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Planspiele in Amman

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Noch ehe wirklich feststeht, was bei den jüngsten Vermittlungsbemühungen des USA-Außenministers Henry Kissinger herausgekommen ist und wie, wenn es überhaupt dazu kommen sollte, eine arabischisraelische Friedensregelung ausse- hen wird, fühlt sich Jordanien immer stärker als der eigentliche Ver-

lierer. Das haschimitische Königreich ist zwar noch immer der sicherste und einer der freiesten arabischen Staaten des Vorderen Orients. Doch selbst in Amman spielt man schon Planspiele über die Zukunft des Wüstenlandes und trotz scheinbar einigermaßen gesicherter wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse gibt es hartnäckige Gerüchte über eine umfangreiche Kapitalflucht.

Die Jordanier fühlen sich um den Lohn ihrer seit Gründung ihres Staates selbst unter schwierigsten Verhältnissen bewiesenen Treue zum Westen betrogen. Sie lassen sich nicht von dem Gefühl abbringen, daß die Vereinigten Staaten sie zwar weiterhin finanziell und mit Waffenlieferungen unterstützen, aber sie politisch im Grunde schon aufgegeben haben. Ein hoher Würdenträger faßte das in den bitteren Satz: „Was soll aus uns werden, wenn wir als einzigen wirklichen Freund nur noch die Israelis haben?“

In Amman glaubt man sich dessen sicher zu sein, daß die Gründung eines separaten Palästinastaates auf der jetzt noch besetzten Westbank früher oder später zu einer tödlichen Rivalität zwischen diesem Staat und dem haschimitischen Königreich führen müsse. Nach Lage der Dinge bedeute dies das sichere Ende des erst nach dem Ersten Weltkrieg geschaffenen künstlichen Staates. Gegenwärtig wächst selbst unter den wirtschaftlich und sozial voll integrierten Palästinensern die Begeisterung für die Idee eines freien Palästina. Von der Stimmung in den Flüchtlingslagern, wo sich die ewig Benachteiligten oder Energielosen von dem neuen Staat eine wahre Wunderwirkung erhoffen, braucht man gar nicht zu reden. Hier türmt sich sozialer Zündstoff auf, der nicht nur dem haschimitischen Monarchen, sondern auch dem projektierten Palästinastaat noch zu schaffen machen wird.

Die Unruhe hat auch die eigentliche transjordanische Beduinenbevölkerung ergriffen. Hier geht ein tiefer Riß durch die heterogene Gesellschaft eines Landes, das offenbar niemals über den Sündenfall der Palästina-Annektionen von 1948 hinwegkommen kann. Hätte der Großvater des jetzigen Königs Hus-

sein, Emir Abdullah, nach der Gründung Israels nicht den eigentlich schon damals für die Gründung eines arabischen Staates vorgesehenen Rest Palästinas annektiert, niemand könnte heute, wie es die palästinensischen Nationalisten tun, das Transjordanland einfach als integralen Bestandteil Gesamt-Palästinas reklamieren.

Käme es in Amman zu einem Thronwechsel und würde sich der heue König Hassan, der jüngere Bruder Husseins, ausschließlich zur transjordanischen staatlichen Identität und ihrer Verteidigung bekennen, würden die Beduinen noch immer zum Kämpfen bereit sein. Da jedoch niemand weiß, wie das Ringen um die politische Macht in der Stadt der Sieben Hügel schließlich ausgehen wird, kann man bereits die ersten separatistischen Tendenzen erkennen, während die traditionsbewußten Beduinenstämme, bislang stets das Rückgrat des Herrscherhauses, für den Ernstfall am liebsten mit Saudi-Arabien Zusammengehen würden, neigt daa ansässige Bürgertum nördlich der Linie, die bei dem Städtchen Ma’an in Südjordanien verläuft, eher zu einem Arrangement mit den Palästinensern. Die Altertümer im naba- täischen Petra, der Hafen von Akaba und die Hauptstadt Amman würden sich also vermutlich zu Palästina schlagen. Dazwischen aber entstünde ein bunter Fleckerlteppich von Stammesscheichtümern, die sich Saudi-Arabien verbunden fühlten, sich von syrischen Offerten auf den Besitz Nordjordaniens verführen ließen oder, je nach Bedarf, Subsidien- zahlung oder Laune zwischen den Fronten hin- und herwechseln würden.

Diese Planspiele sind für die aufgeschreckten Jordanier bereits echte Wirklichkeit. Und sie zeigen, daß beinahe jede „Lösung des Nahostkonfliktes“ neue Streitigkeiten nach sich ziehen wird.

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