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Poet und Agitator

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Nach der Premiere des Dramas „Im Dickicht der Städte“ ging 1927 der kritische Lärm pro und kontra weiter, der schon mit „Trommeln in der Nacht“ 1922 aufgewirbelt worden war. Der in Augsburg am 10. Februar 1898 als Sohn eines Fabriksdirektors geborene Berthold Eugen Friedrich Brecht, der sich alsbald eigenwillig Bertolt Brecht nannte, war bereits seit den Beiträgen für die „Augsburger Neuesten Nachrichten“ (als Siebzehnjähriger) unübersehbar, erregte immer Aufsehen, Zuspruch oder Widerspruch, und das lange über den Tod (1956 in Ost-Berlin) hinaus.

Der Vater, ein braver Patriot, hielt trotzdem unbeugsam zu dem jungen Revoluzzer: der Sohn stand ihm noch näher als das Vaterland.

Brecht blieb bis zuletzt, was er vom Anfang an war: bedingungslos linksintellektueller Schriftsteller, der nie auf die Straße ging, weder als jugendlicher Pazifist im Ersten Weltkrieg noch in reifen Jahren beim Arbeiteraufstand 1953 in Ost-Berlin (was ihm die utopische Kritik des linken Günter Grass eintrug; denn „Die Plebejer proben den Aufstand“, doch der geistige Führer probt elitär den „Coriolan“). Er war kein Plebejer, er war nur für die durch Druck Unterdrückten und gehört zu den meistinterpretierten Autoren des Jahrhunderts.

„Schmierereien heutiger Literatur“ prangerte der „Völkische Beobachter“ nach der Münchner Aufführung an. „Hier kann man nur ja oder nein sagen. Man spürt sofort die Suggestionskraft der Sprache“, rezensierte hingegen Herbert Ihering, und Thomas Mann berichtete von dem Angriff mit Stinkbomben auf die Premiere, als chemisches Argument in einer geistigen Auseinandersetzung; er schließt: „Auch das ist

München.“ Politik oder Sprachkunst? Karl Kraus, der 1928 für die Uraufführung der „Dreigroschenoper“ das fehlende Geld vorgestreckt hatte und ansonsten zeitgenössischer Literatur kritisch gegenüberstand, brachte 1932 in Wien und München nicht nur Verse der „Hauspostille“ (1927), sondern auch Szenen aus der burlesken Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Brecht zum Vortrag, „mit dem weder eine Übernahme seines Weltbildes noch seines Begriffes vom Theater beabsichtigt ist“, wie er einleitend konstatierte, den er aber „für den einzigen deutschen Autor halte, der... heute in Betracht zu kommen hat“ und: „Für die Verse von .Kranich und Wolke“ jedoch gebe ich die Literatur sämtlicher Literaten hin, die sich irrtümlich für seine Zeitgenossen halten.“ Genau um die Ablehnung „seines Weltbildes“ ging es Friedrich Torberg, der „Das Vierte Dreigroschen-Finale“ (1929) auch später nicht zurücknahm und es sogar vorzog, dem Kaffeehaustisch des verehrten Vorbüdes Karl Kraus fernzubleiben.

Bei dieser uneingeschränkten Hommage für eine Jahrhundertfigur (des Theaters wie der Lyrik) soll und darf der sogenannte und allzugern mißverstandene „Brecht-Boykott“ — hierzulande — vor drei Jahrzehnten nicht boykottiert werden. Er bildete - in jenen brisanten fünfziger Jahren — keineswegs die schnöde Fortsetzung des moralinsaueren Streites zwischen reaktionären und progressiven Standpunkten, sondern eine Aktion der staatspolitischen Notwehr. Nach dem putschmäßigen Umbruch zum blutigsten

Linksextremismus in der deutschen Ostzone, in der CSSR sowie in Ungarn und einem mit Mühe gerade noch abgewehrten Versuch (von den USIA-Betrieben und den russisch verwalteten Bezirken Wiens aus), auch in Österreich die junge Demokratie in eine „Volksdemokratie“ zu verwandeln, war die Lage bei uns durch Druck aus dem Osten derart labi-lisiert, daß die Freiheit des Staates eine Zeitlang für lebenswichtiger erachtet werden durfte als die „Freiheit der Kunst“, um die es letztlich gar nicht ging.

Bertolt Brecht, der nie Parteimitglied geworden ist und sogar mit schlauer Vorsicht die österreichische Staatsbürgerschaft angestrebt und auch erhalten hatte, ehe er sich endgültig in der DDR niederließ, hat mit seinen späteren Stücken ganz eindeutig für den Kommunismus Partei ergriffen, freilich auf einem literarischen Niveau, das für Massenpropaganda zu hoch gewesen wäre. Weniger hoch, eher plakativ und durchaus nicht subtil agierte die Argumentationstechnik einer forschen Clique, die seinen Namen auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Ihr ging es nicht um „episches Theater“, sondern ganz prosaisch um einen parteipolitischen Machtwechsel und seine Folgen.

Der bis heute, also noch post-hum, angeklagte Friedrich Torberg hat die fatale Problematik, die in jener Epoche ebenso akut wie staatsgefährdend war, später mit einem Bonmot von aphoristisch zutreffender Gültigkeit definiert: „Ich bin nicht gegen Brecht. Ich bin gegen die Brechto-kokken.“ Sie drohten nämlich eine Seuche zu werden. Denn Brecht war, bei aller antibürgerlichen Aggressivität, immer ein Humanist; aber Stalinisten und Post-Stalinisten, die von seiner Befürwortung zu profitieren versuchten, waren keine Humanisten.

Alles das hegt nun weit zurück, ist heute veraltet, und Bertolt Brecht ist vom revolutionären Gesellschaftskritiker und literarischen Avantgardisten für die Nachwelt zum Neuerer geworden. Er war für vermeintliche Gesinnungsgenossen ebenso unbequem wie für ideologische Gegner — übrigens auch privat unglaublich faszinierend, zumal für Frauen; doch das wäre ein intimes Kapitel für sich. Sein Fleiß war enorm; seit seinem Tod wurden zahlreiche, vorher nie aufgeführte Stük-ke auf die Bühne gebracht, zum Beispiel „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“. Der Welterfolg des Dreißigjährigen mit der „Dreigroschenoper“ blieb auch für den Erfolgreichen einmalig; aber „Das Leben des Galilei“ (1938 begonnen, oft überarbeitet) hat wohl am großartigsten Grundprobleme des geistigen Daseins dramatisch vor Augen geführt: einerseits wie schwer es sein kann, die Wahrheit zu sagen, anderseits dabei die Wissenschaft und das Gewissen in moralischen Einklang zu bringen. (Dieser weiterhin aktuelle Grundgedanke war ihm sechs Jahre vor der Atombombe durch den Kopf gegangen.)

Das Volk sei nicht „-tümlich“, hat er uns gelehrt. In der Tat: wie unvergeßlich und ergreifend sein abbittend-poetischer Ruf „An die Nachgeborenen“ auch ist - Bertolt Brecht hat nie im banalen Sinn „populär“ geschrieben.

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