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Pole und auch Kardinal

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Hinter seiner Bahre schritten Kardinal-Staatssekretär Ca- saroli und die Spitzen des kommunistischen Regimes. KP-Chef Kania würdigte die Fähigkeit des am 28. Mai verstorbenen Kardinals Wyszynski, „die Zeichen der Zeit 'Zu deuten“. Knapp zuvor hatte er dem sowjetischen Oberbefehlshaber der Warschauer-Pakt-Truppen, General Kulikow, die Zeichen der Zeit in seinem Land erklärt: Polen wolle auf Reformkurs bleiben. Eine gespenstische Symbolik...

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Hinter seiner Bahre schritten Kardinal-Staatssekretär Ca- saroli und die Spitzen des kommunistischen Regimes. KP-Chef Kania würdigte die Fähigkeit des am 28. Mai verstorbenen Kardinals Wyszynski, „die Zeichen der Zeit 'Zu deuten“. Knapp zuvor hatte er dem sowjetischen Oberbefehlshaber der Warschauer-Pakt-Truppen, General Kulikow, die Zeichen der Zeit in seinem Land erklärt: Polen wolle auf Reformkurs bleiben. Eine gespenstische Symbolik...

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Wer ihn in seinen Amtsräumen in Warschau gesehen, bei Messen, Empfängen oder kirchlichen Zeremonien erlebt, seine Predigten gehört hat in einer Sprache, die er glänzend zu meistern verstand, wer sein Auftreten, seine Mimik und Körpersprache beobachtet hat - der weiß, daß Kardinal Stefan Wyszynski im wahrsten Sinne des Wortes „Kirchenfürst“ war: von echter, nicht angemaßter Autorität, majestätisch und beherrscht.

Diesem äußeren Erscheinungsbild war ein geistiges und geschichtsverhaftetes Bewußtsein zugeordnet.

Der Primas von Polen hat von jeher als eine Art stellvertretende Regierungsinstanz gegolten. Er war „inter- rex“, er war es auch, der Könige proklamierte und krönte - und das war ebensowenig wie der erste Sitz im Senat, dęn er einnahm, nur ein Symbol; es war ein Mandat, das ihm das Volk verliehen hatte.

Gan? in dieser Tradition wurzelnd und sie selbstverständlich ausübend, war Wyszynski auch in Volkspolen nicht nur Herr über die Seelen, sondern zugleich auch immer eine höchst politische Person.

Der Kirchenfürst, seine ruhige und stets würdevolle Art, die sich jeden Temperamentsausbruch diszipliniert versagte, ohne deshalb des leidenschaftlichen Engagements für die gerechte Sache zu entraten, hatte aber auch noch andere Facetten in seinem geradlinig geschliffenen Charakter.

Es ist über seinen asketischen Und autoritären Zügen, seiner bis zur Halsstarrigkeit gehenden Prinzipientreue und seinem diplomatisch-politischen Geschick vergessen worden, daß er volksnah, einfach und zugänglich war. Er hat ein ausgeprägtes Interesse für die soziale Frage gezeigt - er studierte doch auch Soziologie - und bedeutende

Schriften zu diesem Thema verfaßt („Der Katholizismus, der Kapitalismus und der Sozialismus“ sowie „Die Seelsorge angesichts der modernen sozialen Bewegungen“).

Mit seinem Sinn für Realitäten und in Kenntnis der polnischen Volksseele hat Wyszynski theoretische Erkenntnis in klare Formeln und Forderungen umzusetzen vermocht. Er forderte etwa 1971 „das Recht auf angemessene Lebensbedingungen für alle Familien und jeden einzelnen Bürger“.

Wenn er von der Menschenwürde gesprochen hat, dann fehlte der Hinweis nicht, daß zum Leben auch Kuchen und Schinken gehörten. Er sprach schlicht und einfach aus, „daß niemand gerne an einem freien Werktag zu freiwilligen Arbeitsschichten und Arbeitseinsätzen geführt wird“. Wyszynski, aus dem Volk gekommen - sein Vater war Lehrer und Organist -, hatte nie verlernt, auf die Stimme des „kleinen Mannes“ zu hören und ihn auch zu verstehen.

Eine weitere, nicht zur Schau gestellte Facette seines Charakters war die tiefe Spiritualität und Innerlichkeit, die diesen Kirchenmann, für den Tradition, Glauben und Gehorsam die „stärksten Waffen der Kirche“ waren, auszeichnete.

In Laski, einem kirchlichen Heim für Behinderte in der Nähe Warschaus, war für den Primas stets ein bescheidenes Zimmer reserviert - mit einem abgewetzten Sofa, einem wackeligen Schreibtisch und Sessel, ein paar Büchern im Regal. Oft genug hat er sich hierher zurückgezogen, um bei langen Spaziergängen durch die duftenden Föhrenwälder zu beten und zu meditieren.

Wyszynski - und auch das muß, so seltsam das klingt, betont werden - war zutiefst Pole (und manche Kritiker meinen, erst in zweiter Linie sei er Kardinal und Katholik gewesen). Darüber mag ein kurzer Aufriß seiner Biographie und Leistungen Aufschluß geben.

Wyszynski, von Papst Pius XII. 1948 zum Erzbischof von Gnesen und Warschau ernannt, brachte 1950 den ersten vertraglichen Ausgleich zwischen Kirche und Staat im kommunistisch beherrschten Osteuropa zustande. Wiewohl ervon 1953 bis 1956 in einem Kloster zwangsinterniert war, hat er aus nationalem Selbstverständnis und dem Bewußtsein, für dieses Volk Verantwortung zu tragen, oft genug auch gemeinsam mit dem kommunistischen Regime gefochten - in Fragen der Arbeitsmoral, des Alkoholis- mus, um die volle politische und kirchenrechtliche Eingliederung der ehemaligen deutschen Ostgebiete usw.

Er war stets ein Anwalt für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat, ohne deswegen je aus taktischen Gründen ein Jota seiner Überzeugung geopfert zu haben. Er hat unermüdlich in der Frage des Religionsunterrichtes und ungehinderten Kirchenbaues gekämpft. Sein streitbares Herz ließ ihn unablässig Gewissensund Religionsfreiheit fordern, den „freien Zugang des Volkes zur christlichen Kultur“. Er verlangte „Meinungsfreiheit und wahrheitsgetreue Information“: als unbequemer Seelenhirte und unbedingter Patriot.

Auch ein so großartiger Mann wie Wyszynski - sein Bild hängt in allen Sakristeien Polens und in vielen katholischen Haushalten - hat Fehler gemacht. Fehler, die sich freilich nur als solche aus der Sicht des Historikers ergeben, der es bekanntlich leichter hat, klüger zu sein, als der konkret Handelnde in der Geschichte.

Seine triumphale Rückkehr 1956, als Parteichef Gomulka ihn holte, hat Wyszyhski zuwenig genützt, um der Kirche institutionell mehr Freiheitsraum zu sichern. Seine ablehnende Reaktion auf die Niederschlagung der Studeritenunruhen von 1968 und der damit verbundenen antisemitischen Hetzkampagne kam reichlich spät, fast so spät wie jene Gomulkas.

Und auch bei den Danziger Streiks des Jahres 1980 reagierte Wyszynski (in seiner berühmten Tschenstochauer Rede) nach dem Geschmack der Arbeiterschaft zu vorsichtig, ließ er zunächst unzweideutige Unterstützung vermissen.

Bei all diesen Fehlern (wenn es welche waren) muß man aber in Rechnung stellen, daß der Kardinal-Primas nie von seiner grundsätzlichen Linie abgewichen ist: Wegen der Ungewißheit zukünftiger politischer Entwicklungen hat Wyszynski - mit kühlem Kalkül der geopolitischen Fixpunkte - die Kirche niemals voll in jene auch system- und bündnisgefährdende Dynamik der gesellschaftlichen Prozesse in Polen von 1956, 68, 70, 76 und 80 auf Gedeih und Verderb eingebunden.

Er mag damit, in kurzfristiger Perspektive, manchmal zu spät gekommen sein; in der langfristigen Perspektive einer mehr als tausendjährigen polnischen Kirche aber hat er ihr letztlich wahrscheinlich die Zukunft gesichert.

Wyszynski soll einmal zu Vertrauten gesagt haben: „In Polen - und nirgendwo sonst - entscheidet sich das Schicksal des Weltkommunismus.“

Die Erfüllung dieser Prophetie, in Ansätzen sichtbar wie noch nie, erlebte er nicht mehr.

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