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Polen bleibt militarisiert

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Bei der endgültigen Aufhebung des Kriegsrechtes im heurigen Sommer hatte General Jaruzelski den Rückzug der Armee in die „zweite Linie“ angekündigt. Davon ist bis jetzt in Polen wenig zu merken. Die bewaffnete Macht ist nach wie vor ein eisernes Korsett für das Land.

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Bei der endgültigen Aufhebung des Kriegsrechtes im heurigen Sommer hatte General Jaruzelski den Rückzug der Armee in die „zweite Linie“ angekündigt. Davon ist bis jetzt in Polen wenig zu merken. Die bewaffnete Macht ist nach wie vor ein eisernes Korsett für das Land.

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Markig knallt der Stechschritt des Warschauer Garde-Bataillons auf das Pflaster am Siegesplatz: Traditionelle, pompöse Wachablöse vor dem Grabmal des Unbekannten Soldaten. Wie immer haben sich Schaulustige — auch Polen - eingefunden. Applaus klingt auf. Trotz 19 Monaten Kriegsrecht hat die bewaffnete Macht Polens noch immer Sympathien auf ihrer Seite.

Im Straßenbild der Hauptstadt sind heute zwar offenkundig mehr Uniformen zu sehen als früher, aber die Zeiten, da in voller Kampfmontur Soldaten Straßen und Plätze beherrschten, sind endgültig vorbei.

Das soll freilich nicht täuschen. Am 21. Juli hatte zwar Partei- und Regierungschef Jaruzelski im Parlament die endgültige Aufhebung des Kriegsrechtes verkündet und dabei versprochen: „Mit diesem Tag zieht sich die Armee aus der ersten Frontlinie zurück. Für die Berufskader der Armee kommt nun eine Zeit des normalen, alltäglichen Dienstes dort, wo ihr militärisches Handwerk für die Verteidigungsbereitschaft des Landes unentbehrlich ist.“

Das stimmt nun aber wirklich nur teilweise. Polens bewaffnete Macht ist weiterhin an der „Front“ — Dutzende Indizien beweisen das. Sie ist, noch mehr als es ohnehin im kommunistischen System der Fall ist, in die Politik eingebunden. General Tadeusz Tupczapski hat dies kürzlich sehr deutlich formuliert:

„Jeder Soldat sollte ein Marxist sein und jeder sollte ein Aktivist im wirtschaftlichen und sozialen Bereich sein. Die früheren Militärkommissare (aus der Zeit des Kriegsrechtes, wo sie Industrien und Verwaltung „befehligten“; Anm. der Red.) sollten weiter in ständigem Kontakt mit ihren damaligen Tätigkeitsbereichen bleiben.“

Und genau das ist eigentlich eingetreten. Die „Militarisierung“ der zivilen und politischen Verwaltung im Lande an der Weichsel ist weitgehend aufrecht geblieben, hat die Abschaffung des Kriegsrechtes „überwintert“.

Von den 49 Woiwodschaften Polens sind zehn in den Händen von Militärs — dabei so wichtige wie Warschau, Danzig und Kattowitz, die mit Generälen besetzt sind. In der Woiwodschaft Posen wird sogar die Funktion des ersten Parteisekretärs von einem Offizier ausgeübt.

Laut offiziellen Angaben werden bis zum Jahresende 1983 rund 10.000 polnische Offiziere weiter im zivilen Bereich tätig sein. 2000 sind nach wie vor als „Militärkommissare“ in allen Bereichen des öffentlichen Lebens tätig.

Daß sie nicht als Armeeangehörige „erkannt“ werden, hängt damit zusammen, daß sie von der Armee beurlaubt wurden oder ih-

re Uberstellung in den Zivildienst läuft. Aber es sind ausgebildete Offiziere.

Rund 5000 Offiziere sind als „Inspektoren“ tätig. Sie kontrollieren Betriebe, Verwaltungseinrichtungen, lokale Behörden, ja sogar die „Militärkommissare“.

Nach wie vor im Einsatz sind auch die mehr als 2000 Offiziere der sogenannten „Gebiets-Opera- tiv-Gruppen“. Sie bereiteten 1981 den „Kriegszustand“ vor. Sie nehmen heute weiterhin ihre Aufgaben wahr und werden systematisch zu Verwaltungsbeamten umgeschult.

Die Politisierung der Armee und die Militarisierung der Verwaltung läßt sich auch noch an anderen Indizien ablesen.

Per Erlaß wurde zum Beispiel geregelt, daß die Hochschulen, Akademien und Universitäten keine Aufnahmebegrenzung für künftige Polit-Offiziere mehr haben. i

An den Offiziers-Hochschulen wiederum sind jene Fächer ausgebaut und bedeutend erweitert worden, die den Absolventen auf eine zivile Verwendung (in Verwaltung und Industrie) vorbereiten.

Ein weiteres Novum: Die ideologischen Schulungen für künftige Linien-Offiziere wurden erhöht. General Jaruzelski hat ja als Zielvorstellung eine „Anpassung und Angleichung“ zweier bisher weitgehend verschiedener Offizierstypen — nämlich des Truppen- und des Politoffiziers - formuliert.

Die Armee ist auch so etwas wie ein „eisernes Skelett“ der nach wie vor von Mitgliederschwund und Desorganisation heimgesuchten KP. Sowohl die Parteihochschule, als auch die Kaderabteilung des ZK (wo die wichtigen Personalentscheidungen vorbereitet werden) und die Abteilung für internationale Beziehungen sind in Hand von Berufsoffizieren.

Im Politbüro sitzen neben Jaruzelski noch General Kiszczak (er ist auch Innenminister) und General Florian Siwicki. Im ZK-Se- kretariat gibt es neben Jaruzelski noch General Miroslaw Milweski.

Rund 15 Prozent der Partei-Administration läuft über Schreibtische, an denen Offiziere sitzen.

Auch in Regierungsfunktionen ist die Armee stark vertreten — und der versprochene Rückzug in die zweite Linie hat bisher nicht stattgefunden. Neben dem Innenministerium werden auch das Bergbauministerium (Pioniergeneral Czeslaw Piotrokowski) und das Verwaltungsministerium (Wlodzimierz Oliwa, früher Kommandant der Region Warschau) von Militärs befehligt.

In der Hand eines Offiziers ist auch das wichtige Instrument der Obersten Kontrollkammer

(NIK), das nun sogar unter Führung von General Tadeusz Hupa- lowski eine „Anti-Korruptions- Brigade“ aufgestellt hat. Mehrere Vizeminister, zum Beispiel jener für Erziehung, tragen ebenfalls den erdbraunen Rock der bewaffneten Macht Polens.

Diese Entwicklung, von Partei- und Regierungschef Jaruzelski gewollt und aus seiner Sicht auch notwendig, weü es güt, in das Chaos starke Strukturen einzuziehen, birgt dennoch unübersehbare Gefahren.

Die Armee, deren Ansehen zwar durch die Verhängung des Kriegsrechtes gelitten hat, aber von der Bevölkerung noch immer respektiert und geachtet wird, wird wohl für einen Teil der Misere mitverantwortlich gemacht werden.

Zweitens — und das ist potentiell noch gefährlicher: Die Kirche wehrt sich vehement gegen die Verpolitisierung der Armee und dagegen, daß die bewaffnete Macht nun zu einer Art „Volkshochschule“ für marxistische Indoktrination werden soll. Auf die verfügte Auflösung der Sonderkompanien für Theologiestudenten hat sie vorerst mit einer verstärkten Seelsorge unter den Wehrpflichtigen reagiert.

Drittens — die offenkundig immer stärkere Einbindung der polnischen Armee in die Wirtschafts- und Verwaltungsprozesse des Landes muß die Militärs des Warschauer Paktes und insbesondere die Sowjetmarschälle beunruhigen. Ihrem Verständnis nach sollten alle Offiziere in einer Zeit, die von erhöhter Spannung und drohenden Auseinandersetzungen mit dem „Imperialismus“ geprägt ist, in der Kaserne und im Feld — und nicht am Schreibtisch dienen.

Dennoch bleibt das Faktum: Der einzige Rückzug von Gewicht, der am „Tag der Streitkräfte“ am 12. Oktober erfolgen wird, ift das Ausscheiden von General Jaruzelski aus dem Amt des Verteidigungsministers …

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