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Pleiten-Hausse ohne Ende

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Durch Österreichs Wirtschaft fegt ein kalter Wind. Milliardenpleiten, Rekordarbeitslosigkeit und düstere Wirtschaftsprognosen drücken auf die Stimmung. Reagieren die Wirtschaftspolitiker richtig?

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Durch Österreichs Wirtschaft fegt ein kalter Wind. Milliardenpleiten, Rekordarbeitslosigkeit und düstere Wirtschaftsprognosen drücken auf die Stimmung. Reagieren die Wirtschaftspolitiker richtig?

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Schon das Jahr 1992 erwarb sich einen Platz im „Buch der Rekorde" der österreichischen Wirtschaftsgeschichte: Es brachte das höchste Ausmaß an Firmenzusammenbrüchen. Der Kreditschutzverband meldete 3.658 Insolvenzen (inklusive abgewiesene Konkursanträge) bei einer Gesamtpassiva von 23,6 Milliarden Schilling. Dieser Schuldenstand übertraf denjenigen von 1991 um die Hälfte. Aber sogar das bisherige Rekordjahr 1981, als Funder, Klimatechnik und Eumig kollabierten, wurde in den Schatten gestellt. Damals betrugen die ungedeckten Verbindlichkeiten „nur" 17 Milliarden Schilling.

Die Insolvenzlisten der letzten Krisenjahre waren prominent besetzt und hin und wieder klang auch ein wenig Schadenfreude durch, wenn mächtige Industriebosse vom Thron stürzten, mochten sie Theuretzbacher, Josef Taus oder sonstwie heißen. Kaum eine Branche blieb vom Schlamassel verschont. Es reichte vom Motorradwerk (KTM) über den Geflügelhof (Fehringer), von der Fotokette (Her-lango) über Spinnereien (Ebensee), Textilwerke (Pottendorfer), Computerfirmen (Basic) und Baumaterialienfabriken (Glorit).

Sogar der Insolvenzausfallsgeldfonds selbst (1977 eingerichtet) kämpfte gegen die Pleite. Dieser Fonds zahlt vorübergehend Löhne und Gehälter sowie Abfertigungen an die Beschäftigten insolventer Unternehmen. Gespeist wird er nur aus Arbeitgeberbeiträgen. Seit Jahren liegt dieser Satz bei 0,1 Prozent der Lohnsumme eines Beschäftigten und bereits 1991 mußten 340 Millionen Schilling durch Kredite und Gewinnvorträge in den Fonds gebuttert werden. Also auch hier braut sich Arges zusammen, denn spätestens 1995 wird die Wirtschaft mit einer Erhöhung auf 0,6 Prozent zu Kasse gebeten. Keine rosige Aussicht bei der angespannten Lage vieler Unternehmen.

Dabei brach im vergangenen Monat das Pleitengewitter erst richtig los. Konnte man bei der Halleiner Papierfabrik noch über die bösen Buben aus Bayern reden, die Mehrheitseigner der Aschaffenburger Zellstoff (hinter denen der Freistaat Bayern steht) sind, und dessen Verantwortliche sich auch durch das Händeringen der Wiener Politiker nicht erweichen ließen, so mußte ein echter Österreicher als nächster das Handtuch werfen: Emmerich Assmann, in Wirtschaftsmagazinen als besonders „harter" Manager gerühmter Großaufkäufer maroder Firmen. Nun stehen einige seiner Betriebe so da, als müßte ein anderer Assmann sie ihm für einen symbolischen Schilling abkaufen.

Vier Milliarden Schilling betragen die Passiva der beiden letztgenannten Unternehmen. Ein Horrorbetrag.

Die nächste schlimme Nachricht in der Horror-Show wird aber nicht vom Konkursverwalter geliefert, sondern gleich von den Kommentatoren der ganzen Volkswirtschaft. Die Wirtschaftsforscher prognostizieren eine Stagnation des österreichischen Brut-tonationalproduktes und die höchste Arbeitslosigkeit seit den fünfziger Jahren. Die Aussichten für 1993 sind also so, daß die Pleiten-Hausse wohl prolongiert wird.

Es wäre damit die dritte Rezession seit Kriegsende. 1975 schrumpfte das BNP um 0,4 und 1981 - dem Pleiten-rekordjahr der Vergangenheit - um 0,3 Prozent. Beide Male war klar, worauf das Desaster zurückzuführen war: auf die Turbulenzen des Preisgefüges und der Kostenentwicklung nach den beiden Ölpreisschüben.

Auch jetzt gibt es genug Sündenböcke und Erklärungen: US-Nationalökonomen sagen, schuld sind jene, die ohne über die Nachfrageentwicklung nachzudenken, Überkapazitäten in die Welt gesetzt haben. Andere schieben einfach den Deutschen den schwarzen Peter zu. Die Talfahrt ihrer Wirtschaft reißt uns mit in die Tiefe.

Und dann gibt es noch jemanden, auf den man mit dem Finger zeigen kann: Es sind Billigproduzenten in Mittel- und Osteuropa, unser „Hongkong und Korea" vor der Haustür. Dort kommt man mit Bruchteilen unserer Lohnkosten aus, was dann hierzulande gern „Dumping" genannt wird.

Natürlich fühlt sich leichter, wer meint, die Schuld auf jemanden abwälzen zu können. An den besorgniserregenden Tatsachen ändert das wenig. Auch wenn die Statistik etwas mehr Grund zur Beruhigung gibt: bei rund 240.000 aktiven Unternehmen beträgt die Insolvenzhäufigkeit nur 1,5 Prozent. Der überwiegende Teil der Unternehmen funktioniert also (noch), wie auch Wirtschaftsminister Wolfgang Schüssel ständig wiederholt. Dazu hat er auch allen Grund, denn Journalisten mit großem Horizont belehren ihn - und uns alle -jetzt gern mit erhobenem Zeigefinger: Die Hälfte der Wirtschaft ist Psychologie! Leider helfenjetzt leichte Diagnosen mit Psychotherapie und Suggestionsbehandlung alleine nicht gegen alle Krankheiten. Denn nicht nur in der Industrie und in Großbetrieben schrillen die Alarmglocken. Auch Gewerbe und Handwerk haben zu kämpfen. Textil- und Baugewerbe, sogar Dienstleistungsunternehmen wie Frisöre oder Kfz-Werkstätten bauen bereits mehr Mitarbeiter ab als sie einstellen können.

Und noch eine Entwicklung gibt Anlaß zur Sorge: So sind laut Analysen des Kreditschutzverbandes die meisten österreichischen Zusammenbrüche hausgemacht:

□ 23 Prozent der Pleitiers scheitern daran, daß ihre Kapitaldecke bei weitem zu dünn war;

□ 20 Prozent schlittern in den Konkurs, weil es andere Mankos gibt, die bei angemessener Selbsterkenntnis ein rotes Warnlicht auslösen sollten: Unkenntnis der Branche, in die man einsteigt, planloses Agieren, unbedachte Investitionen...;

□ 28 Prozent aller Insolvenzen beruhen auf Fehlern, vor denen man gefeit sein sollte, wenn man ein wenig von

Betriebswirtschaft versteht: Kalkulationsfehler, Mißerfolge in der Produktion, mangelnde Marktbeobachtung...;

□ elf Prozent trifft persönliche Schuld, wie zu hohe Privatentnahmen, Spekulation oder Betrug;

□ nur zehn Prozent der Unternehmer sind Opfer von Ereignissen, für die sie nichts können wie Lieferantenausfall, unvorhergesehene Veränderung der Konkurrenzlage oder der Marktkonstellation.

Offensichtlich ist der Lieblingsvogel der Bankrotteure der Vogel Strauß, der den Kopf in den Sand steckt. 86 Prozent, so berichtete der „Börsenkurier", haben von ihrer tristen Finanzlage „nichts gewußt". Erst die Konkursanträge ihrer Gläubiger war für sie die Stunde der Wahrheit.

Den Politikern schlägt jetzt jedenfalls auch die Stunde, die sich von den dramatischen Entwicklungen offensichtlich genau so überrascht zeigen wie der Durchschnittspleitier. Sie schnüren - trotz offensichtlichen Managerversagens - zwar eilig an Krisenpaketen, Einigkeit über den Inhalt besteht hingegen noch lange nicht.

□ Sozial- und Justizminister diskutieren mit den Sozialpartnern die Änderung des Insolvenzrechtes;

□ die Förderungsrichtlinien sollen in einigen Punkten geändert werden, so daß sie der neuen Lage besser entsprechen;

□ Verstaatlichtenminister Viktor Klima will marode Betriebe von der staatlichen Pleiteholding GBl sanieren lassen. Zum Beispiel bei Vorlage eines überzeugenden Sanierungskonzeptes;

□ der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen will wiederum denjenigen durch Abschottung helfen, die durch billige Ostimporte in Bedrängnis geraten sind;

□ Wirtschaftsminister Schüssel plädiert überhaupt gleich für einen Solidarpakt der Sozialpartner wie in Deutschland, die SPÖ propagiert die Losung, die Reichen sollen zahlen.

Ein Lockruf für den Staat

Letzteres klingt zwar populär, kann aber nicht der Weisheit letzter Schluß sein. Denn das wäre Politik ä la Assmann & Co, nämlich Geld einfach nur von denen zu nehmen, die es halt jetzt gerade haben.

Daß die jetzige Krise wieder zum Anlaß genommen wird, politische Fehden auszutragen, ist auch eherein Armutszeugnis für die Managementqualitäten der Regierung.

So wurde gestern bekannt, daß sich trotz einjähriger Nachdenkpause die verschiedenen Ministerien nicht über die dringend notwendige Reform der Förderungen einigen können. Jede Partei will auf möglichst vielen Töpfen zur Industrie- Regional- und Technologieförderung die Hand drauf haben. Wohl wissend, daß Unternehmer und Belegschaft schon immer gerne Hymnen auf diejenigen gesungen haben, deren Geld sie bereitwillig nahmen.

Wohin das führen kann, ist aus der Vergangenheit hinlänglich bekannt.

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