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Plauderrunde frei Haus

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Haben Sie schon einmal einer Dis­kussion beigewohnt? Nachdem alles ge­sagt und getan ist, wurde mehr gesagt als getan. Ich erfuhr das anläßlich einer Fernsehdiskussion.

Eines Tages trat ein, was ich schon lange befürchtet hatte: Ich wurde gebe­ten, eine Fernsehdiskussion mitzuma­chen. Im allgemeinen gehören Diskus­sionen zu meinen Lieblingssendun­gen,weil ich da mit Sicherheit weiß, daß meine Frau und ich den Apparat aus­schalten, aber nun sollte ich selbst mit dabei sein. Das Thema: Stimmt es, daß die Operette tot ist? Die Teilnehmer: Prof. Macha, Theaterdirektor, Hans Giesing, Komponist, Frau Hilde Treppl, eine Dame aus dem Publikum, Dr. Paul Fischer, Theaterkritiker-und ich. Diskussionsleiter: DDr. Giselher Gunzl. Die obengenannten Namen sind erfunden, die Story nicht.

Meine Frau rief schon Tage vorher alle Bekannten an: „Seid ihr Donners­tag. um zwanzig Uhr fünfzehn frei?“ Alle dachten, es handle sich um eine Einladung, und sagten „Ja“. Aber meine Frau fuhr fort: „Da müßt ihr euch das zweite Programm ansehen. Mein Mann diskutiert!“. Da konnten sie nicht mehr nein sagen.

Wir versammelten uns zur festge­setzten Zeit im Studio. DDr.Gunzl er­mahnte uns: „Ich bitte um Kürze. Wir haben nur dreißig Minuten Zeit und die dürfen wir nicht überziehen. Achtung!“ Die Kameras wurden auf uns gerichtet, die Scheinwerfer flammten auf, es be­gann. Würde ich nicht mitdiskutieren, wäre das der Moment gewesen, m dem ich den Fernsehapparat abgedreht hätte. Aber so?

DDr. Gunzl begrüßte uns, stellte uns den Zuschauern vor dem Bildschirm vor und sprach: „Unsere heutige Dis­kussion, meine Damen und Herren, be­faßt sich mit einem brandheißen Thema, das seit langem in der Luft schwelt, das man sich aber bei uns in Wien nicht anzufassen wagt. Es heißt: Stimmt es, daß die Operette tot ist? Ich bitte Sie, meine Dame, sowie Sie, meine Herren“ -er wandte sich an uns-, „seien Sie kurz und prägnant. Un­sere Sendezeit ist begrenzt, und es wäre bedauerlich, wenn nicht alle Teilneh­mer dazu kommen würden, ihre Mei­nung zu äußern. Auch wurde es in un­zähligen Diskussionen bewiesen, daß eine kurze Aussage weit verständlicher ist als ein langes um den Brei Herumre­den. Sie verzeihen!“ Er lächelte uns un­natürlich an und setzte hinzu: „Ich bitte Sie, sich an meine Weisungen zu halten, schließlich soll jeder von Ihnen zu Wort kommen, und in der Kürze liegt ja bekanntlich die Würze.“

Damit hatte uns Doktordoktor be­reits zwei Minuten gestohlen, aber was schadet es, wir hatten noch immfer acht­undzwanzig zur Verfügung. Als er­stem erteilte der Diskussionsleiter das Wort dem Theaterdirektor. Prof. Ma­cha begann: „Wenn wir an die Geburt der Operette denken-“ „Das würde uns zu weit führen“, unter­brach ihn DDr. Gunzl. „Unser Thema heißt: Stimmt es, daß die Operette tot ist. Daß sie geboren wurde, wissen wir.“ DDr. Gunzl lächelte süffi­sant.„Wir wissen, daß Jacques Offen­bach ihr geistiger Vater war, wir wis­sen, daß sie aus Paris nach Wien kam, wir wissen, daß Johann Strauß die erste Wiener Operette schrieb, wir kennen die Goldene Operettenzeit - Strauß, Millöcker, Suppé — wir kennen die Sil­berne Operettenzeit - Lehâr, Kâlmân, Eysler - aber das steht hier nicht zur Diskussion. Stimmt es, daß die Ope­rette tot ist? Bitte, Herr Giesing. Und kurz, wenn ich bitten darf.“ Ich sah nach der Uhr - noch dreiundzwanzig Minuten. Hans Giesing räusperte sich: „Wenn man bedenkt, daß selbst Film und Fernsehen-“

Wieder unterbrach DDr. Gunzl: „Ich habe gebeten, sich kurz zu fassen“, sagte er mit leisem Vorwurf in der Stimme. „Daß Film und Fernsehen und Fernsehfilme die Operette pflegen,

ist klar. Schließlich pflegt man auch das Grab eines lieben Verstorbenen. Ich sage das nur für den Fall, daß sich heräusstellen sollte, daß die Operette tot ist“ , fügte er schnell hinzu. „ Ich möchte, um Gottes willen, nicht der Diskussion vorgreifen. Ich bin ja bloß der Diskussionsleiter. Aber handelt es sich bei den noch aufgeführten Operetten nicht immer bloß um einige Werke dieses Genres? Ich möchte fast sagen, um ein und dieselben Werke, wie „Die lustige Witwe“, „Der Graf von Luxemburg“, „Die Csârdâsfürstin“ und noch zwei oder drei? Wenn ich frage: Stimmt es, daß die Operette tot ist, so meine ich nicht die ewig grünen Evergreens. Un­

sere Zuseher vor den Bildschirmen wol­len wissen: Lebt die Operette? Gibt es Textdichter? Gibt es Komponisten?“

Ich meldete mich, weil ich ihm sagen wollte, daß das keinen von den Zuse­hern interessiert, aber er erteilte das Wort Frau Hilde Treppl, der Dame aus dem Publikum. „Bitte, Frau Treppl - aber kurz!“

Frau Treppl begann: „Vom Stand­punkt des Publikums aus-“

„Kann man diese Frage nicht beant­worten“ , ergänzte DDr. Gunzl den

Satz. „Was ist Publikum: die Öffent­lichkeit, die Zuhörerschaft. Sie, gnä­dige Frau, sind nur ein Teil des Publi­kums. Sie können nur für sich sprechen. Also, so einfach ist das nicht.“

Ich meldete mich, um zu sagen, daß wir nur noch fünf Minuten Zeit hätten, aber er übersah mich. Mir wurde heiß. Reden mußte ich etwas, sonst sagt meine Frau wieder: „Du bist dageses­sen wie ein Ölgötze.“ Daß die anderen auch so dasitzen, wird sie nicht bemer­

ken. Sie hat nur Augen für mich. Aber was tun? DDr. Gunzl hatte bereits auf den Kritiker gewiesen: „Wenn ich bit­ten darf - aber kurz!“

Dr. Paul Fischer putzte seine Brille. „Sie haben recht, wenn Sie sagen, das Publikum.“

DDr. Gunzl schnitt ihm das Wort ab. „Ob ich recht habe oder nicht“ , sagte er, „steht nicht zur Debatte, ich bin nur der Diskussionsleiter. Das ist ja der Zweck einer jeden Diskussion, daß die Teilnehmer frei und offen ihre Meinung äußern können, damit wir am Schluß imstande sind, das Fazit zu ziehen: ist es so oder so - oder umgekehrt: so oder so.“ Er erteilte mir das Wort: „Bitte - aber kurz!“

Ich hatte inzwischen krampfhaft überlegt. Er durfte mich nicht unterbre­chen. Es handelte sich nur um den Be­ginn meiner Antwort. Ich mußte die richtigen Worte finden, bei denen er nicht einhaken konnte. Sein „Bitte kurz!“ klang mir in den Ohren - und-da wußte ich es. Triumphierend sagte ich: „Ich werde mich kurz fassen -“

„Bravo!“ rief da DDr. Gunzl./,Das hätten die anderen Herrschaften auch tun sollen. Blicken Sie auf die Studio­uhr - unsere Sendezeit geht zu Ende. Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind“ - die Kamera fuhr auf ihn zu, ganz groß im Bild sprach er in die Ka­mera: „Ich danke auch Ihnen, meine Damen und Herren, zu Hause vor den Bildschirmen. Wenn wir auch die Frage „Stimmt es , daß die Operette tot ist“ nicht ganz klären konnten, sind wir doch wieder einen Schritt weiterge­kommen. Ich danke fürs Zuschauen - auf Wiederhören und auf Wiederse­hen!“ Die Scheinwerfer wurden abge­blendet - die Sendung war vorüber.

Ich kam nach Hause. Ich hatte recht gehabt. „Ich schäme mich vor unseren Freunden“, sagte meine Frau. „Du hast überhaupt nicht den Mund aufge­tan.“

Ich schlage vor, eine Diskussion ab­zuhalten, in der man über die Diskus­sion diskutiert. Ausführlich, beleh­rend - und ohne mich.

(Aus „Ich erinnere mich nicht“, dtv-Verlag, Mün­chen)

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