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Politcomics aus Rotchina

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Die Imperialisten haben Sonnenbrillen und Geiernasen, verlieren dann aber auf der Flucht die Hosen. Aufgeweckte Kinder machen verbrecherische Ex-Gutsbesitzer dingfest, Klassenfeinde gestehen nicht unter der Last der Beweise, sondern „unter der Macht der Diktatur des Proletariats“. Zwischen Gut und Böse gibt es keine Schattierungen. Die Bekehrung eines naiven Gelehrten, der da meinte, er könne einer blutrünstigen Bestie gegenüber Menschlichkeit walten lassen, findet keineswegs in der Gegenwart statt, sondern wird um 2000 Jahre zurückverlegt. In der Gegenwart hat es darüber, was gut und böse ist, keine Unklarheiten mehr zu geben.

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Die Imperialisten haben Sonnenbrillen und Geiernasen, verlieren dann aber auf der Flucht die Hosen. Aufgeweckte Kinder machen verbrecherische Ex-Gutsbesitzer dingfest, Klassenfeinde gestehen nicht unter der Last der Beweise, sondern „unter der Macht der Diktatur des Proletariats“. Zwischen Gut und Böse gibt es keine Schattierungen. Die Bekehrung eines naiven Gelehrten, der da meinte, er könne einer blutrünstigen Bestie gegenüber Menschlichkeit walten lassen, findet keineswegs in der Gegenwart statt, sondern wird um 2000 Jahre zurückverlegt. In der Gegenwart hat es darüber, was gut und böse ist, keine Unklarheiten mehr zu geben.

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In hohen Auflagen gedruckte Bildergeschichten, das, was man im Westen Comics nennt, sind in der Volksrepublik China ein wichtiges Mittel der Massenbeeinflussung. Sie haben immer einen politischen Inhalt und können außerhalb Chinas nacht ernst genug genommen werden — kein anderes Imfonmationsmittel macht die „Linie“ und ihre Aufbereitung für die breiten Massen auch dem NichtChinesen und/ Nichtfach-man so anschaulich, so unmittelbar zugänglich.

Daher ist das soeben erschienene Büchlein „Chinesische Comics — Gespenster, Mörder, Klassenfeinde“ in der von dem westdeutschen Chinakenner Wolfgang Bauer herausgegebenen „Gelben Reihe“ („China im Umbruch“) des Eugen-Diederichs-Verlages (256 Seiten, öS 152,50—), eine ungeheuer wichtige Primärquelle über das heutige China — man erfährt hier in einer sogar recht lustigen Comic-Lesestunde mehr als aus vielen langatmigen Analysen. Alle Bildunterschriften und auch sämtliche Sprechblasen wurden nämlich ins Deutsche übersetzt.

Die Welt, in die wir da unversehens hineingeraten, ist sozusagen eine heile Welt des Klassenkampfes — der Feind schläft zwar nicht, ganz im Gegenteil, aber da jeder gute Chinese weiß, was richtig ist, und nur abgefeimte Schurken zuwiderhandeln, ist das Leben einfach und klar.

Bildgeschichten haben in China eine uralte Tradition, chinesische Bildgeschichten hatten Einfluß auf die Entstehung der westlichen Comics, anderseits wurden die modernen chinesischen Comics seit langem von den westlichen beeinflußt. Diese Bildgeschichten werden nicht nur, meist im klassischen Querformat 13 mal 9 cm, in gewaltigen Auflagen gedruckt, sie werden auch sehr sorgfältig gemacht, die Autoren werden stets genannt, und die große Zahl der verwendeten Schriftzeichen stellt erstaunlich hohe Ansprüche an den Leser. (Chinesische Comics, die außerhalb Rotchinas gedruckt werden, etwa in Hongkong oder Singapur, sind nicht nur in der Machart einerseits „moderner“ und anderseits brutaler, sie kommen auch mit sehr viel weniger Zeichen aus.)

Kenner behaupten, daß diese Comics Chinas meistgelesene Literaturgattung sind und seit der Kulturrevolution neben den Werken von Mao Tse-tung die wichtigsten Lehrbücher für das Volk darstellen.

Wer etwas über China erfahren will, muß also auch rotchinesische Comics-Handlungen studieren. Ihre schwanz-weiß zeichnende Lehr-haftigkeit ist absolut unüberbietbar, ob es sich nun um historische oder gegenwärtige Stoffe handelt. Die Bildgeschichte vom „Aufstand der Klein-Schwert-Gesellschaft“ etwa folgt genau dem historischen Geschehen, endet aber mit dem Sieg des Liu Li-ch'uan, der einer der Führer des Taiping-Aufstandes im vorigen Jahrhundert war. Die Wiedereroberung des von den Aufständischen eingenommenen Shahghai durch die Truppen des Kaisers und Lius Tod bleiben aber unerwähnt.

Viele Geschichten sind äußerst aussagekräftig — sowohl über die Mittel politischer Indoktrinierung wie auch darüber, wo deren Erfolg offenbar noch zu wünschen übrig läßt. So wird in der Geschichte „Der Wolf“ die Verhandlungsbereitschaft und Menschlichkeit eines Gelehrten,angesiedelt 2000 Jahre vor unserer Zeit, lächerlich gemacht. Der Gelehrte begeht nämlich gleich zwei Verstöße zugleich gegen den beute gültigen Kodex. Zunächst erliegt er Gerüchten, einer seiner ehemaligen Schüler, der General geworden ist, begehe Verbrechen, und macht sich denn auch sofort auf den Weg, den General zur Rede zu stellen. Der Aussage einer weinenden Frau, ein böser Wolf habe ihren Sohn gefressen, glaubt er (da er ja den braven General verdächtigt) auch dann nicht, als er wenig später ebendiesem Wolf begegnet, er rettet ihn sogar vor dem böse Wölfe jagenden General, wird vom Wolf fast selber gefressen, fällt aber in seiner grenzenlosen Borniertheit einem Landmann,' der ihn rettet und den Wolf erschlägt, mit den Worten „Warum hebst du eine Waffe? Wir Gelehrten überzeugen durch Vernunft!“ in den Arm.

Die Story geht gut aus. < Der Gelehrte erkennt, daß sein Schüler, der General, ein Menschenfreund ist, und ändert einen Aufsatz, an dem er am Beginn der Geschichte gearbeitet hat. Statt „Gutes Herz kriegt guten Lohn“ heißt es nun: „Tut ganze Arbeit bei der Vernichtung des Bösen, entfernt das Unkraut mit der Wurzel.“ Was kein Chinareisender je von einem Chinesen erfährt, liegt hier überdeutlich zutage: Offenbar genießen „Wölfe und wölfische Bösewichte“ in China noch immer unerwünschte Sympathie — und offenbar stellen zu viele Chinesen noch immer zu viele Fragen über das Vorgehen des Generals „Chao Ohien-tzu“, wer immer sich hinter diesem Namen verbergen mag.

Auch Kinder 'als Detektive bei der Jagd nach Klassenfeinden (unter Hitler nannte man die Opfer anders) scheinen noch immer zu einem chinesischen Alltag zu gehören, der weniger harmlos sein dürfte, als ihn mancher im Westen gerne sähe. Warum sonst die Geschichte von den Knaben Ma T'uan-t'uan und Ma Ch'üan-ch'üan, die, während ihrer Ferien auf dem Lande in einer Produktionsbrigade tätig, einen Landjungen beim verbotenen Frösche-fanigen („Frösche fressen schädliche Insekten und beschützen dadurch den Reis“, hat der Lehrer gesagt) ertappen und daibei prompt auf die Spur eines ehemaligen Großbauern geraten, der, sterbend, die unter dem Bett versteckte Maschinenpistole seinem Sohn weitergibt?

Und kann die Hätz auf Nutznießer des vor fast drei Jahrzehnten mit Maos Sieg gestürzten Systems wirklich zu Ende sein, wenn in einem Comic aus dem Jahr 1974 ein ehemaliger, böser Gruben-Vorarbeiter als Saboteur erwischt wird und, deutlicher geht es nimmer, ein Braver sagt: „Dieser alte Fuchs war genau wie Lin Piao: Honig im Mund und heimlich den Dolch im Gürtel.“?

Höhepunkt des Bändchens „Chinesische Comics“ aber ist die Geschichte „Konfuzius — ein Verbrecherleben“. Die Verteufelung des Konfuzius hat den Westen überrascht — seltsamerweise, denn sie war vorauszusehen. Der Konfuzianismus habe „nicht nur die Welt so hingenommen, wie sie ist, sondern... durch Riten und Institutionen ihre Evolution veithindert“, ist bei Simone de Beauvoir lange vor der Kulturrevolution nachzulesen, und schon Brecht hatte nüchtern festgestellt, es sei „eine Unmenge von Verbrechen denkbar, die ein Mann begehen könnte, ohne auf die Anerkennung mancher Tugend zu verzichten, die den Konfutse ausgezeichnet hat“ (zitiert nach „Konfuzius, Materialien zu einer Jahrhundert-Debatte“ von Joachim Schickel, Insel-Taschenbuch 87) — der Stellenwert des konfuzianischen Staatsdenkens im China des zwanzigsten Jahrhunderts wird hinlänglich dadurch dokumentiert, daß Konfuzius, dessen Lehren stets das Bestehende zu verteidigen halfen, ausgerechnet 1907 durch kaiserliches Dekret für göttlich erklärt wurde. Die auch künstlerisch mit besonderem Aufwand produzierte Bildgeschichte über sein „Verbrecherleben“ geht vom historischen Tatbestand aus, daß Konfuzius die zu Ende gehende Gesellschaft der Sklavenhalter gegen die Grundbesitzer als Exponenten des „modernen“ Feudalismus verteidigte, um ihn alsbald zu einer völlig ahistorischen, aktuellen Feindfigur aufzubauen:

„Als Kind hat Konfuzius Spaß daran, Schüsselchen als Opferschalen aufzubauen. Schon beim Spielen lernt er so, vor Adeligen und Vorfahren Kotau zu machen. Seit seinem 15. Lebensjahr prägt er sich wie besessen die Regeln des Sklavenhaltersystems der versunkenen Chou-Dynastie ein und übt sich in den .Sechs Künsten*. Er träumt davon, einmal etwas Besseres zu werden. Mit 19 heiratet Konfuzius, zwei Jahre später wird ihm ein Sohn geboren. Der Fürst von Lu schickt ihm als Gratulationsgeschenk einen Karpfen, und Konfuzius, von Ehrfurcht überwältigt, nennt seinen Sohn .Karpfen'.“

Kernsätze: „Im Unterricht reitet er auf dem Begriff .Menschlichkeit' herum.“ Oder: ,,Die .Menschlichkeit' ist der Kernibegriff, mit dem er das Rad der Geschichte zurückdrehen will.“ Und daher: „Die Begriffe .Menschlichkeit, Rechtlichkeit und Moral' bedeuten bei ihm also nur, daß Kiassenangehörige sich gegenseitig decken sollen.“ Politisch mißbrauchte Menschlichkeitsbegriffe — bei Konfuzius vielleicht, im heutigen China aber offenbar auch.

Konfuzius wird korrupt, verschlagen und widerwärtig gezeichnet: „Man bläst ihn auf zu einem Wundermann. In Wahrheit aber war er nichts als ein erzkonservativer, greisenhafter Starrkopf.“

Im B'ild eines ameisenhaft gleichgeschalteten, gedankenlos Mao nachbetender China scheinen westliche Feindbilder und chinesische Wunschbilder zur Deckung zu kommen. Auf die Punkte, die den großen Umerzie-hern nach fast drei Jahrzehnten Umerziehung offenbar noch Kopfzerbrechen bereiten, weisen die chinesischen Comics überdeutlich hin. Aber man soütite diesen Hinweis auf dissidente Strömungen nicht überbewerten. Denn mit welcher Intensität China einmal aufgenommene Lehren zu verarbeiten und festzuhalten bereit ist, lehrt nicht zuletzt eben jener „Verbrecher“ Konfuzius, dessen Spuren im chinesischen Bewußtsein nun systematisch ausgetilgt und durch Maos Lehren ersetzt werden.

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