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Man sagt, Kunst sei Ausdruck der Zeit und des Zeitgeistes. Wir haben keine, wir haben Kunsthandel, Kunstwelt, Kunstpolitik, Kunstausstellungen, Kunstkritik, Kunsttheoretiker und -historiker, Kunstwollen, Kunstindustrie, Kunstförderung und andere Reime auf Kunsthonig.

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Man sagt, Kunst sei Ausdruck der Zeit und des Zeitgeistes. Wir haben keine, wir haben Kunsthandel, Kunstwelt, Kunstpolitik, Kunstausstellungen, Kunstkritik, Kunsttheoretiker und -historiker, Kunstwollen, Kunstindustrie, Kunstförderung und andere Reime auf Kunsthonig.

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Daneben gibt es noch Kunstschulen, die sich Hochschulen und Akademien nennen und den Drang in sich verspüren, bald Kunstuniversität heißen zu dürfen und den Dr. art. zu verleihen. Man sollte sie nicht so hart bestrafen, auch dann nicht, wenn sie 300 Jahre alt geworden sind und das Jubiläum mit Politikerreden vom goldenen Rednerpult herab, daß in der Aula ein ausgestopftes Nashorn das Zentrum der Feier sei, feiern.

Zeitgeist verzweifelt

Natürlich mokieren sich die politischen Festredner, die erleichtert feststellen, daß es jemanden gibt, dereinen noch geistloseren Umgang mit der Kunst pflegt als sie es zwangsläufig tun müssen, nämlich die von ihnen Berufenen am akademischen Ort, der unvermeidlicherweise das Zentrum des Kunstunverstandes sein muß. Denn nirgends kann in Kunstsachen die Diskrepanz zwischen dem, was getan werden sollte, und dem, was getan und nicht getan wird, größer sein als an einer Akademie, die mit der drückenden Vergangenheit der Kunst wohlweislich nichts zu tun haben will, für die Gegenwart ein eigenes Institut für Gegenwartskunst unterhält, das Gastprofessoren, die in kluger Einschätzung ihrer Überflüssigkeit fast stets durch Abwesenheit angenehm auffallen, anvertraut bleibt, und von der Zukunft schwärmt, von der sie selbstverständlich noch weniger weiß als die .Kremlastrologen.

Leider war Generaldirektor Seipel uneinsichtig, denn er verbot dem verkrachten Maler Peter Greenaway im Stiegenhaus der Neuen Hofburg zur 300 Jahr-Feier der Akademie eine geschlachtete Kuh auf Ausstellungsdauer verwesen zu lassen. Der Filmregisseur meinte wohl den Verwesungsgestank, den das Cabaret Voltaire des Dadaismus seit 1916 in tausendfachem Wiederholungszwang von sich gibt und den alle Welt für die „Kunstnachl945”hält: „Kunst nach dem 1. VIII. 1914” wäre besser geeignet, anzuzeigen, was der beschworene Zeitgeist verzweifelt ausdrücken will, ohne daß ihn jemand anhört.

Das alles wäre nicht so schlimm, wenn nicht im Zug der neuesten Reform der durch jede Reform seit dem zwölften Jahrhundert noch gefährlicher gewordenen Großuniversität die Kunstschulen Gefahr liefen, das letzte glückliche Restchen ihres Unverstandes einzubüßen und vernünftig zu werden, trotzdem der Ekklesiastikus mahnt, alle Menschen seien Narren mit ihrer Kunst, woraus wohl zu schließen ist, daß das nicht ganz schlecht sein könne.

Die Verantwortlichen glauben scheinbar, daß ihre Universitätsreform alles bessern wird, wenn zum Gegenstand des universitären Betriebes nicht mehr die Wissenschaften auserkoren sind, welche Verwechslung Ordinarien und Studenten sehr beschäftigt, sondern die Selbstverwaltung der Universitätsreform durch diese. Die landesfürstlichen Beamtenschulen, die in Mitteleuropa zur Zeit des Schwarzen Todes (1347-52) gegründet wurden (1348 Prag, 1365 Wien) haben unter den neuen Landesherren, der Großbürokratie, der

Großhightechnokratie und des Selbstzwecks aller Selbstzwecke, des universitären Big Business der Großforschung, die um riesige Summen winzige Resultate beschert, andere Sorgen als das innere Licht zwischen Gott und Seele, sie wollen es nur, ohne es zu kennen und zu wissen, auslöschen.

Im sprichwörtlich gewordenen „orange Papier” zur Hochschulreform wimmelt es von „strategisch” und „operativ”, als ob die Ratgeber des Minoritenplatzes nicht wüßten, was diese Worte bedeuten. Niemand weiß, wie die riesigen Universitäten am Ende des Jahrhunderts richtig einzurichten sind, sie funktionieren als Maschinerie so wie die Maschinerie Gesellschaft, die ihre Kinder hinschickt, weil es nichts besseres gibt: gewaltig kommerzialisiert, ohne daß sie aber wirklich große Geschäfte machen kann, denn sie wird immer mehr kosten als verdienen.

Die Rüstungsindustrie interessiert sich für MIT und die Ivy-league der Universitäten Harvard und Yale, die aber auch wegen der Abrüstung, das heißt wegen der nicht mehr finanzierbaren Rüstung, ins Schleudern kommt, nicht aber für die scheinprivatisierte österreichische Staatsuniversität. Die Universität wird ganz sicher nicht von der Ministerialbürokratie unabhängig, wenn sie zur Bürokratie ihrer Selbstverwaltung entartet, was natürlich dem innersten Bedürfnis vieler professoraler, mittelbäuerischer und studentischer Geisterimmens entgegenkommt, sondern sie wird sich im Gegenteil im listig ausgelegten Netz ihrer Freiheit fangen .Die Einführung vonOrganisation, Management, Effizienz, Ressourcenoptimierung und tausend anderer Zauberworte aus dem Hexenkessel der Wirtschaftswissenschaften unter dem Vorzeichen der industriellen Korporationen wird nichts helfen, vielmehr die nächste Reform erzwingen, die ebenfalls scheitern wird, solange die Universität allerorten eine Hauptversammlung der Menschheit bleibt, die als einziges Lebewesen imstande ist, ungeheure gemeingefährliche und katastrophale Gedankengebäude zu ersinnen und sie sich selbst praktisch anzutun.

Man lese die Reden des Kirchenhistorikers Adolf von Harnack zum Weltkrieg! Wenn die Gärtner die Selbstverwaltung der Schnittblumen-züchterei den Massenschnittblumen und den Orchideen aufhalsen, werden sie ihre blauen Wunderblumen erleben.

Freiheit des Widerspruchs

Noch ärgere Disteln werden die Kunstuniversitäten ernten, wenn sie vergessen, daß die Wissenschaft auf der Widerspruchsfreiheit beruht, die Kunst aber die Freiheit des Widerspruchs lebt - oder nicht existiert. Also lasse man ihnen Lehre und Forschung zum Gegenstand: die Lehre ist die veröffentlichte Forschung. Wer nichts forscht, kann auch nichts lehren - wer nichts tut, kann das Tun nicht lehren.

Der Staat möge sich weiterhin mokieren, das heißt sich die Kunstschulen als kulturpolitische Gelegenheiten für Staatsbegräbnisse dritter und vierter Klasse zu Lebzeiten der Aufgebahrten erhalten und nicht von ihnen verlangen, daß sie an der verwaltungstechnischen Organisation ihrer „pompa funebris” zuschanden werden.

Denn selbst die nachvollziehende akademische Kodifikation des künstlerischen Konformismus eines Dreivierteljahrhunderts ist immer noch besser als die drittklassige Philoso-phisation des Kunstgeredes. Undeutlich ahnen diese Schulen noch, daß die Traditio der Kunst die Übertragung durch den Eros zur Voraussetzung hat, und den störe man nicht zu Tode. Wenn schon die Menschheit beglückt im High-tech-Installations-keller haust, sollten die Träume der Baukunst von der Schönheit des Himmels auf Erden nicht durch gutgemeinte Reformen ganz abgeschafft werden.

Der Autor ist Professor für Kunstgeschichte an der Akademie der bildenden Künste in Wien.

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