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Polit-Asthmatiker ohne langen Atem

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Wie lange kann sich sozialistisches Gedankengut hinter einem Macher als Bundeskanzler verstekken? Die Wende-Parolen hat die SPÖ jedenfalls kräftig inhaliert.

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Wie lange kann sich sozialistisches Gedankengut hinter einem Macher als Bundeskanzler verstekken? Die Wende-Parolen hat die SPÖ jedenfalls kräftig inhaliert.

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Die von der ÖVP propagierte Wende-Stimmung fand in Österreich verbale und wahltaktische Resonanz: nicht anders ist erklärbar, warum sich die Akzeptanz der ÖVP-Programme durch Begriffübernahmen seitens Franz Vranitzkys und durch die Tonali-tät der Haider-Tiraden bestätigte.

Mag sein, daß sich die Konservativen hierzulande zwar eines attraktiven Etiketts bedienten,

ohne sich der notwendigen programmatischen und theoretischen Arbeit zu unterziehen, um den „Wende“-Begriff zu austrifi-zieren.

Jedenfalls wurde eine konservative Wende in Österreich mehrheitlich nicht für notwendig erachtet, wobei dieser Prozeß im Wahlkampf vor allem durch zwei Phänomene verstärkt wurde: zum einen durch die gekonnt gesteuerte Persönlichkeits-Schau Franz Vranitzkys, zum anderen durch das geschickte Verstecken „sozialistischen Gedankenguts“, wie dies aufgebracht der SP-Links-schwärmer Josef Hindels monierte.

Vranitzky als gefällig gestylte Galionsfigur sozialistischen Machterhaltungswillens warf kurzerhand das „Parteiprogramm, die Gemeinwirtschafts-ideologie und andere Kernstücke des Sozialismus“ (Kurt Vorhofer) über Bord. Er legte auf den Altar der Machtsicherung die lästig gewordene Ideologie; mit wirksamen Werbesprüchen demonstrierte er, daß der Sozialismus alter Prägung ein unverkäuflicher Ladenhüter ist; statt linientreuer Bekenntnisse lieferte er bürger-nahe Floskeln.

Es kümmerte ihn auch wenig, daß seine programmatischen Aussagen wie plagiierte Versatz-Stücke aus ö VP-Reden klangen —

und wirkten. Und so agierte der Banker Franz Vranitzky als Verharmloser und ideologischer Niemand, der als wirtschaftlicher Krisenprofi das perspektivischideologische Denken hinter sich ließ.

Manchen Wählern gefiel's — und die Partei ließ sich's gefallen.

Für die SPÖ, die sich gerne als Sozialdemokratie tarnt, war das Jahr 1986 ein Jahr des politischen Verdrängens. Wegen der eklatanten Mißerfolge am 23. November -und am 8. Juni vor allem. Hinter diesen politischen Zäsuren verschwimmen Ereignisse, die zwar marginal wirken, jedoch tiefe ideologische- Verwerfungen anzeigen.

So wurde der 60. Jahrestag der Beschlußfassung ihres Linzer Programms (1926) von der ehe-

mals traditionsbewußten SPO schlichtweg ignoriert. Geradezu symptomatisch für den momentanen Geisteszustand der Partei ist ihre Unf ähigkeit/Unwilligkeit, dem Koordinator der „Perspektiven '“-Diskussion, Herbert Tie-ber, einen Parlamentssitz zu sichern: der Zukunfts-Denker seiner Partei hatte am 23. November beinahe symbolhaft sein Mandat verloren.

Bringt man diese Vorgänge der historischen und personellen Ausgrenzung zusammen, so trifft eine in anderem Kontext geleistete Analyse des Linzer Universitätsprofessors Josef Weidenhol-zer: „Perspektiven, die nur in die neunziger Jahre reichen sollen, brauchen eben keine historische Fundierung.“ Und: „Der lange Atem, der uns Sozialisten auszeichnet“, ist derzeit nicht spürbar, weil „die politischen Asthmatiker im Vormarsch“ sind.

Die „Perspektiven '90“ - noch am 26. September 1986 in der „Neuen AZ“ als „Konkretisierung des Parteiprogramms“ gewürdigt — sollten „Osterreich einen Weg zeigen, der zugleich die ungelösten Probleme der Vergangenheit wie die neuen Probleme im nächsten Jahrzehnt einer Lösung zuführt“.

So jedenfalls die anspruchsvolle Selbstbeschreibung in den „Perspektiven '90“, die offenbar im Eilverfahren getextet wurden, damit das „Zukunftsmanifest“ der ÖVP nicht als alleiniger

Platzhirsch grasen kann.

Wen wundert es daher, wenn bereits im zweiten Absatz des Vorwortes - übrigens von Fred Sinowatz und Karl Blecha unterzeichnet — unter Hinweis auf angebliche „kritische Stimmen“ festgehalten wird, „der Ideenvorrat der Sozialdemokratie sei aufgezehrt, ihr sei eine klare Vision für die Gestaltung der Zukunft verlorengegangen.“

Bestätig wird dies durch eine Vielzahl vö*h Formulierungen in den .^Perspektiven '90“, die inhaltlich ÖVP-Aussagen entlehnt oder als deren flüchtige Kopien erscheinen. Dazu einige beispielhafte Zitate der SPÖ-Vordenker: • „Gegen ein Zuviel an einheitlicher Regelung, gegen ein Ubermaß an staatlichen Aufgaben, gegen eine unübersichtliche und ein-

engende Gesetzgebung.“ - Den Deregulierungsforderungen der OVP abgeschaut.

• „Einbau von Elementen der Persönlichkeitswahl in unser Wahlsystem.“ - Dem VP-Demo-kratisierungskatalog nachempfunden.

• „Flexibilisierung der Arbeit: Flexible Gestaltung und Humanisierung des Arbeitsablaufes und der Arbeitszeit.“ - Vom OVP-Wirtschaftsprogramm übernommen.

• „Grundsätzliches Bekenntnis der Sozialisten zum Leistungsprinzip.“ — In Anlehnung an die öffentlich gut angenommenen Leistungsbekenntnisse.

• „Staatliche Strukturpolitik ist dabei grundsätzlich stets nur als ergänzend und unterstützend, als Hilfe zur Selbsthilfe zu sehen.“ — Hier ist das christlich-soziale Subsidiaritäts-Postulat erkennbar.

• „Zusätzliches Maß an Sicherheit durch Formen der privaten Eigenvorsorge.“ - Wieder mußte hier die christliche Soziallehre herhalten.

• „Die wirtschaftliche Effizienz der Unternehmungen hängt nicht von ihrer Eigentumsstruktur ab, sondern von ihrer Organisation.“ - Das attraktive Privatisierungs-Postulat schimmert durch.

• „Zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor wird es laufend Grenzverschiebungen geben, an die die Wirtschaftspolitik in Form verantwortungsbewußter Einzelfallprüfung und nicht ideologiefixiert herangehen sollte.“ - Eine Absage an das strukturell überholte Verstaatlichungsdenken.

• „Ein garantiertes Grundeinkommen setzt eine gesellschaftliche Solidarität voraus, die derzeit nicht gegeben ist.“ — Eine andere Umschreibung der Nicht-Finanzierbarkeit.

Offenkundig wollten die „Perspektiven '90“-Texter (wegen der stilistischen Mannigfaltigkeit müssen viele am Werk gewesen sein) dem als ständige Bedrohung herausgestellten Konservatismus

entgehen, indem sie sich dessen Vokabular großzügig bedienten.

Wobei es für unser Land günstig wäre, wenn dieser europaweit reüssierende neo-konservative Trend in seiner geistigen Tiefendimension erfaßt und als moralische Herausforderung politisch wie theoretisch bewältigt wird. Bloß verbale Übernahme von „Wende“-Etiketten, deren begrifflicher Fixierung man sich entzieht, greifen nicht!

Für die SPÖ und ihrem gehegten Ideologie-Anspruch dürfte es zu dürftig sein, lediglich aus Gründen der Optik und des Stimmenfangs die SPÖ hinter der geschönten Vranitzky-Fassade wegtauchen zu lassen.

Bei der schon im Sommer 1986 von Sinowatz (ungehört?) ausgerufenen und nun von Vranitzky möglicherweise in Gang gebrachten Reform der Partei wird wohl das Verhältnis Theorie - Praxis beziehungsweise Ideologie — Pragmatismus eine besondere Rolle spielen. Welche?

Für den sozialistischen Regierungschef sind die „Perspektiven '90“ jedenfalls nicht mehr als „eine reichliche und vielfach durchdiskutierte Auflistung aller relevanten gesellschaftlichen Bereiche“. Nun muß „Klarheit über unsere Identität als Sozialistische Partei in der Gesellschaft“ gefunden werden.

Die SPÖ-interne „Wende“ ist damit vorgezeichnet. Wohin?

Der Autor ist Mitarbeiter der ÖVP-Bun-desparteileitung.

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