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Polen: PoKtische Herbststürme

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In und um Polen hat sich die Situation nach dem ersten Teil des Kongresses der unabhängigen Gewerkschaft ,,Solidarität" gefährlich verschärft, zumal in Danzig auch die Staatsmacht offen herausgefordert wurde; Ende dieser Woche folgt der zweite Teil. Hier eine Analyse der Ausgangslage:

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In und um Polen hat sich die Situation nach dem ersten Teil des Kongresses der unabhängigen Gewerkschaft ,,Solidarität" gefährlich verschärft, zumal in Danzig auch die Staatsmacht offen herausgefordert wurde; Ende dieser Woche folgt der zweite Teil. Hier eine Analyse der Ausgangslage:

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Der erste Teil des Kongresses der unabhängigen Gewerkschaft „Solidarität" in Danzig, dem Ende dieser Woche der zweite Teil folgt, hat erneut politischen Sturm in Polen aufkommen lassen. Der Kongreß der „Solidarität" hat aber paradoxerweise viele Parallelen oder Ergänzungen zum Parteitag der KP im Juli dieses Jahres gezeigt.

• Sowohl der Parteitag als auch der Gewerkschaftskongreß waren von Flügelkämpfen gekennzeichnet, deren Ergebnis seltsam parallel läuft. In der Partei mußte die starke gemäßigte Gruppe um den wiedergewählten Parteichef Kania ins neue Politbüro auch Vertreter des dogmatischen Kurses aufnehmen - etwa Stefan Olszowski oder Albin Si-wak.

Der erste Teil des Kongresses in Danzig war auch dadurch geprägt, daß die große Gruppe der Gemäßigten um Lech Walesa zumindest inhaltlich und programmatisch ein Bündnis mit den Radikalen der Gewerkschaft schließen mußte, deren prominentester Vertreter der Führer des Regionalverbandes Bromberg, Jan Ru-lewski, ist.

Zu den Kräften in der Gewerkschaft, die auf politische Veränderung aus sind, muß auch der einflußreiche Berater und „Guru" der ehemaligen Opposition der Gierek-Ära, Jacek Kuron, gezählt werden.

In gewisser Weise, wenn auch durch sein gutes Verhältnis zu den katholischen Intellektuellen um Professor Stomma, Tadeusz Ma-zowiecki und Wielowieski gewissermaßen „gebremst", müssen auch der Ex-Dissident Michnik und Ex-Pressesprecher Modze-lewski zum „Konfrontationsflügel" der „Solidarität" gezählt werden. Sie wiederum haben starken Einfluß auf Bujak, den Führer des mächtigen Regionalverbandes „Masowien" (Warschau und Umgebung).

• AbernichtnurFlügelkämpfe und Koalitionsbildung ergeben Parallelen zum Parteitag - auch die offenkundige „Übung der Demokratie", die auf dem Kongreß

in Danzig bis zum erschöpfenden Überdruß abgehalten wurde. Beide wichtigen Kräfte, Partei und Gewerkschaft, zeigten auf ihren Veranstaltungen, daß sie willens sind, Demokratie zu praktizieren - und es doch in Einzelfällen nicht können.

Die KP drückte bei den Delegiertenwahlen zum Parteitag auch auf etwas undemokratische Weise Vertreter des harten Flügels durch, in der Gewerkschaft wurden etwa Michnik und Kuron Delegierte, wiewohl sie laut Gewerkschaftsstatut als Nicht-Arbeitnehmer gar nicht am Kongreß hätten teilnehmen dürfen.

• Eine weitere Parallele zwischen Parteitag und „Solida-rität"-Kongreß: Uberdeutlich zeigte sich der eingeengte Spielraum beider gesellschaftlich-politischen Kräfte.

Die Partei hat, will sie nicht ihre Selbstentmachtung betreiben und auch im Hinblick auf die Vorwürfe aus Moskau und dem übrigen Ostblock, nur einen wenig ausdehnbaren Kompromißrahmen. Der Gewerkschaftsführung, ihrer Kompromißfähigkeit und ihrem Willen zum realistischen Nachgeben sind wiederum durch die Stimmung an der Basis gewisse Grenzen gesetzt. Als demokratische Institution kann sie sich den Wünschen ihrer zehn Millionen Mitglieder nicht entziehen und muß ihnen Rechnung tragen.

Aber es gibt nicht nur Parallelen zwischen Parteitag und Gewerkschaftskongreß, sondern auch Ergänzungen.

• Die KP hat auf ihrem Kongreß (und auch danach) wenig befriedigende programmatische Ansätze zur Lösung der vielen Krisen gezeigt. In dieses konzeptionelle Vakuum mußte daher ergänzend die „Solidarität" einwuchern, wiewohl sie damit gegen ihr eigenes Programm verstieß, in dem es heißt: „Als Gewerkschaft wollen wir nicht die Staatsmacht mit ihren Aufgaben ersetzen, vielmehr ihr gegenüber die Interessen der Werktätigen vertreten."

Noch schärfer hat es in der Zeitung „Polityka" Walesas Stellvertreter Gwiazda formuliert: „Wir wollen nicht, daß die Gewerkschaft Plattform der Verkündung politischer Anschauungen ist."

Genau das aber ist auf dem Kongreß in Danzig geschehen: Der sehr weitgehende Entwurf über die Arbeiterselbstverwaltung und die Wirtschaftsreform, die Aussagen über die Massenmedien („Abschaffung der Lüge") und die Forderung, Zugang zu ihnen zu haben, die Forderung nach Kontrolle über Produktion und Verteilung der Lebensmittel ist der Versuch der „Solidarität", wenigstens teilweise die Staatsmacht zu ersetzen.

Die Unterstützungserklärung für jene Werktätigen im übrigen Ostblock, die auch freie und unabhängige Gewerkschaften wolt

len, und die Forderung nach freien Wahlen ist nichts anderes als die „Verkündigung politischer Anschauungen" (ganz abgesehen davon, daß man damit dem russischen Bären den Honigtopf aufgestellt hat).

• Einander widersprechend, und doch in gewissem Sinne sich ergänzend, ist schließlich die Taktik, die von Partei und Gewerkschaft eingeschlagen worden ist.

Grob vereinfacht ließe sich sagen, daß die Taktik der Partei nach ihrem Kongreß im Juli weiterhin durch zwei Elemente geprägt war und ist:

1. Durch die Verzögerung der Verhandlungen, durch allgemeine Debatten ohne greifbare oder sofort konkret verwirklichbare Resultate. Noch immer schwankt die Partei „zwischen Verständigung und Konfrontation" (so Vizepremier Rakowski am 7. ZK-Plenum) mit den Gewerkschaften.

2. Durch den Versuch, die Gewerkschaft zu spalten. Wieder ist Rakowski zu zitieren. Er teilte die (Gewerkschaftsführer in Leute, „die die Situation im Lande verstehen, und jene, die weiter eine abenteuerliche Politik verfolgen wollen".

Auf diese Taktik von Partei und ^Regierung, die sich eben jetzt -vor Beginn des zweiten Teiles des „Solidarität"-Kongresses - scharf akzentuiert, hat die Gewerkschaft ergänzend und entsprechend reagiert. Den Versuchen der Verzögerung setzt sie neue Forderungen und neuen Druck entgegen.

Dem Versuch der Spaltung und dem „Szenario der Provokation" setzt sie trotz innerer Zerrissenheit den Appell zur Einigkeit und Ruhe entgegen.

Ob sich wieder, nach Ausschöpfung des „Krisenrituals", schließlich eine „polnische Lösung" aus den Konflikten ergeben wird, oder aber Polen in eine ausweglose Konfrontation gerät, wird sich nach dem zweiten Teil des Kongresses, der vor allem die Personalentscheidungen bringen wird, und den nachfolgenden Wochen herausstellen.

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