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Poker um funfte Kolonne

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Die Hinwendung einiger arabischer Staaten zu den USA, die Aufhebung des Erdölembargos gegen den Westen und die „Ent-nasserisierung“ in Ägypten verunsichern zunehmend die intellektuelle Jugend der arabischen Welt und führten im Libanon bereits zu blutigen Auseinandersetzungen demonstrierender Jugendlicher mit den Sicherheitskräften.

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Die Hinwendung einiger arabischer Staaten zu den USA, die Aufhebung des Erdölembargos gegen den Westen und die „Ent-nasserisierung“ in Ägypten verunsichern zunehmend die intellektuelle Jugend der arabischen Welt und führten im Libanon bereits zu blutigen Auseinandersetzungen demonstrierender Jugendlicher mit den Sicherheitskräften.

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Arabiens Intellektuelle, vor allem die akademische Jugend, sind seit dem frühen Tod des ägyptischen „Rais“ vor rund dreieinhalb Jahren und der rapiden Abkehr des neuen Regimes am Nil von dessen Methoden, Ideologie und Zielen zutiefst verunsichert. Für sie, deren Idol Gamal Abdel Nasser war, ist der Bruch mit seiner antiwestlichen und sozialreformerischen Politik Verrat an der arabischen Sache. Doch während die studentische Jugend Ägyptens nach anfänglichen Demonstrationen gegen den „Sadatismus“ bald dessen innere und äußere Liberalität schätzen lernte, steigerte sich die durch den Tod des „Rais“ hervorgerufene Verlassenheit bei den ihrer Vaterfigur beraubten Jugendlichen anderer arabischer Länder inzwischen zu einem verbiesterten, antiwestlichen, orthodoxen Neo-Nasserismus. Seine Anziehungskraft steigt dabei im gleichen Maße, in dem die geographische Entfernung vom einstigen Nervenzentrum des Nasserismus zunimmt.

Es ist kein Zufall, daß sich der Haß der Jugend gegen die schleichende Rückkehr der Araber in den Schoß des Westens gerade im Libanon entlud, dem neben Israel einzigen formal-parlamentarisch regierten nahöstlichen Staat. Die hier herrschenden größeren politischen Freiheiten erlauben öffentliche Demonstrationen. Anderseits ist die libanesische Demokratie seit la.ngem entartet und nicht die politische Vertretung aller sozialen und ethnischen Schichten. Nach dem ungeschriebenen Nationalpakt aus den vierziger Jahren entsprechen alle politischen Institutionen dem damals gültigen Minderheitenproporz. Staatspräsident ist immer ein maronitischer Christ, Premierminister ein sunnitischer und Parlamentssprecher ein schiitischer Moslem. Dieses System entspricht jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr den tatsächlichen Verhaltnissen. Die Moslems bilden längst die Bevölkerungsmehrheit. Das System nimmt außerdem bis heute keinerlei Rücksicht auf die sozialen Schichtungen. Die sozialen Unterklassen sind sowohl bildungsmäßig als auch bei der politischen Interessenvertretung benachteiligt. Das wirkt sich wieder besonders auf die muselmanischen BevölkerUngsteile nachteilig aus.

Die Studenten haben sich schon seit längerem zum Sprachrohr für die längst überfällige innerpolitische Neuordnung des Kleinstaates an der Levanteküste gemacht. Ihr Vehikel war und ist dabei vor allem der ..arabische Sozialismus“ Gamal Abdel Nassers. Die Jungakademiker gehen bei ihrer Auflehnung gegen die bestehende Formaldemokratie davon aus, daß sie die Gegenwarts- und Zukunftsprobleme kaum bewältigen könne, weil sie auf Proporzüberlegungen basiere, die nicht mehr den veränderten sozialen Verhältnissen und Forderungen entsprächen. Hierin stimmen ihnen auch etablierte Politiker der gemäßigten Linken und der Mitte zu. Auch sie wollen grundlegende Änderungen des politischen Systems, aber behutsam und auf längere Sicht, nicht so stürmisch wie die Studenten. Kenner der Verhältnisse sehen in den blutigen Unruhen von Beirut, die ein Todesopfer und mindestens fünfzig Verletzte forderten, einen Hinweis auf künftig zunehmende Unruhen auch in anderen arabischen Ländern. Die durch das von USA-Außenminister Henry Kissinger zustandegebrachte ägyptisch-israelische Truppenentflechtungsabkommen an der Suezkanalfront eingeleitete „Austrocknung“ des Palästina-Konflikts werde die eigentlichen inneren politischen und sozialen Gegensätze auf der arabischen Seite dieser Front freilegen und ihre Austragung erzwingen.

Möglicherweise sieht die Sowjetunion, die durch Kissinger im Nahen Osten zunächst ausgetrickt wurde, in dieser unvermeidlichen Entwicklung den Hebel zur Wiedergewinnung ihres ideologischen Einflusses. Die KP und die Linksgruppe des Drusenführers Kemal Dschumblat stellten sich sofort und demonstrativ auf die Seite der unzufriedenen Studenten. Und schon einige Zeit vorher enthüllte ein im Westen beinahe unbeachtetes Treffen führender Vertreter der kommunistischen Parteien des Libanons, Syriens, Jordaniens und des Iraks die langfristigen Ziele Moskaus und seiner arabischen „fünften Kolonne“. Nur die Kommunisten und die linksextremen Palästina-Guerillas sprechen seitdem noch von der „imperialistisch-zionistischen Herausforderung“. In dem erst längere Zeit nach dem Treffen veröffentlichten Kommunique hieß es, die Araber müßten auf die sowjetischen Waffen und die Freundschaft der Sowjetunion vertrauen. Man müsse sich im übrigen auf die Intensivierung innerisraelischer Krisenentwicklungen und die Unterstützung der progressiven arabischen Regime konzentrieren. Da es außer im Irak und in Syrien kein arabisches Regime mehr gibt, das der Kreml-Einstufung „progressiv“ gerecht wird, setzen Moskau und seine arabischen Gefolgsleute jetzt offenkundig auf die nächste Generation. Die Vorgänge im Libanon sind ein Hinweis darauf, wo sich der Kreml in Nahost künftig seine Verbündeten suchen will.

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