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Plauderei im Park

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Vor dem Barockbau, in dessen prunkvollen Räumen sich einst der Prinz Eugen bewegte, und wo heute, nach chronologischen Gesichtspunkten angeordnet, bedeutende Werke der Malerei von der klassizistischen Periode bis zu den Surrealisten der Wiener Schule dem Publikum zugänglich gemacht sind, - vor diesem Museum also sitzt an sonnigen Tagen ein Mann. Er sitzt immer auf derselben Bank und trägt stets den gleichen grauen Anzug. Und er nimmt stundenlang dieselbe Haltung ein, einen Fuß über den anderen geschlagen, den Blick auf den Museumseingang gerichtet, die Hände im Schoß verschränkt, wobei bloß das fortwährende Zucken der Finger etwas wie eine innere Erregung verrät.

In dem Augenblick, da mir sein Vorhandensein auffiel, wußte ich auch, daß ich diesen Mann auf dieser Bank schon oft gesehen, aber nicht richtig wahrgenommen hatte, so wie man mitunter Dinge des täglichen Lebens mit den Augen überfliegt, um sie, ohne sich mit ihnen gedanklich zu beschäftigen, ins unermeßliche Magazin des Unterbewußten abzulagern. Und bei dieser Erkenntnis erwachte auch die Neugierde in mir, Näheres über diese Person zu erfahren.

Da ich es selbst nicht schätze, wenn ich in meinen Mußestunden von fremden Leuten angesprochen werde, die einfach die Ruhe nicht vertragen und deshalb auf die primitivste Art eine Unterhaltung suchen, kostete es mich einige Überwindung, bis ich eines Tages den Mut fand, mich mit der größten Selbstverständlichkeit neben den Mann auf die Bank zu setzen und irgendein banales Wort an ihn zu richten. Aber es ging leichter, als ich gedacht hatte; die Reaktion meines Gegenübers war weder eine Einladung, noch eine Abweisung, seine Worte kamen mit interesseloser Freundlichkeit. Er stellte zwar keine Fragen, beantwortete aber immerhin die meinen.

Dabei fiel mir auf, daß er die ganze Zeit über, während wir miteinander redeten, nicht einen Augenblick lang aufhörte, den Museumseingang zu beobachten; er sprach mit mir, aber er würdigte mich keines Blickes, denn seine Augen waren in eine andere Richtung fixiert.

Endlich vermochte ich mich nicht mehr zurückzuhalten. Nachdem ich über die verschiedensten Themen einige Worte mit ihm gewechselt und auf diese

Weise gewissermaßen das Terrain sondiert hatte, ließ ich alle Skrupel beiseite und fragte den Mann geradeheraus, was ich eigentlich von ihm wissen wollte; warum er sich nämlich ausge-rechnet diesen Platz ausgesucht hatte, um seine Freizeit zu verbringen.

„Mir gefällt’s hier“, antwortete er, „ich schaue den Menschen zu.“ Darauf wußte ich nichts zu sagen. Aber als ich schon dachte, daß unser Gespräch damit zu Ende sei, sprach er weiter.

„Ich sehe mir ihre Gesichter an. Vorher und nachher.“

„Das verstehe ich nicht.“

Zum ersten Mal wandte er den Kopf und blickte mich an, als wolle er sich vergewissern, wie denn jemand aussehe, der so einfache Worte nicht versteht.

„Ich schaue mir“, repetierte er, „die Gesichter der Leute an, wenn sie in das Museum hineingehen, und wenn sie dann herauskommen, schaue ich sie mir wieder an. Natürlich nur einzelne, sonst würde ich den Überblick verlieren. Aber im Verlauf eines Vor mittags ergibt das doch so etwas wie einen repräsentativen Durchschnitt, wenn ich mich so aus- drücken darf.“

„Aber warum? Warum tun Sie das?“

Er schaute wieder zum Museumseingang hinüber, und meine Frage schien ihn erst über zeitraubende Umwege zu erreichen.

„Die Leute“, sagte er schließlich, „gehen hinein und verbringen oft Stunden vor den Bildern. Ob sie etwas von Kunst verstehen oder nicht, auf jeden Fall stehen sie vor den Bildern, und da muß doch etwas wie ein Austausch stattfinden, eine Impression beim Betrachter, um mich so auszudrücken, die doch eine Expression nach sich ziehen muß ... Also kurz, so wie man, nachdem man ein gutes Buch gelesen hat, ein anderer Mensch mitunter sein kann, so üben doch auch Bilder eine unmittelbare Wirkung aus; Bilder, die einen ergreifen, erschüttern, nachdenklich machen, begeistern, irgendeine starke Emotion auslö- sen.

„Und Spuren dieser Wirkung suchen Sie in den Gesichtern?“ „Warum nicht? Haben Sie schon einmal Gesiehter von Kin- dęrn betrachtet, die vom Kasperltheater oder aus dem Zirkuszelt kommen? Das ist es. Das meine ich. Wirkliche Empfindungen lassen sich nicht verstecken. Sie manifestieren sich und formen unsere Gesichter.“ „Und?“, fragte ich, „sehen Sie solche Veränderungen?“ „Selten“, sagte er und blickte einen Moment lang verlegen zu Boden, „sehr selten“.

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