6974297-1985_41_11.jpg
Digital In Arbeit

„Polen, einsamer Stern“

Werbung
Werbung
Werbung

In der zweiten Septemberhälfte fanden in London die Tagungen des dritten Welttreffens der im Exil lebenden polnischen Gelehrten statt. Der im Dezember 1981 in Warschau gewaltsam unterbrochene Kongreß der Polnischen Kultur bildete die Voraussetzungen des Treffens. Die organisatorische Struktur bekam die Form eines siebenarmigen Leuchters, der sieben verschiedene wissenschaftliche Disziplinen umfaßte.

Viele bedeutende Gelehrte waren gekommen, vor allem Professoren berühmter Universitäten. Sie teilten in ihren Vorträgen die Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Suche nach neuen Erkenntnissen mit. Es entstand die Möglichkeit einer breiten Konfrontation der Gedanken, und dies unter drei Generationen.

In vielen Stellungnahmen wurden einige Mythen ausdrücklich in Frage gestellt, die herkömmliche Denkungsart bildete oft den Hintergrund für neue Gedanken. Uber das Treffen sagt der Nestor der polnischen intellektuellen Elite, der 1905 geborene Literatur-und Kunsthistoriker Tymon Ter-lecki, Professor der University of Illinois in Chicago:

„Das ist ein glückliches Ereignis gewesen. Ein bedeutender Denkanstoß für Menschen, die es brauchen.

Sehr viele im Exil lebende Wissenschaftler erleiden Einsamkeit. Eine solche Gelegenheit, bei der die Vereinsamung durchbrochen wird, stärkt das Bewußtsein der

Zugehörigkeit zu einer großen intellektuellen Gemeinschaft.“

In seinem Vortrag über Stanislaw Wyspianski sagte Professor Terlecki, daß dieser Polen nicht nur als eine Idee verstanden hatte, sondern als eine unteilbare Einheit, als einen einsamen Stern auf dem Himmel der Geschichte.

Interessant ist auch die Bewertung des Kongresses durch den Schriftsteller Tadeusz Nowa-kowski. „Man versuchte ein Forum zu schaffen“, sagte er, „und es wäre leichtsinnig, anzunehmen, daß es eine rein politische Veranstaltung war.“

Ein großer Teil des Interesses galt auch der Kirche — in Polen und im Ausland. Es ist kein Geheimnis, daß, seitdem der Papst ein Pole ist, auch die polnische Kultur eine größere Verbreitung findet. Der Papst ist als Schutzpatron der unabhängigen polnischen Kultur zu sehen.

Auf dem Kongreß wurden auch kulturelle Bezüge und Verbindungen erörtert, zum Beispiel zwischen Polen und Österreich. Es wurde an einer Tradition angeknüpft, die auf die Anwesenheit Habsburgs im ehemaligen Galizi-en zurückgeht. Für die Verbindung charakteristisch ist der Dramatiker Thaddäus Rittner, der im österreichischen und im polnischen Theater gleichermaßen daheim war. Sein Werk, das in London ausführlich präsentiert wurde, regte zu einer lebhaften Diskussion an. Die Philosophin Anna-Teresa Tymieniecka, Rektorin des Weltinstitutes für Fortgeschrittene Phänomenologische Forschung und Bildung, Massachusetts, USA, sagte über den Kongreß:

Wir hatten es mit einer reifen Frucht der großen Emigrationen von 1939 und 1945 zu tun. Der Fortschritt des polnischen Denkens war gut zu bemerken. Dieses in vierzig Jahren erworbene Gut ist nicht nur in dem Erbe der rein polnischen Gedanken verwurzelt—es ist tief in das westliche Denken eingedrungen. Trotzdem bleibt eine Gefahr vorhanden: nur ein Drittel dieser intellektuellen Elite gehört zu der jüngeren Generation. Es erhebt sich eine melancholische Frage: Wird auch in der Zukunft die Energie der großen, alten Garde als maßgebender Faktor weiter wirken können?“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung