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Politik des „frischen Windes“

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Frontenbildung innerhalb der ÖVP-Landesorganisationen.

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Frontenbildung innerhalb der ÖVP-Landesorganisationen.

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Noch zwei Wochen vor dem 16. ordentlichen Parteitag der ÖVP, der in der Vorwoche in der Linzer Brucknerhalle über die Bühne ging, hatte sich eine für österreichische Begriffe ungeheure Palastrevolution innerhalb der Partei gegen die Führungsspitze angekündigt. Die Funktionäre der steirischen Volkspartei formulierten das, was die Spatzen landauf, landab von den Dächern pfiffen: die Unzufriedenheit des Parteiapparates mit der Wiener Zentrale.

Daß diese Unzufriedenheit gerade von den Steirern zum Ausdruck gebracht wurde, hat Eingeweihte nicht sehr überrascht: zum ersten gibt es auch lange nach dem Tod des legendären Landeshauptmannes Josef Krainer dort noch immer das früher vielzitierte „steirische Klima“, in dem Diskussionen sachlich, aber mit größter Offenheit, ohne viel Rücksicht auf besondere Höflichkeitsformeln ausgetragen werden. Zum zweiten kann es sich die steirische ÖVP leisten, mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg zu halten. Sie gilt als eine profilierte und starke Landesorganisation innerhalb der Volkspartei und überdies hat sie den Vorteil, im Gegensatz zu anderen Landesorganisationen heuer keinen Wahlkampf führen zu müssen. Denn die nächsten Landtagswahlen in der Steiermark sind erst im Frühjahr 1975.

Viele andere Landesparteiorganisationen hatten es da schwerer: nehmen wir zunächst die Oberösterreicher. Ihnen wurde die Ehre zuteil, daß der Bundesparteitag in Linz stattfand — und nicht, wie vielfach von Beobachtern erwartet wurde, angesichts der bevorstehenden, für die ÖVP sehr entscheidenden Landtagswahl, in Salzburg. Daß dies eine „Ehre“ sei, wurde schon bei der Ankündigung des Parteitages von Parteiobmann Schleinzer oft betont, also konnten sie sich nicht dazu durchringen — obwohl sie nach ihrem Wahlerfolg im Herbst des Vorjahres sioher eine starke Landesorganisation sind — zur Treibjagd auf die Parteispitze zu blasen. Die Salzburger stehen mitten in der letzten Phase eines Dandtagswahlkampfes, der Wahltermin ist der 31. März, sie hatten in dieser Situation wahrlich andere Sorgen.

Daß zum Beispiel die Vorarlberger sich in die Diskussion nicht einschalteten, ist nicht nur auf ihre geographische Entfernung von Wien zurückzuführen. Sie haben in ihrem eigenen Bereich ebenfalls Probleme genug. Nicht zuletzt haben sie selbst eine Personaldiskussion, die trotz einer eindeutigen Entscheidung auf einem Landesparteitag noch immer unterschwellig weitergeführt wird: Landeshauptmann Kessler, der alte und neue Spitzenkandidat in den herbstlichen Landtagswahlen erfreut sich nicht überall im Lande gleicher Beliebtheit. Darüber hinaus gilt es im Ländle eine in Österreich einmalige ÖVP-Bastion zu halten: die Funktion des Präsidenten der Vorarlberger Arbeiterkammer. Und die nächsten Arbeiterkammerwahlen finden bekanntlich gleichfalls heuer statt.

Daß etwa aus Kärnten oder aus dem Burgenland keine besonderen Diskussionsbeiträge kamen, wunderte wieder Kenner der Lage nicht. Bleiben Tirol und Wien als Landesorganisationen übrig: der Tiroler Landeshauptmann Wallnöfer machte sich denn auch zum Wortführer der „Länderfront“ für den von den Steirern am meisten angegriffenen ÖVP-Generalsekretär Kohtonaier. Dem knorrigen Tiroler Landeschef schienen es auch viele zu glauben, daß er an der Wiener Parteispitze nichts auszusetzen habe. Er agierte allerdings wirklich aus einer gesicherten Position heraus: die Tiroler ÖVP verfügt im Lande noch immer über eine solide Mehrheit und außerdem hat sie sich einen Grad von Autarkie gegenüber der Zentrale geschaffen, der die Personalprobleme der Parteispitze in weite, weite Ferne rückt.

Was nooh an Rest von Regieführung für die so gut wie nicht stattfindende Personaldiskussion am Parteitag übrig blieb, schrieb man in den Gängen der Linzer Brucknerhalle dem Wiener Landespartei-obmann Bauer zu. Schließlich ist Kohlmaier Wiener und — wie Bauer — ÖAAB-Mitglied. Daß die Wiener (aus Anti-Steirer-Ressentiments?) hinter Kohlmaier standen, zeigte sich schon vor dem Parteitag beim traditionellen ÖVP-Ball im Konzerthaus. Als der Generalsekretär unter den Ehrengästen begrüßt wurde, brauste tosender und gar nicht enden wollender Applaus der Besucher auf — eine politische Demonstration, die trotz des Rahmens kaum als Faschingsscherz gewertet werden konnte.

Es könnte nun der Eindruck entstehen, es habe viel weniger eine Länderfront gegen, als für Generalsekretär Kohlmaier gegeben, dafür aber eine Front der Landesparteiorganisationen gegen die vorlauten Steirer, insbesondere gegen Landeshauptmann Niederl. Dieser Eindruck ist auch in der Öffentlichkeit durch die Berichterstattung über den Parteitag entstanden. Innerhalb der Parteiorganisation selbst scheint sich der steirisdhe Landeshauptmann aber duroh seine Aktion eher profiliert zu haben. Und zwar auch in seiner eigenen Landesorganisation, wo er ja ursprünglich als Platehalter für den Sohn des früheren Landeshauptmannes Krainer vorgesehen gewesen sein soll. Auf der Linzer Gerüchtebörse war indessen zu hören, das Gesprächsklima zwischen Landeshauptmann Nieder! und dem jungen Krainer sei in letzter Zeit — eben wegen der zunehmend profilierten Politik Niederls — immer frostiger geworden. Das Wahlergebnis auf dem Linzer Parteitag konnte nämlich über die noch immer vorhandene Unzufriedenheit mit den Organisationsniänigeln der Bundesparteiführung nicht hinwegtäuschen. Nur waren die anderen Landesorganisationen froh, einen gefunden zu haben, der das aussprach, was alle denken.

Trotzdem wird es nunmehr an Parteiobmann und Generalsekretär liegen, vor der Öffentlichkeit eine Politik des „frischen Windes“ durchzuziehen.

Wenn sie jetzt nicht das Gaspedal durchtreten, ist es zu spät. Denn: Bundeskanzler Kreisky hat den permanenten Wahlkampf bis zur Nationalratswahl 1975 längst eröffnet.

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