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Plötzlich wirkt Ronald Reagan alt

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Gary Hart ist derzeit unwiderstehlich - aber er muß es nicht bleiben. „Fritz" Mondale hat noch immer Chancen. Ron Reagan ist nicht geschlagen. Und das Programm hält letztlich keiner ein.

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Gary Hart ist derzeit unwiderstehlich - aber er muß es nicht bleiben. „Fritz" Mondale hat noch immer Chancen. Ron Reagan ist nicht geschlagen. Und das Programm hält letztlich keiner ein.

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„Gary Hartpence, Präsident der USA!" Klingt nicht sehr flott. Das fand vor vielen Jahren auch schon Gary Hartpence und ließ den „Groschen" in seinem Namen einfach fallen. Jetzt hofft er als Gary Hart, daß bei Amerikas Wählern der Groschen fällt. Sie haben bisher erstaunlich auf dieses Ansinnen reagiert.

„Gary wer?" war noch vor wenigen Wochen eine legitime Frage. Im Jänner gingen nur 125.000 Dollar auf dem Spendenkonto des demokratischen Senators aus Colorado ein. Um ein paar Werbespots im Fernsehen finanzieren zu können, mußte er auf sein Wohnhaus in Bethesda nahe der Kapitale Washington eine zweite Hypothek aufnehmen. Sie hat sich mehr als bezahlt gemacht.

Jetzt läuft das Fernsehen Gary Hart nach — nicht mehr er dem Fernsehen. Und die Spenden sind schon im Februar um 340.000 Dollar hinaufgeschnellt, und allein in der ersten Märzwoche kamen 400.000 weitere dazu. Gary Hart ist plötzlich das neue Gesicht der amerikanischen Politszenerie. Wirkt Ronald Reagans Faltenlandschaft plötzlich wie ein Greisengesicht daneben?

Gary Hart setzt jedenfalls darauf. Er will weder mit Begriffen wie links und rechts, noch mit liberal oder konservativ etwas zu tun haben. „Die Frage ist: Zukunft oder Vergangenheit." Wähler und Parteitagsdelegierte in den Bundesstaaten Maine, New Hampshire, Vermont und Wyoming haben sich davon elektrisieren lassen.

Die Frage, ob rund um Gary Hart nicht nur ein Strohfeuer lodert, ist noch keineswegs entschieden. Daß letztes Wochenende eine von „New York Times" und der Fernsehgesellschaft CBS in Auftrag gegebene Umfrage eine Präferenz von 38 Prozent der Demokraten für Hart neben 34 Prozent Mondale-Anhängern ergab, besagt noch gar nichts. Auch nicht, daß derselben Quelle zufolge Ronald Reagan Gary Hart, würde heute gewählt, mit 44:40 Prozent schlagen würde.

Es wird eben nicht heute, sondern erst im November gewählt. Und daß jetzt schon Gallup den neuen Demokratenstar mit 52:43 vor Reagan hat, beweist nur die Fragwürdigkeit solcher Umfragen, sonst nichts.

Reagan ist noch lange nicht geschlagen. Und Gary ist noch lange nicht Präsidentschaftskandidat der Demokraten. Noch immer kann es auch der bisherige Favorit Walter F. (Spitzname: „Fritz") Mondale schaffen.

Aber beide haben ihre bisherige Strategie schon umstellen müssen. Das ist ein beachtlicher Erfolg des schwarzhaarigen Glamour-Kandidaten aus dem Mittelwesten.

Mondale wirft sich nun vor, bisher zu sehr Reagan und nicht seine Mitbewerber angeschossen zu haben. Er hat sich eben zu stark auf die Allianz der traditionellen demokratischen Interessengruppen verlassen, die er in mühevoller Kleinarbeit zusammengebastelt hatte: ethnische Minderheiten, Schwarze, vor allem die Gewerkschaften, Frauen- und Berufsorganisationen aller Art.

Aber die Gewerkschaftsmitglieder haben schon 1980, als sie in hellen Scharen Reagan wählten, ihren Führern gezeigt, daß sie sich die Stimmabgabe nicht mehr vorschreiben lassen. Sie taten es bei den bisherigen Vorwahlen wieder. Die Macht der Labor-Bosse ist endgültig gebrochen.

Jetzt ätzt Mondale gegen Hart, er nutze schamlos die Massenmedien aus. No na — davonlaufen wird er vor den Kameras. Trotzdem soll man Hart nicht vorschnell als Kandidatursieger sehen. Noch lauern viele Fußangeln auf dem Weg zum Bundesparteitag, der Mitte Juli in San Franzis-ko stattfinden wird. Ein paar kräftige Ausrutscher — und das Siegerlächeln kann dem Gary Hart über Nacht wieder im Gesicht gefrieren.

Zunächst freilich wird es sich wohl noch verbreitern, wenn an diesem „Super-Dienstag" auch in Florida, Alabama und Georgia, in Massachusetts und Rhode Island, in Oklahoma, Nevada und dem Pazifikstaat Washington die Parteitagsdelegierten ermittelt werden.

Derzeit wirkt der Magnet Hart ziemlich unwiderstehlich. Und eins dürfte wohl schon diese Woche passieren: daß der einstige Sturzflieger und Astronaut John Glenn ebenso endgültig abstürzt wie der erste schwarze Kandidat Jesse Jackson und der sich erneut um die demokratische! Kandidatur bewerbende linksliberale George McGovern.

Übrigbleiben bis zum Parteitag dürften, sofern sich Gary Harts unerwartet starker Anfangsschwung nicht zur Delegierten-Stampede entwickelt, Hart und Mondale. Wer immer von ihnen die Nominierung erringt: Das Wahlkampfprogramm muß Kompromißresultat vieler innerparteilicher Strömungen sein und wird daher in jedem Fall etwa so aussehen: Reduktion des Defizits, höhere Steuern für Reiche, weniger Militärausgaben, starke Worte für die Gleichberechtigung der Frauen.

Hart wie Mondale sind gegen den B-l-Superbomber und die MX-Monsterrakete, beide befürworten ein Einfrieren der Nuklearrüstung und wollen die Abrüstungsverhandlungen neu beleben.

Und beide würden, wie auch Reagan und alle Präsidentschaftskandidaten aller Parteien und Zeiten, in der Praxis anders handeln, als in den Programmen steht.

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