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Pluralität statt Enge
Bei einem TV-Gespräch „Ohne Maulkorb" zum Thema „Friedensbewegung" gab ich den grimmig streitenden Diskutanten zu bedenken, daß ja keiner von ihnen über einen Atombunker verfüge. Befürworter wie Gegner einer einseitigen atomaren Abrüstung haften für ihre friedenspolitische Position mit dem eigenen Leben und sollten im Blick auf diese Tatsache miteinander eigentlich etwas nobler umgehen können als dies zumeist der Fall ist.
Der literarische Niederschlag der aktuellen Friedensdiskussion zeigt, daß sich auch die moralisch-intellektuellen Eliten bezüglich der Wege zum Frieden oder zur Vermeidung des heißen Krieges nicht einig sind.
So hat Manes Sperbers Frankfurter Friedenspreisrede mit dem dramatischen Apell, Europa jedenfalls zu verteidigen, einen achtbaren und betagten Vertreter der Friedensbewegung zur bitteren Anmerkung veranlaßt, Sperber sei eben ein ehemaliger Stalinist und habe sich von den entsprechenden Denkstrukturen nie ablösen können.
In dem von der Hamburger Zeitung „Die Zeit" im Juni 1983 veröffentlichten Brief Andrej Sacha-rows an den amerikanischen Physiker Drell heißt es dagegen wörtlich:
„Natürlich ist mir klar, daß wir in dem Bestreben, auf keinem Gebiet hinter einen potentiellen Feind zurückzufallen, zum Wettrüsten verurteilt sind, und das in einer Welt, in der so viele andere unaufschiebbare Probleme ihrer Lösung harren. Aber die Hauptgefahr ist nun einmal der Atomkrieg, in den wir hineinschlittern können. Falls sich die Wahrscheinlichkeit für eine solche Katastrophe dadurch verringern läßt, daß wir noch zehn oder fünfzehn Jahre weiter (konventionell)
Wettrüsten, werden wir wohl diesen Preis zu zahlen haben ..."
Auch unter Christen gibt es in dieser Frage auf Leben und Tod gegensätzliche Auffassungen. Das jüngste Konzil hat erklärt, bezüglich moralischer Fragen, die mit Sachfragen verknüpft seien, könnten Christen legitimerweise verschiedener Auffassung sein und dürften einander deshalb eine glaubwürdige Christlichkeit nicht absprechen.
Manche höchst engagierte Christen fühlen sich durch das Evangelium z. B. inspiriert, für einen bedingungslosen ersten Schritt zur atomaren Abrüstung im eigenen westlich-politischen Lager einzutreten und sind enttäuscht, weil andere, ebenfalls engagierte Christen dazu nicht bereit sind.
Diese Pluralität läßt sich aber durch einen Rekurs auf das Evangelium, zumal auf die Bergpredigt, nicht beseitigen. Das Neue Testament hält gegen solche Probleme keine Rezepte bereit, sondern bietet einen zu schöpferischfriedlichem Handeln drängenden Werthorizont.
Es ist verständlich, daß junge
Christen, die auf Grund ihres Glaubens moralisch überdurchschnittlich sensibel sind, einen langen, ja den längsten politischen Hebel zum Frieden suchen und einfach erscheinende Modelle der Konfliktlösung als besonders attraktiv empfinden. Einreden älterer Christen, auch kirchlicher Amtsträger, vermögen gegen diesen Elan zunächst nicht viel.
Widerstand gegen illegitim erscheinende Vereinfachungen ist dennoch legitim und im Gewissen geboten. Das Ringen um den Frieden in Gestalt der Friedensbewegung dürfte aber mindestens unter Christen nicht zu einem „Krieg um den Frieden" werden.
Von einer Friedensbewegung im weiten Sinn des Wortes werden die Christen sich nicht absentieren, weil das Christentum, unterwegs zu jenem Frieden, den die Welt nicht geben kann, immer auch um den gebrechlichen Frieden bemüht sein muß, den die Welt geben kann.
Diesem Auftrag gilt eine der Seligpreisungen. Schmale und einseitige Allianzen sind damit nicht abgesegnet.
„Ob wir davonkommen werden ohne zugrundezugehen am tausendfachen Atomblitz?" hat Marie Luise Kaschnitz in einem Text mit dem Titel „Steht noch dahin" kurz vor ihrem Tod gefragt. Die Christen wissen es sowenig wie andere Menschen, aber sie haben das Wort: „Fürchtet Euch nicht!" Das ist nicht Opium sondern Ferment beharrlichen Einsatzes für den Frieden.
Der Autor ist Diözesanbischof von Gurk-Klagenf urt und Jugendreferent der österreichischen Bischofskonferenz.
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