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Politbombe Erinnerung

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Koca Popovic, von 1953 bis 1965 jugoslawischer Außenminister, bricht sein langjähriges Schweigen und legt den Finger in die Wunden des heutigen zerstrittenen Jugoslawien.

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Koca Popovic, von 1953 bis 1965 jugoslawischer Außenminister, bricht sein langjähriges Schweigen und legt den Finger in die Wunden des heutigen zerstrittenen Jugoslawien.

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Monatelang schon hält sich das Buch „Gespräche mit Koca“ (Raz-govori s Kocom), die der prominente „Politika“-Korrespondent Alexander Nenadovic führte, auf der Bestseller-Liste des Belgrader Magazins „Nin“. Und das, obwohl es keine saftigen Sensationen enthält - in sich aber ist es eine solche.

Koca Popovic, 1972 noch Stellvertreter Titos an der Spitze des

Staates, zog sich im selben Jahr ohne öffentliche Erklärung aus jeglicher politischer und öffentlicher Tätigkeit zurück, und hat sich seither konsequent in Schweigen gehüllt. Nun nimmt er zu vielen Fragen Stellung - aus der Vergangenheit ebenso wie zu den brennenden Themen Jugoslawiens heute.

An sich gehört auch dieses Buch in die Reihe von „Erinnerungen“, mit denen die jugoslawischen Leser in den letzten paar Jahren überschwemmt wurden. Es ist die alte Garde der Kommunisten, die plötzlich - natürlich viel zu spät - die Bedeutung des Begriffs „public re-lations“ erkannt zu haben scheint. Mit einemmal haben die Altkommunisten das Bedürfnis, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen, um die sie sich nicht nur nie gekümmert hatten, sondern deren

heutige Probleme j eder einzelne von ihnen persönlich mitzuverant-worten hat. Genau davon sprechen sie sehr viel weniger.

Hingegen brillieren sie gern mit der Enthüllung pikanter Details aus ihren Erfahrungen in nächster Nähe Titos.

Für die Leser heute, für manche politische Kreise, ist diese Memoirenliteratur höchst willkommen. Während die einen die „Wahrheit“, die Hintergründe für das heutige Wirtschafts- und Systemdilemma Jugoslawiens suchen, finden die an-

deren Argumente für die Zerstörung des Tito-Bildes, um sich vor einem solchen Hintergrund leichter an die Revision des von Tito gezimmerten Vielvölkerstaates - in seiner heutigen Form als Föderation von gleichberechtigten Republiken und Provinzen - heranmachen zu können. Das gilt vor allem für die serbischen Leser und ihre Politiker.

Koca Popovics Buch unterscheidet sich erstens schon darin von herkömmlichen Memoiren, daß er eine direkte Sprache, nicht Parteichinesisch spricht. Der 1908 als Sohn einer sehr reichen Belgrader Familie geborene Koca hatte an der Sorbonne Philosophie studiert und bereits einen Namen als surrealistischer Dichter, bevor er sich der KPJ anschloß. Zweitens unterscheidet sich Kocas Buch auch dadurch von anderen „Erinnerungen“, daß er sich nicht an der „Tito-Zertrümmerung“ beteiligt. Er will zwar den Tito-My-thos, den Tito-Kult zerstören, den Tito „überhaupt nicht nötig hatte“, der aber von diesem selbst und von seinen Mitarbeitern zielbewußt aufgebaut worden sei. Er hält an Tito als hervorragender Führerpersönlichkeit fest, kritisiert aber sehr.wohl dessen Fehlentscheidungen.

Was Koca über das brennendste aller jugoslawischen Probleme, die Beziehung Serben-Albaner im Kosovo, zu sagen hat, das ist schwerverdauliche Kost für seine serbischen Leser. Umso mehr, als er sich aus dem politischen Leben zurückgezogen hatte, weil Tito nach der kroatischen und der slowenischen auch

die serbische Führung mit Marko Nikezic (Parteichef, früherer Außenminister, wie Popovic aus bourgeoiser, kosmopolitischer serbischer Familie) und Latinka Perovic, die unbestritten intelligente Parteisekretärin, abgesetzt und ins politische Out geschickt hatte. Diese hatten einen liberalen Wirtschaftskurs und eine demokratische innerparteiliche Linie vertreten.

Heute sagen die Serben, dies sei einer von vielen Schritten zu Titos Ziel, Serbien entscheidend schwächen zu wollen, gewesen.

„Ich glaube nicht, daß Tito etwas gegen die Serben hatte, daß er sie zurückdrängen wollte.. .während des Krieges, da bin ich ganz sicher, hat Tito weder als Kroate gedacht noch in irgend einer Weise eine anti-serbische Strategie verfolgt...“ „Und später - nach dem Krieg?“ „Nun, vielleicht gab es in seinen politischen Kombinationen im Hinblick auf den Machtkampf so etwas wie eine Distanzierung von den Serben, genauer gesagt von einzelnen serbischen Vertretern.

Aber ich bin überzeugt davon, daß es sich bei ihm nicht etwa um eine kroatische nationalistische Aversion handelte, sondern um eine autoritäre, wenn Sie so wollen, Vorsicht des Herrschers.

Um die Macht, die persönliche Macht aufrecht zu erhalten und zu festigen, hat er, je älter er wurde, überall, also auch in Serbien, die Gehorsamen gefördert und die Andersdenkenden verdrängt, sogar verfolgt. Ganz besonders diejenigen, die es sich erlaubten, eine wirkliche und nicht eine dekorative Demokratisierung in der Führung der Partei und des Staates erreichen zu wollen.“

Auf die Frage, was er als die entscheidende Ursache des „schwersten politischen Dramas“ im Kosovo sehe, sagt Koca: „Ich bin der Ansicht, daß die wesentlichste Ursache in der Unfähigkeit Jugoslawiens zu sehen ist, sich zu einer modernen demokratischen Gesellschaft zu entwickeln.

Das Beharren auf dem autokratischen Monopol, sowohl auf der Ebene der Föderation als auch der Republiken und Provinzen, hat die einzige Möglichkeit, aus der Kosovo-Krise herauszufinden, blockiert: Die schrittweise Integrierung der albanischen Menschen auf unserem Territorium in die jugoslawische Gemeinschaft als Ganzes.

Voraussetzung dafür ist natürlich eine demokratische, politisch-wirtschaftliche Entwicklung in Serbien, aber auch in Jugoslawien. Weil ein solcher Fortschritt aber nicht stattfand... konnte sich ein Nationalismus, einschließlich die aggressive albanische Irridenta, als einzige politische Alternative im Namen der nationalistischen Identität und Selbstbestätigung etablieren.

Auf diese Weise haben wir einen national-revanchistischen Siedepunkt erreicht, statt durch Demokratisierung die Voraussetzung zu schaffen für eine beschleunigte Integrierung der albanischen Minderheit in den zivilisatorischen Raum der jugoslawischen Gemeinsamkeit.“

Den Albanern, so Koca, müsse eine jugoslawische Option offenstehen, da Serbien nicht die einzige Identifikation für die nationale und politische Ordnung der Albaner im Kosovo sein könne.

Koca Popovic fühlt sich einem Serbien verbunden, das sich seiner liberalen Traditionen aus dem 19. Jahrhundert bewußt ist - nicht dem Serbien des Volkstribunen Slobodan Milosevic, dessen Demagogie eine neue Ära des autokratischen Zentralismus heraufzubeschwören scheint.

Dieses Mal aber nicht im Geiste der Gleichberechtigung der Völker Jugoslawiens, sondern mit dem Ziel der Vorherrschaft eines politisch und wirtschaftlich unterentwickelten Serbien.

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