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Poetische Seelen

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Kennst du den Ball, wo Wiener Frohsinn blüht, vor Freud“ ein jedes Mädchenauge glüht?“ schrieb ein gewisses Fräulein Ce-lestina Truxa im Jahre 1909. Ihr liebliches Gedicht ist auf Seite 61 im „Ballbuch der Deutsch-österreichischen Schriftstellergenossenschaft“ dieses Jahres abgedruckt, anläßlich einer festlichen Veranstaltung in den Sofiensälen, die mit dem „Einzugsmarsch“ aus „Tannhäuser“ eröffnet und mit der Polka „Mit Chic“ von Eduard Strauß beendet wurde. Beinahe jedes Jahr lieferte das Fräulein Truxa einen Beitrag für das aktuelle Ballbuch; so trat sie 1905 für das aktive Frauenwahlrecht im Ballsaal ein, begeisterte sich 1907 in zierlichen Versen sogar für die Wahlpflicht der Herren - wer sichr keine Tänzerin wählt, der „wird verklagt“ — und ergänzte ihr Programm 1910 mit der zusätzlichen Forderung: „eder Mann, der das achtzehnte Lebensjahr überschritten hat und nicht tanzen kann, welchen Standes er auch sei, zahlt wegen dieses unverzeihlichen Mangels 100 Kronen Steuer.“

Die in Leder, Seide oder goldverziertes Leinen gebundenen Ballbücher widersprechen auch sonst der Legende, nach der die Damen jener Zeit schreckhaft scheu und krankhaft zurückhaltend gewesen sein sollen. „Mich hat ein bunter Falter geküßt“, schreibt etwa 1911 Fräulein Ella Triebnigg aus Wien; „Ich kenne ja seinen Flattersinn / Ich sah ihn von Blüte zu Blüte schweben / Und weiß, daß ich nicht die erste bin. / Die einzige nicht in seinem Leben“.

Und wenn Herr Wladimir Kuck, ebenfalls aus Wien, 1905 den Seufzer ausstieß: „Laß nur einmal mich umfangen / Deinen minnig-lichen Leib“, so konnte er auf Verständnis hoffen: Schrieb ja eine andere fleißige Mitarbeiterin der Ballbücher, Fräulein Sofie Jarze-becki, die galante Aufforderung: „Tanzt mit den Frauen! Sie flechten und weben / Himmlische Rosen ins irdische Leben.“

Es wurde fleißig getanzt, hauptsächlich Polonaise, rascher Walzer, Kotillon, Quadrille ä la cour und die Mazurka — die damals noch korrekt Masurek genannt wurde —, üftd als dann, einige Jahre vor dem Weltkrieg, der Tango erfunden wurde, durfte er noch lange nicht im Ballsaal einziehen. Er wurde sogar verdammt. „Daß Tangotanz verboten ward, / wir lebhaft akklamieren, / denn deutscher Tanz sei zücht'ger Art, / doch niemals ein - Tangieren“, schrieb 1914 Herr Eduard Maria Schranka, und unter den im Ballbuch abgedruckten weisen Sprüchen lesen wir die schlichte Feststellung des Herrn von Holzapfel: „Tango ist das getanzte Lied vom Kanapee.“

Die Deutsch-österreichische Schriftstellergenossenschaft zählte Peter Rosegger zu ihren Ehrenmitgliedern, der auch jedes Jahr einen kleinen Beitrag für das Ballbuch bereit hielt, im übrigen bestand der Verein aus einigen Journalisten und hauptsächlich aus Kunst- und Literaturfreunden aus Adel und Bürgertum, die ebenfalls Gedichte und Novellen schrieben, altertümlich im Geschmack, etwas einseitig in der Politik, stets bemüht, wahrhaftig melancholisch oder aufrichtig heiter zu wirken. Sie schrieben über alles, was ihnen einfiel. So beweinte 1905 Herr Karl Koloman Schlesinger den „zerstückten Morgenrock“ seiner Gattin, dessen Reste als Putztuch verwendet werden.

Die Begegnung mit der Technik inspirierte ebenfalls Gedichte. Leopold Waldhauser besang 1908 „den modernen Redakteur“, der bereits mit Hilfe einer Schreibmaschine arbeitete und auch den Marconi-Ständer — nämlich das

Telefon - in Anspruch nahm; und 1913 beklagte sich Herr Wilhelm Hermann aus Homoröd, Siebenbürgen, in seinem „Fliegerlied“, er möcht“ gern in einem Aeroplan durch das blaue Luftmeer sausen, „doch ich muß am Hangar kleben, / weil mir eine Schraube brach.“

Aus fernsten Teilen des Reiches trafen Beiträge für das Ballbuch sowie auch Gäste für den prunkvollen Ball ein, aus Czernowitz und aus Banjaluka, aus Triest und aus Stoczbowitz. Komteßchen und Tuchhändler, Staatsbeamte und Gutsbesitzer, und zuweilen auch Lehrer, Journalisten und sonstige Literaten verfaßten Gedichte und reisten dann mit Schlitten und Bahn nach Wien, um an dem Fest teilzunehmen, die eigenhändigen Werke gedruckt wiederzusehen und ihren Erfolg genießen zu können. Man befand sich unter Gleichgesinnten, und einheitlich war die Ablehnung gegenüber der modernen Kunst und Literatur. „Heutzutage b jeder lyrische Schmock eine,weiße Seele“ und führt sie in grünlich-rötlichen Dämmerungen spazieren wie ein Hündlein an der Leine“, schrieb 1906 Herr Alois Aegid Spitzner, und Fräulein Paula von Wasserburger kritisierte zwei Jahre später die „Pornographie“ der neueren Literatur in einem längeren Gedicht:

„Willst du ein berühmter Dichter sein, / so jage den Pegasus in den Stall zurück / und sattle dir rasch ein Borstentier, / Besteige es und gib ihm die Sporen! / Und wenn es durch den Dr... nicht recht vorwärts will, / So kneif es fest in die Ohren.“ Das Wort Dreck vertrug die Druckerschwärze nicht. Herr Meinrad Sa-dil wandte sich gegen den Stil der Sezession, der die Menschen „me-lonenhaft abrundet“, ein anderes Gedicht tadelte dagegen die Modernen gerade deshalb, weil sie „des Weibes Form“ zu „langgestreckter Magerkeit“ werden ließen.

Die Autoren der Ballbücher hatten ein anderes Frauenideal, ganz und gar nationaler Prägung: „So lieb ich die deutsche Frau: / Einfach, schlicht nur von Gewand / Aber daß aus Rand und Band / ich gerate, wenn wir scherzen“, schrieb 1906 Herr Alarich Tubert.

Uberhaupt wurde anläßlich der Bälle viel über die deutsche Nation geschrieben. Jedes Jahr lieferte zum Beispiel Herr Emil Hofmann ein diesbezügliches Gedicht. 1906 lobte es die Löwen auf der Brücke bei Nußdorf, die „den deutschen Donaustrand“ bewachen und gegen Mitternacht „ins ferne Slawenland“ blicken, im nächsten Jahr gesellten sich zu den Slawen bereits die Magyaren und Rumänen als in „eitlen Wahn“ verfallene Völker, und 1909 forderte Herr Jakob Dont bereits Waffen, um den deutschen Boden und das deutsche Blut zu schützen.

1913 entfaltete sich die Kriegslust des Ballkomitees in voller Pracht, was jedoch die heitere Stimmung nicht im geringsten störte. Bereits auf der ersten Seite des filigranen Bändchens „sträubt sein Gefieder der Kaiseraar“, Herr Raimund Hawerland wünscht, „daß der Ungar niemals verwüste wieder ein deutsches Land“, in einem anderen Gedicht heißt es „die Slawenbrut / hier nisten will / in Ubermut“, und wenn 1907 ein gewisser Herr Iwan De-licz, gebürtiger Russe und Wahlösterreicher, noch den Reim schreibt: „Rußland, du bliebst mir das Mütterlein traut, / Österreich, du - die erkorene Braut!“, so hätte ein solches Gedicht im Band des Jahres 1913 keinen Platz gefunden, denn Herr Josef Scheicher „ruft in die Welt“, daß „nichts uns sei daran gelegen, wenn in die Grube stürzen der Russe und der Serbe!“

Und im ersten Weltkriegsjahr schreibt ein anderer Autor: „Deutschsein heißt hart sein, / Ein Wächter der Art sein, / Die Kraft gibt und Licht.“ Das Poem trägt den Titel „Deutsch sein!“ Der Verfasser hieß Rupert Neworal.

Alle beunruhigenden Stimmen vermochten aber die glänzende Laune, über die berichtet wird, daß sie Ballgäste bis in die frühen Morgenstunden beseelte, keineswegs zu trüben, die jungen Mädchen folgten nach der traditionellen Schnellpolka nur widerwillig ihren Eltern oder sonstigen Aufsichtspersonen und kehrten, die Damenspende im perlbestickten Beutel und in Begleitung ihrer Kavaliere, heim. Im Ballbuch 1907 wurde das Gedicht einer Baronin Carola Buschmann abgedruckt, das die nachfestliche Atmosphäre des Wintermorgens festhält: „Verhallt der Geigen Ton! / Des Abends Lust und Schmerzen / Verlöschen mit den Kerzen. / Kaum bleibt ein Traum davon. / Ein wenig Flitter nur / Verfärbt im Morgenlichte; / Auf müdem Angesichte / Der Tränen leise Spur.“

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