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Polen-Alltag nach dem Papstbesuch

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Obwohl der Besuch des Papstes im Land an der Weichsel noch sichtlich belebend nachhallt, ist dennoch der schwere und mühselige, politisch unbefriedigende Alltag wieder zurückgekehrt.

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Obwohl der Besuch des Papstes im Land an der Weichsel noch sichtlich belebend nachhallt, ist dennoch der schwere und mühselige, politisch unbefriedigende Alltag wieder zurückgekehrt.

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Viele Polen sind auch heuer wieder an die Badeorte der Ostsee oder auf die Masurische Seenplatte in den organisierten Urlaub gefahren — und man fragt sich, wie sie sich das leisten können. Für einen dreiwöchigen Aufenthalt mit Vollpension hat eine dreiköpfige Familie über 50.000 Zloty zu berappen — bei einem Durchschnittsgehalt von 12.000 bis 14.000.

Das TV-Programm ist um einen Kanal — aus Ersparnisgründen — gekürzt worden. Saftige Mietpreiserhöhungen sind angekündigt worden; ein weiteres Drehen der Inflationsspirale im Herbst darf als sicher angenommen werden.

Die Misere bei Konsumgütern — vor allem bei Schuhen und Texti-

lien hält weiter an. Die Bauern z.B. klagen, daß sie heuer nur ein Paar Gummistiefeln zugeteilt bekommen haben.

Auch in der großen Politik ist der bedrückende Alltag des ja nur suspendierten Kriegsrechtes wieder voll da. Die polnische Künstlergewerkschaft ZPAP ist aufgelöst worden. Der suspendierte polnische Schriftstellerverband hat zwar noch eine Gnadenfrist erhalten, aber ob seine Suspendierung nicht doch in eine endgültige Auflösung und schließlich in eine regimetreue Neugründung führt, ist noch völlig offen.

Auch die politischen Prozesse sind nach dem Papstbesuch fortgesetzt worden. Die Berufungsverfahren gegen die Mitglieder der rechten und nationalistischen „Konföderation für ein freies Polen“ um Leszek Moczulski sind mit einer Bestätigung der Urteile über die Bühne gegangen. Wäh rend der Sommermonate erwartet man die Schauprozesse gegen die — bisher ohne ordentliches Verfahren — in Haft gehaltenen Mitglieder der Dissidentengruppe KOR (Kuron und Michnik).

Das ist der Alltag in Polen — mehr als drei Wochen nach der Visite von Johannes Paul II.

Die Hoffnungen richten sich zunächst auf den 22. Juli, den polnischen Nationalfeiertag. Es wird für dieses Datum—als ein konkretes politisches Ergebnis der Papstreise - die endgültige Aufhebung des ja nur (seit Jahresanfang) suspendierten Kriegsrechtes erwartet. Die ist von den Behörden mehrmals und angeblich auch von General Jaruzelski dem Papst zugesagt worden.

Daß substantielle Teile des Kriegsrechtes freilich in den normalen Rechtsalltag durch Sondergesetze, die vom Parlament (Sejm) verabschiedet werden, inkorporiert werden — darüber machen sich die meisten Polen keine Illusionen; auch darüber nicht, daß die endgültige Aufhebung des suspendierten Kriegsrechtes das Regime als seinen Erfolg und als Ergebnis der „Normalisierung“ — und nicht des Papstbesuches — ausgeben wird.

Das paßt in das strategische Konzept der Partei, die — nach wie vor innerlich zerrissen und in Wirklichkeit äußerst schwach — aus der Papstvisite ein Maximum an Vorteilen für sich herauszuschlagen sucht.

Daß es anfänglich Differenzen über die Bewertung der Papstvisite gegeben hat, darauf deutete die vorverlegte Einberufung einer Parteikonferenz hin, die außer dem Politbüro auch die Provinzsekretäre umfaßte. Vor allem in den Woiwodschaften haben ja die abgehalfterten Dogmatiker vom Typ eines Grabski oder Kociolek

(der eine ist Handelsrat seines Landes in Ostberlin, der andere Botschafter in Moskau) noch immer einen Anhang in der schmal gewordenen Parteibasis.

Daß sich die „Zentristen“ um General Jaruzelski in ihrer grundsätzlich positiven Bewertung der Papst-Visite durchgesetzt haben, zeigten mehrere Kommentare der Massenmedien. In ihnen wurde unter anderem daran erinnert, daß auf dem Reform-Parteitag von 1981 festgehalten wurde, daß Gläubigkeit und Parteimitgliedschaft einander nicht ausschließen müssen. Mehrfach wurde auch darauf hingewiesen, daß der positive Dialog zwischen Staat und Kirche fortgesetzt werden müsse.

Ob sich die Partei die Mahnungen des Papstes zum echten Dialog mit der Gesellschaft und der Notwendigkeit einer Änderung der Politik wirklich zu Herzen genommen hat oder in selektiver Wahrnehmung nur jene Passagen von Verantwortung, Arbeit, innerem und äußerem Frieden die Rede war — das kann erst die Zukunft weisen.

Konkret wird sich das zeigen, wenn es um die Verwirklichung zweier wichtiger Projekte geht, die im Rahmen des Papstbesuches — und zwar auf höchster Ebene — besprochen worden sind: Es geht um die „Entwicklungshilfe“ für die privaten polnischen Bauern, die teils von westlichen Kirchen, teils von Privatbanken im Westen aufgebracht werden und mehrere Milliarden D-Mark umfassen soll.

Von staatlicher Seite geht es darum, das „Gesicht“ zu wahren und diese wirklich höchst erwünschte Hilfe nicht ausschließlich durch kirchliche Kanäle fließen zu lassen.

Das zweite große Projekt ist die im Prinzip von der Staatsmacht zugestandene Bildung von sogenannten „Klubs zur Seelsorge für die Werktätigen“, die landesweit aus der Taufe gehoben werden sollen und eine Art pastorale „Ersatz-Solidarität“ in streng kirchlichem — und nicht politischem — Rahmen darstellen könnten.

Während die katholische Kirche unzweifelhaft aus dem Papstbesuch Stärkung und Kraft bezogen hat, so sieht die Bilanz für die regimetreuen katholischen Organisationen wie „Pax“, Christlich- Soziale Vereinigung und den So- zial-Bund eher trist aus. Sie sind während und auch nach der Visite völlig ignoriert worden.

Eher schwierig auch die Lage der Untergrund-„Solidarität“ und Lech Walesas. Die politischen Gewichte bewegen sich von ihnen weg zur Kirche; sie wissen, daß sie im Kräftefeld Polens endgültig an die dritte Stelle gerutscht sind.

Die Opposition um Untergrundführer Bujak hat sich in ihrer Kommentierung des Papstbesuches kein kritisches Wort einfallen lassen und sich als „papsttreu“ deklariert. Politische Zukunftsaussagen fehlen.

Sie stammen kurioserweise von Lech Walesa, dem im Gespräch mit Johannes Paul II. angeblich zur Mäßigung geraten wurde. Er hat — offenbar um auszutesten, wie groß sein Spielraum noch ist — sich einen rechtlich umstrittenen „wilden Urlaub“ genehmigt,

Er kündigte, gleichsam mit der Angel in der Hand, erneut Protestkundgebungen und Arbeitsunterbrechungen an: „Wir werden niemals die Straße verlassen, auf der wir uns jetzt befinden. Das gilt für mich und Leute wie mich. Ich möchte den Kampf für unsere Ideen fortsetzen, und unter der Fahne der .Solidarität geht das am besten.“

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