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polens Kirche nimmt neue Lasten auf die Schulter

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Im Macht-Dreieck - Vatikan, Warschauer Regierung, polnischer Episkopat — knistert es. Verschiebungen, Schwerpunktverlagerungen, neue Winkel im delikaten Verhältnis deuten sich an. Noch sind die Umrisse dessen, was daraus schlußendlich entstehen wird, ziemlich verschwommen, die künftige Gestalt des Macht-Dreiecks nicht abschätzbar.

Und das sind die Fakten:

#. Nach seiner Rückkehr aus Rom, wo er vier Tage lang mit dem Papst konferiert hatte, erklärte Primas Kardinal Josef Glemp in Wärschau: „Wenn die Umstände günstig sind, könnten die vollen diplomatischen Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Warschauer Regierung noch in diesem Jahr aufgenommen werden."

#. Regierung und katholische Kirche in Polen haben sich im Prinzip über die Schaffung eines Agrarfonds geeinigt, der in den kommenden fünf Jahren fast zwei Milliarden Dollar an Hilfsgütern nach Polen pumpen soll. Die Kirche wird dabei eine wesentliche Rolle spielen - vor allem durch eine Kontrollfunktion.

#. Ungeachtet gewisser Störversuche und „Partisanen"-Aktio-nen sind Staat und Kirche zu einer begrenzten, das jeweilige Interesse wahrenden Zusammenarbeit bereit. Dies signalisierte das Zusammentreffen zwischen Primas Glemp und Partei- und Regierungschef General Jaruzelski am Beginn dieses Monats.

Während im wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Bereich die Dinge in Polen bestenfalls stagnieren oder sogar eine kontinuierliche Entwicklung zum Schlechteren nehmen, also eine Verkrustung und Erstarrung der tiefen Dauerkrise stattfindet, brechen offenbar im Verhältnis Staat-Kirche-Vatikan gewachsene Strukturen auf.

So wünschenswert die Uberwindung der Starrheit ist, so sehr bringt die im Ansatz sehr dynamische Entwicklung auch unübersehbare Gefahren und Ris-ken mit sich.

Die Herstellung voller diplomatischer Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Warschauer Regime birgt eine Reihe von Implikationen.

Es ist kein Zufall, daß sich die „knorrige Eiche", der große polnische Kirchenfürst Kardinal Wyszynski, in seiner Amtszeit — bei all seiner unbestreitbaren Loyalität gegenüber Rom und dem Papst — mit Entschiedenheit und Geschick gegen die „Verrechtli-chung" der Beziehungen zwischen Staat-Kirche-Vatikan gewandt hat. Vereinfacht gesagt: Kardinal Wyszynski, auch ein Politiker und Diplomat von Graden, fürchtete die „Nebenregierung" eines päpstlichen Nuntius in Warschau.

Aus vatikanischer Sicht sind freilich juristische Strukturen, wie sie sich eben auch in vollen diplomatischen Beziehungen ausdrücken, wichtig. Zu wichtig, wie manche Kirchenmänner im Ostblock meinen, die kritisieren, der Vatikan opfere um dieser rechtlichen Strukturen willen zuviel an inhaltlicher Substanz.

Einen allseits befriedigenden Ausweg aus diesem Dilemma gibt es nicht. Der wohl beste Kenner der vatikanischen Ostpolitik, Hans-Jakob Stehle, meint dazu sozusagen wertfrei: „Die katholische Kirche ist nach ihrem Selbstverständnis eine öffentlich und gegliederte Organisamtion; sie ist kein Geheimkultverband, sondern sichtbare Gemeinde. Deshalb bedarf sie einer legalen Existenz im Staat und in der Gesellschaft. Katakomben sind keine religiösen Massenquartiere."

Nun — gerade in Polen ist die Kirche niemals, auch nicht in den Zeiten des Stalinismus, eine Katakombenkirche gewesen; ihr gesellschaftlicher und moralischer Einfluß ist von 1956 bis auf den heutigen Tag - trotz gewisser fortgesetzter Eindämmungsversuche von Seiten des Staates — ständig gewachsen.

Warum, so mag man fragen, sollte sie ihre Position, die sie de facto hat, auch de iure absichern?

Dies kann letztlich auch zu einer Schwächung führen, zu einem rechtlichen Korsett, das ihre Bewegungsfreiheit mehr behindert als der Undefinierte Status, den sie gegenwärtig hat. Ohne eine Legalisierung des Status der Kirche in Staat und Gesellschaft in Polen — und das hat Primas Glemp bestätigt — wird es aber keine vollen diplomatischen Beziehungen geben.

Eine riskante, zweischneidige Entwicklung also, die zudem vom Warschauer Regime propagandistisch als Beweis für die Normalisierung und als Argument gegen die andauernde außenpolitische Quarantäne verwendet werden könnte.

Nicht minder zweischneidig ist die Errichtung des Agrarfonds. Schon in den Verhandlungen mit dem Staat hat die Kirche Haare lassen müssen. Der ursprünglich nur für die polnischen Privatbauern gedachte Fonds muß seine Mitteln - laut Ubereinkunft - nun auch „für die Produktion von für die Landwirtschaft wichtigen Erzeugnissen in staatlichen Unternehmen verwenden". In der Verwaltung des Fonds sieht sich die Kirche auch mit einem Veto-Recht staatlicher Vertreter konfrontiert. Die ihr zugestandene Kontrollfunktion belädt sie mit schwerer Verantwortung. Sie wird in ein Unternehmen eingebunden, das auch schiefgehen kann.

Polens Kirche trägt damit eine schwere Last auf den Schultern. Der nur äußerlich starke, innerlich kranke Staat, die ausgeblutete und total abgewirtschaftete Partei, vor allem aber die leidende Nation braucht sie. Eine Weggenossenschaft nur auf Zeit? Gibt es ein Ziel? Man kann nur hoffen: Primas Glemp und der Papst wissen, was sie tun.

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