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Politik am Gängelband

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Wie geschieht in Österreich die Auswahl der Politiker für ihre Funktionen?

Hier haben die Parteien ein unbe­strittenes Monopol. Was sich aber dahinter abspielt, wie die Kandida­tenselektion tatsächlich vor sich geht, liegt im Halbdunkel. Darüber ist - zum Unterschied vom eigentli­chen Wahlvorgang, der sowohl im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Forschung wie der Tagesberichter­stattung steht - wenig bekannt.

In einer Untersuchung1' wurde gezeigt, daß mit der Aufstellung der Kandidaten durch jene Parteien, die Mandatschancen haben, die perso­nelle Zusammensetzung des öster­reichischen Nationalrats zu über 90 Prozent feststeht.

Am Wahltag ging es in der Nach­kriegszeit jeweils nur um wenige Kandidaten (etwa zwei Prozent bei den Nationalratswahlen 1962, höch­stens sieben Prozent bei den Natio­nalratswahlen 1986).

Der Vorgang der Kandidatenauf­stellung geschieht in camera cari-tatis der Parteigremien, von Lob-bies beeinflußt, belebt von jenen Lebensbünden wie Studentenver­einigungen, Logen und Clubs. Nur gelegentlich, wenn auf einer Liste ein Gedränge bei den aussichtsrei­chen Plätzen entsteht, erscheint darüber wie ein Leuchtkäfer ein Artikel in der Presse.

Noch weniger klar erscheint es, warum ein Kandidat überhaupt ins Gespräch gebracht wird, welche Kräfte tätig sind, welche Motiva­tion dafür verantwortlich ist. Per­sönlicher Ehrgeiz? Ansehen in der Gemeinschaft? Berufung durch einen Parteiführer, der so seine Gefolgschaft erweitert? Wer über­prüft dabei die minimale morali­sche, intellektuelle und fachliche Eignung? Genügt bloße Unauffäl-ligkeit?

In Großbritannien können sich Bewerber, wenn sie bestimmten Minimalstandards entsprechen, auf eine nationale Liste der potentiel­len Kandidaten eintragen lassen. Nur jene auf Listen Geführten können dann „unten" von den Wahlkreisen aufgestellt werden. Das ist sicher dem Einfluß des bri­tischen Wahlsystems zu verdanken, der durch seine Einerwahlkreise eine stärkere Personalisierung er­zwingt. Man kann nur spekulieren, wieviele der bei uns auf Listen ins Parlament transportierten Abge­ordneten in so einem Wahlsystem eine Chance hätten: die Hälfte? Ein Drittel? Vielleicht sind selbst diese Annahmen zu hoch gegriffen.

Seit 1972 die Politischen Akade­mien der Parteien gegründet wur­den, die unter anderem auch die Aufgabe der Vorbereitung der Poli­tiker und der Kandidaten für poli­tische Funktionen haben, ist immer wieder punktuell im Auf stellungs­verfahren die Forderung einer gewissen Mindestvorbereitung durch Bildungsvorgänge der Par­teiakademien erhoben worden. Daß sich dies nicht allgemein durchset­zen ließ, daß die von manchen Massenmedien stereotyp wiederhol­ten Phrasen von den „Kaderschmie­den" oder vom „Zurück zur Schul­bank" für die Motivation auch nicht förderlich sind, daß Parteiführun­gen nicht immer Motivation und Kraft zur Durchsetzung einer der­artigen intellektuellen und fachli­chen Vorbereitung hatten, steht auf einem anderen Blatt. (Es wäre in­teressant, und die eingesetzten Mit­tel von jährlich -zig Millionen Schil­ling ließen es wohl gerechtfertigt erscheinen, wenn hier eine Kosten-Nutzen-Analyse vorgenommen werden könnte.)

Meine These ist, daß ein Wahlsy­stem, in dem eine persönliche Zu­ordnung der Verantwortung des Volksvertreters für seine Handlun­gen und Entscheidungen durch den konkreten Wähler möglich wäre, kurz- bis mittelfristig zu einer Ver­besserung der Qualität der Kandi­daten führen und die bisher ver­wendeten Ausreden von den Sach-zwängen, den Parteiloyahtäten und den (speziellen, oft sehr partikulä­ren) Interessen abblocken würde. In einem derartigen System wären nur die Interessen der Wähler (nicht eines abstrakten Wählers, sondern jene des jeweils konkreten Wählers in einem Wahlbezirk) ausschlagge­bend. Wenn der Volksvertreter hauptsächlich von der Zustimmung seines Wählers abhängig wäre, würde dies für unsere Gesellschaft einen sehr wesentlichen Demokra­tieschub bedeuten. Diese Meinung ist kein Minderheitsvotum und für kein geheimes Wissen (auch die FURCHE hat wiederholt darauf hingewiesen, Anm. d. Red.). Die Parteien wissen es auch. Sie haben es sogar ihren Wählern und der öffentlichkeit ver­sprochen. Ein derartiges Verspre­chen wurde von den Regierungs­parteien im Arbeitsübereinkommen der beiden Regierungsparteien vom 16. Jänner 1987 abgegeben.

Was ist nun aus der „größten Wahlrechtsreform seit Gründung der Republik" geworden? Außer dem vom Verfassungsgerichtshof erzwungenen Ausländerwahlrecht: nichts! Doch wo bleibt der öffentli­che Aufschrei über den Bruch des feierlichen Versprechens?

Eine demokratische Kandidaten­aufstellung ist Funktion eines Wahl­systems mit größeren Persönlich­keitselementen in unserer österrei­chischen Wirklichkeit. Nur dann wird der potentielle Kandidat die Möglichkeit haben, sich an seinem tatsächlichen Wähler auszurichten und nicht an seinem Parteisekreta­riat oder an seinem (meist ein sehr partikuläres Interesse vertretenden) Interessenverband.

Angesichts der Energien, mit der sich die Bürger in unseren östlichen und nördlichen Nachbarländern ihren Einfluß auf die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch Kandidatenaufstellung und Wahlen zurückholen, darf man bei uns hoffen, daß jene boshaften Wit­zemacher nicht recht bekommen, denen zufolge wir in Österreich bald zum Nachhumpeln bei Demokratie und Demokratisierung verurteilt sein würden.

Der Autor ist Direktor des Instituts für politi­sche Bildung in Mattersburg. *

1) Alfred Stirnemann: Rekrutierung und Re­krutierungsstrategien.

In: Das Österreichische Parteiensystem. Her­ausgegeben von Anton Pelinka und Fritz Plasser. Böhlau Verlag, Wien, Köln, Linz 1988.

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