7058986-1991_28_13.jpg
Digital In Arbeit

Planen für eine Welt ohne Dummheit

Werbung
Werbung
Werbung

Otto Wagner, vor 150 Jahren geboren, war ein ewiges Kind, das die Wahrheit des „Wenn ihr nicht werdet wie diese Kindlein, werdet ihr nicht ins Himmelreich eingehen" lebte. Dieser Satz Jesu' beinhaltet das Grundgesetz der Kulturgeschichte. Mit der seligen Freude eines Kindes plante der Architekt zeitlebens für eine Welt ohne Dummheit.

Der einzige weltgeschichtlich bedeutsame Architekt Wiens seit Fischer von Erlach, der diesem ebenbürtig ist, spielte das Große Spiel der baukünstlerischen Komposition und Transformation, das ihn seine bis heute ziemlich schäbig behandelten großen Lehrer Van der Null und Sic-cardsburg gelehrt hatten. Fischer dachte die Weltgeschichte der Baukunst von Stonehenge bis nach China, Wagner und seine Schüler entwarfen neue Möglichkeiten der Weltgeschichte, Flughäfen, Betonwolkenkratzer, selbst einen Vatikan auf dem Ölberg in Jerusalem hielten sie für bedenkenswert, und viele andere Vorwürfe an die Adresse derer, die sich in ihrer lokalen Beschränktheit überaus wohlfühlten und dem Baukünstler das Leben zum blutigen Spießrutenlaufen machten.

Von 1873 bis 1918 führte Otto Wagner neben den knappst kalkulierten Anlagen des Donaukanales und der Stadtbahn nur fünfzehn nicht allzugroße Aufträge aus. Gelegentlich immernoch als Häuserspekulant denunziert, baute der Architekt in diesen 45 Jahren vierzehn Miethäuser und zwei Villen für sich selbst und seine Familie, um das Haus der Mutter Susanne, das 1847 in der Göttweigergasse in

Wien gebaut worden war, immer wieder neu zu durchdenken und an dieser inneren Bauaufgabe seines Lebens die Modemisation der Baukunst durchzuführen, die ihn zum Mittelpunkt nicht des Wien um 1900, sondern des von 1836 bis 1918 machte.

1882 entstand die Länderbank in der Hohenstaufengasse, das neben der Oper wichtigste Bauwerk des 19. Jahrhunderts in Mitteleuropa. 1894 wurde Wagner, zum Professor ernannt, zum Anführer der künstlerischen Jugend, die um 1898 die Weltgeschichte der künstlerischen Arbeit wiederherstellte, um das „Wahnsinnsgebäude" des auch künstlerisch auftretenden Totalitarismus, der Dummheit, zu stürzen.

Der Mensch, das Wesen, das weiß, daß es weiß, aber auch, daß es nichts weiß und auf keinerlei Sicherheit und

Selbstverständlichkeit rechnen kann, machte nach 1750 aus dem absoluten Unwissen, künstlerisch gesehen, das absolute Wissen um die wahre Kunst, die Stilgeschichte, die eine der größten Erfindungen des 19. Jahrhunderts ist, der in der Weltgeschichte nichts Reales entspricht außer der Kunstgeschichte als Wissenschaft und der diese begleitenden Produkte der Bauindustrie. Das einzige absolute Wissen, das der Mensch besitzt, besagt, daß er bald sterben wird: Die Kunst, die darauf richtig und menschenfreundlich reagiert, nannte Wagner 1889 den „Nutzstil" der Zukunft, der nur ein offenes System des täglichen Verbesserns und Abänderns sein könne und ein Beweis der göttlichen Fähigkeit des Menschen sei, alles neu zu machen und für das Unvorhersehbare zu planen, damit es nicht katastrophal verhindert werde.

Die Kunst sei für den Menschen da und nicht die Menschheit der Kunst halber, war Wagners Überzeugung. Die Weisheit der Dorfweiber, die herbeirennen, um das entsetzt plärrende Kind zu beruhigen, hat das Prinzip der Kunst intuitiv erfaßt, das

Wagner vertrat. Von großartigen Programmen, die Welt zwangsweise zu beglücken, hielt Wagner nichts, der die Kunst stetig fortsetzen und nicht revolutionieren wollte. Die große Sphinx, die das Grab des Cheops schützt, schützt Wien, zeitgemäß technisch fortgedacht, vor der Überflutung des Donaukanales durch das Nußdorfer Wehr, das Loos, der Wagner 1911 in der „Reichspost" den „größten Architekten der Welt" nannte, unter die „ewigen Werte der Baukunst" zählte. Heute wird es von der Autobahn auf Stelzen brutal in Grund und Boden getreten.

Der brüllende Löwe auf der Seite der Autostraße hat das Gesicht Otto Wagners: Wagner war ein großer Löwe der Baukunst, den die Meute der Journalisten, Kleinbürger, Kunsthistoriker und revolutionsfürchtigen Aristokraten wenn schon nicht zu Tode hetzte, so doch an den äußersten Rand unverwirklichter Baukunst trieb.

Was nützt es, achtzig Jahre später einzusehen, daß Wien ein Mekka der modernen Architektur geworden wäre, wenn Wagner das Kriegsmini-sterium,das Technische Museum,das Stadtmuseum neben der geliebten Karlskirche, die Universitätsbibliothek, die Moderne Galerie oder die Kapuzinerkirche gebaut hätte? Allein über das Denken und Planen der Schule hatte die wohlorganisierte Dummheit der Verhinderer keine Macht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung