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Polen blickt nach Europa

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Nach den erfolgreichen Ausstellungen über Matthias Corvinus und über die Aufklärung in Preußen wurde nun die große Exposition über Polens Goldenes Zeitalter eröffnet.

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Nach den erfolgreichen Ausstellungen über Matthias Corvinus und über die Aufklärung in Preußen wurde nun die große Exposition über Polens Goldenes Zeitalter eröffnet.

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Es ist nicht nur bloße Flucht in vergangene Zeiten, wenn die Polen heute von der Jagiellonen-Zeit als ihrem Goldenen Zeitalter schwärmen. Mit der litauischen Herrscherdynastie, die von 1386 bis 1572 die Geschicke Polens innen- wie außenpolitisch bestimmte, tritt nicht nur eine kunstgeschichtlich äußerst reiche und bedeutsame Epoche in Erscheinung, sondern ein Zeitraum, der für Polen eine starke Anbin-dung an Europa bedeutete.

Die diesjährige große Ausstellung auf der Schallaburg bei Melk ist den Jagiellonen gewidmet. Sie ist die erste umfangreiche kulturhistorische Schau dieses Zeitraumes, die im Westen gezeigt wird. Für die Jagiellonen-Ausstellung wurden aus ganz Polen wertvolle Kunstgegenstände zusammengetragen. Insbesondere haben sich die Erzdiözese Krakau (Hauptstadt zur Zeit der Jagiellonen), aber auch andere kirchliche Stellen in Polen - vor allem kleine Landpfarren - an der Erstellung der Schau beteiligt. Federführend war in arbeitsreichen eineinhalb Jahren das Krakauer Nationalmuseum.

Mehr als 600 Exponate sind auf der Schallaburg zu sehen. Ein umfangreicher Ausstellungskatalog erleichtert den Zugang zum Verständnis jener Zeit zwischen Gotik und Renaissance.

Was die Jagiellonen kulturell, staatspolitisch und intellektuell für Polen bedeuteten und noch bedeuten, kann man vor allem am Beispiel Krakaus ermessen. 6.000 historische Objekte, darunter 74 alte Kirchen und 42 Klöster, werden derzeit unter größten finanziellen Anstrengungen restauriert. Auf der Schallaburg möchte man in erster Linie den intellektuellen Aufbruch Polens vor sechshundert Jahren dokumentieren.

Das Krakauer Nationalmuseum hat sich Gedanken darüber gemacht, was nicht nur historisch Gebildete, sondern auch das breite Publikum in Österreich interessieren könnte. Dabei geht es zunächst um die Darstellung der Einflüsse aus ganz Europa, die sich zur Jagiellonen-Zeit in Polen kreuzten und dort in neuer Form fruchtbar wurden; des weiteren auch um die Geschichte des adeligen Mittelstandes (Besitzer von bis zu 15 Dörfern), die politisch einflußreicher werden und sich einen Platz im Parlament erkämpfen wollten—auf Kosten der königlichen Macht. Außerdem wird auch die Bedeutung der katholischen Kirche für die Jagiel-lonen-Dynastie und für Polen im geschichtlichen Kontext der Abwehr der Türkengefahr für Europa vielfältig dokumentiert.

Auf diese Weise gewinnen die Objekte der Ausstellung den Wert von Identifikationsgegenständen für eine politische Gemeinschaft, auch noch in der Gegenwart. Das sollte der Ausstellungsbesucher nicht übersehen.

Es geht nicht nur um teure, wertvolle, schöne Exponate. Die Auswahl der berühmten flämischen Gobelins aus der Kollektion des königlichen Schlosses Wawel in Krakau zeigt auch das von den Jagiellonen aus dem Mittelalter übernommene Konzept der prachtvollen Ausgestaltung und Mehrung des Reiches. Mit dem um 1496 geschaffenen Zepter des Rektors der altehrwürdigen Krakauer Jagiellonen-Universität — 1364, ein Jahr vor Wien gegründet — verbindet sich der Eintritt Polens in den Bereich universalen Forschens und der Wissenschaft. Kunst wird in der Jagiellonen-Ära zum Synonym der Völkerverbindung.

Was auf der Schallaburg zu sehen ist, darf nicht unter dem Aspekt der Konservierung historischer Augenblicke betrachtet werden. Die Vorstellung des religiösen, politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens der Jagi-ellonen-Epoche bedeutet zweifellos auch eine Selbstdarstellung des heutigen Polen — manchmal mit direkten Bezügen, was die Idee von Polen als einer „Vormauer des Christentums“ in Europa damals wie heute betrifft. Dann wieder indirekt, wenn die Jagiellonen das positive Bild, den leuchtenden Hintergrund gewissermaßen für gegenwärtige gesellschaftspolitische Rücksichtnahmen abgeben.

Deshalb ist es so wichtig, die Bemühungen der Jagiellonen um machtpolitischen Einfluß im Sü-

den - Böhmen, Ungarn, zum Teil auch im Habsburger-Bereich — als wesentlichen Bestandteil auch der geistigen Ausrichtung Polens zu werten. Die Bestrebungen der Jagiellonen um Einfluß im Donauraum im 15. und 16. Jahrhundert markieren einen Willen, geistige Verbindungen über Grenzen hinweg auch politisch umzusetzen. Die Machtpolitik ist letzten Endes gescheitert, das geistige Erbe, die Identität eines Volkes über historische Epochen hinweg, ist aber erhalten geblieben.

Der Geist des kulturellen Austausches, der Kreuzung und Fruchtbarmachung intellektueller Strömungen kennzeichnet auch das heutige Polen. Das gut sowohl für die Intelligenz katholischer wie, Jinks-humanistischer“ Herkunft. Die katholische Intelligenz ist um Einbindung Polens in das abendländisch-christliche Europa bemüht. Die „linke“ Intelligenz — beispielsweise um einen Krakauer literarischen Verlag versammelt — sieht sich zwar zunächst als elitäre, in der Gedankenwelt des dialektischen Materialismus beheimatete Gruppierung, ist aber für Diskussionen offen. Einen echten Dialog gibt es allerdings noch nicht.

Trotz des starren, am Marxismus orientierten Schemas, in das die polnische Gesellschaft heute gepreßt ist, gibt es eine unbeugsame traditionell christlich-europäische Gesinnung, einen Willen zum Gespräch auch über Systemgrenzen hinweg. Wenn nun in Österreich im Rahmen einer historischen Ausstellung eine in vieler Hinsicht reiche Epoche der polnischen Geschichte dargestellt, wird, so liegt darin die geistige“ Herausforderung, alles auch im Lichte heutiger Erfahrungen und Gegebenheiten zu betrachten.

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