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Pleitegeier kreisen

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Mit 732 Insolvenzen im ersten Halbjahr und einer für das ganze Jahr 1981 ) prognostizierten Summe der Passiven in Höhe von annähernd 15 Milliarden Schilling strebt die österreichische Wirtschaft einem neuen Nachkriegsrekord zu:

Die Funder-Gruppe, die Klimatechnik, Sleepy, die Armaturenwerke Karl Seidl AG, die Merino Gerberei in der Steiermark, die Sportschuhfabrik Ka- stinger in Seewalchen, das Kur- und Sporthotel Alpenland in Salzburg und die Wirkwarenfabrik Amann in Hohenems wurden vom Pleitegeier erfaßt, 70 Prozent der zunächst als Ausgleiche angemeldeten Insolvenzen endeten als Konkurse; wurde 1950 bloß jeder fünfte Konkurs mangels Zahlung abgelehnt, so war es 1973 bereits jeder dritte und in diesem Jahr wird es wohl jeder zweite sein.

Wie’s dem Bau geht, so geht es der ganzen Wirtschaft - die Insolvenzstatistik liefert für diese wirtschaftliche Binsenweisheit laufend neue Beweise. Im ersten Halbjahr wurden in der Bauwirtschaft 20 Großinsolvenzen registriert; auf den Plätzen der Insolvenzenstatistik folgen die Holz- und Möbelwirtschaft, Gaststätten und Hotels sowie die Textil- und Bekleidungsindustrie.

Der Anfall der Insolvenzen trifft - regional gesehen - die Wiener Wirtschaft am stärksten. Im ersten Halbjahr 1981 wurden in Wien 243 Ausgleiche und Konkurse angemeldet, in der Steiermark waren es insgesamt 112 Insolvenzen und in Tirol und Vorarlberg jeweils 46 Insolvenzen; mit 14 Insolvenzen steht das kleine Burgenland am Ende der regionalen Insolvenzstreuung, freilich an der Spitze bei den Zuwachsraten gegenüber der Vergleichsperiode des Vorjahres (plus 40 Prozent).

Eine Untersuchung des auch in Österreich domizilierten Marktforschungsinstituts Schimmelpfeng ergab, daß 32 Prozent der Insolvenzfälle auf die zu dünn gewordene Eigenkapitaldecke, 25 Prozent auf unternehmensexterne kostensteigernde Faktoren und sechs Prozent auf Mängel in der Geschäftsführung zurückzuführen sind.

Bei der vom Wiener Kreditschutzverband von 1870 durchgeführten letzten Querschnittsuntersuchung wurde als Ursache in 31 Prozent der Fälle Fahrlässigkeit und bei 26 Prozent Kapitalmangel ermittelt. Nur 10 Prozent der Insolvenzfälle waren auf persönliches Verschulden zurückzuführen.

Die Rechtsform eines Unternehmens, sein Alter und seine Größe schaffen unterschiedliche Voraussetzungen für die Insolvenzanfälligkeit. Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung zeigt sich von der Rechtsform her am insolvenzanfälligsten, die Genossenschaft und die Aktiengesellschaft dagegen am krisensichersten.

Im dritten Lebensjahr eines Unternehmens besteht - statistisch gesehen - das höchste Maß an Gefährdung für ein Unternehmen. Die Gründe dafür liegen

im zu großen Optimismus bei der Beurteilung des Kapitalbedarfes, vor allem aber in falschen Vorstellungen über den in der Folge von Anlageinvestitionen auftretenden Kapitalbedarf für Vorräte, Forderungen, Anlaufverluste und Werbung.

Weit mehr als die Hälfte der insolvent gewordenen Unternehmen fällt in den klein- und mittelständischen Bereich. Ihr Weg auf den Friedhof der Marktwirtschaft läßt die Öffentlichkeit eher ungerührt, fallen doch ihrem Sterben vor der Zeit selten mehr als 20 bis 100 Arbeitsplätze zum Opfer. Schlittert aber ein Großbetrieb mit 200 und mehr Mitarbeitern in die Pleite, dann ist es ein Politikum und die Öffentlichkeit ist alarmiert.

Da die Arbeitsplatzsicherung längst in den Rang eines moralischen Wertes erhoben wurde, gehörte es bis Ende der siebziger Jahre zur wirtschaftspolitischen Selbstverständlichkeit, Flaggschiffe der österreichischen Wirtschaft in meist problematischen Rettungsaktionen über Wasser zu halten.

Die triste Lage der öffentlichen Finanzen hat nun auch die Idee der „unsinkbaren Schiffe" untergehen lassen: Der Bankrott der teilstaatlichen Klimatechnik und des Kärntner Paradeunternehmens Funder beweist das Ende dieser Idee.

Ein Ende des Insolvenzenbooms in Österreich ist noch nicht abzusehen: Die immer dünner werdende Eigenkapitaldecke ebenso wie die hohen Kosten für das Fremdkapital lassen keine großen Hoffnungen zu. Spült die Pleitewelle an die Gestade der großen Unter- nehmen, so steht bald auch die Existenz von kleinen und mittleren Unternehmen, Zulieferfirmen und Gläubigern, auf dem Spiel.

Denn leider haben die Inhaber kleiner Gewerbe- und Handelsbetriebe als nichtbevorrechtigte Gläubiger kaum Chancen, einen Bruchteil dessen zu bekommen, was sie im Konkursverfahren in Rechnung stellen.

Jene 75 Millionen Schilling pro Jahr, die der Finanzminister aus dem Bundeshaushalt für solche Fälle zuschießen will, sind der längst fällige Tropfen auf dem heißen Stein. Er ist überdies eine Art von Ersatzleistung für die nun etwas größere Zurückhaltung der Banken bei riskanten Kreditengagements.

Der Pleitenboom hat bei Unternehmen, Arbeitern, Angestellten und beim Staat einen Aderlaß von vielen Milliarden Schilling gefordert: Rechnungen wurden nicht bezahlt, Leistungen nicht mehr honoriert, Steuern nicht beglichen. Darüber hinaus wurden Tausende von Arbeitsplätzen vernichtet.

Der Pleitenboom der letzten Jahre ist der Preis nicht nur für innerbetriebliche Schwierigkeiten, sondern auch für eine sorglose Wirtschaftspolitik, die seit 1975 weiszumachen versucht hat, daß sich jede Krise steuern läßt und daß Österreich eine Insel im Meer der internationalen Rezession ist.

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