaltenes Ausmaß von diplomatischer Arroganz wieder in das politische Instrumentarium eingeführt. Ausgerechnet Professor Gü-nes, den wir im Mai vergangenen Jahres in Ankara interviewt und als Urbanen Mann von Niveau kennengelernt haben, benahm sich in Genf (sicher nicht auf eigene Initiative, aber was ändert das schon), als wäre er nicht von einer Kulturnation, sondern von Hitler zu internationalen Verhandlungen entsandt worden. Dies mögen harte Worte sein, aber man bedenke: Seit Hitler hat es keine Macht, keine große mehr und keine kleine, gewagt, einer internationalen Konferenz, an der immerhin auch die Zypern-Garantiemacht Großbritannien teilnahm, eine 36-Stunden-Unterbreohung zu verweigern, Stunden-Termine zu setzen, mit dem Jetzt-oder-Nie der Diktatoren auf den Verhandlungstisch zu schlagen. Seit dem Zweiten Weltkrieg waren Ultimaten dieser Art, lange vor dem Ausschöpfen der Verhandlungsmöglichkeiten, nicht üblich. Seit dem Zweiten Weltkrieg war es nicht mehr üblich, die Schwächesituation eines Landes (hier: Griechenlands) so schamlos auszunützen, so unter den Augen der ganzen Welt.

Damit hat die Türkei ein seit den Lausanner Verhandlungen der Jahre 1922 und 1923 stets gewahrtes Renommee, keine Macht der eisernen Faust mehr zu sein, sondern das Land einer friedlichen, internationalen Verhandlungen und Vereinbarungen vertrauenden Außenpolitik, in Scherben geschlagen. Auch Egevit und auch die türkischen Generäle, gerade sie, werden bald erkennen, welchen Schaden sie den Grundsätzen eines Atatürk und eines Inönü auf diese Weise zugefügt haben.

Und auch einem weltpolitischen System, dessen Beschädigung gerade in der strategischen Situation der Türkei für diese nur neue Gefahren heraufbeschwören kann. Gegenüber der Sowjetunion ist auch der neue starke Mann am Bosporus bestenfalls ein Halbstarker. Das türkische Entweder-Oder von Genf wird bald in ein Ost-West-Entweder-Oder für die Türken übergehen. Auch für die Türkei hat die Weltpolitik im Zeichen einer UNO, die dem Frieden auch dort, wo schon ihre Truppen stehen, um die Streitenden zu trennen, ein anderes, neues, gefährlicheres Gesicht.

Aber nicht nur die türkische, auch die amerikanische Außenpolitik steht vor einem Scherbenhaufen. Im Mittelmeer fand ein absurder Rollentausch statt: Innerhalb weniger Wochen übernahmen die Griechen den türkischen Biedermanns-, die Türken den griechischen Bösewichts-Part. Die USA haben es fertiggebracht, ihrerseits das Pferd, auf das sie setzten, zu tauschen, dabei aber stets auf das falsche Pferd zu setzen. Sie hielten zu Griechenland, solange Griechenland im Unrecht war, und schwenkten zu den Türken, als diese begannen, sich ins Unrecht zu setzen. Das war eine Meisterleistung Kis-singers, der es offenbar seinerseits nicht verstanden hat, das Pferd zu wechseln' und von den Maximen machiavellistischer Machtpolitik zu denen der Rechtsstandpunkte überzuwechseln.

Es ist leider sehr fraglich, ob der Kompaß, der Kissinger geholfen hat, sein Land aus dem Vietnamkrieg zu führen und Ägypten den Weg aus dem Nahostkrieg zu ebnen, auch geeignet ist, den komplizierten Kurs nach Zypern zu steuern. Sein ermordeter Botschafter in Nikosia wird ihm dabei auch keine Lotsendienste leisten können ...

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