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Politik im Hintergrund

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Mit dem Ungarn Zoltän Käldi wurde von der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes erstmals der Bischof einer Diasporakirche im Ostblock zum Präsidenten gewählt.

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Mit dem Ungarn Zoltän Käldi wurde von der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes erstmals der Bischof einer Diasporakirche im Ostblock zum Präsidenten gewählt.

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Viel Csardas und Gulyas war für die rund 1400 Teilnehmer nicht zu sehen: Zu dicht gedrängt war das Programm, zu viele Arbeitskreise und Sitzungen beschäftigten die Delegierten jenes Lutherischen Weltbundes (LWB), der 1947 in Schweden gegründet worden war und heute 99 Kirchen aus aller Welt umfaßt. Für Spaziergänge im windigen Budapest blieb einfach keine Zeit mehr. „Das ist einfach zuviel für uns", stöhnte der indonesische Dele-

gierte Suritur Nababan, „noch dazu, wenn wir die beiden Hauptsprachen hier, Deutsch und Englisch, nicht als Muttersprache besitzen."

Dennoch wurde 14 Tage lang, vom 22. Juli bis 4. August, miteinander geredet. Etwa über den Tagungsort selbst: Schon 1980 erfolgte die offizielle Einladung der ungarischen Landeskirche, in Budapest die kommende Vollversammlung abzuhalten. Mit einer offiziellen Zusage der magyarischen Behörden in der Tasche konnte der Führer der ungarischen lutherischen Kirche, Bischof Zoltän Käldi, die Vorbereitungen starten lassen: Es wurde zugesichert, keinerlei Zensur an den Texten der rund 270 angekündigten Journalisten auszuüben, die 17 akkreditierten Rundfunkanstalten durften das Sendematerial unkontrolliert ausführen, ja, sogar mit Hilfe des ungarischen Hörfunks direkt in ihre Heimatstudios überspielen. Probleme mit den Behörden sollte es keine geben.

Sogar eine offizielle Einladung in die Räume des ungarischen Volksparlaments wurde ausgesprochen. Der Vizepräsident des Präsidialrates der ungarischen Volksrepublik, Reszö Trautmann,

empfing die rund 1000 Gäste und meinte beim Empfang wörtlich: „Als Zeichen unserer Gastfreundschaft bringen wir Ihnen Brot und Wein dar."

Es klang jedenfalls alles so, als hätte es nie Probleme zwischen der Regierung und Kirche gegeben. Doch Politik war ein fester Bestandteil der Vollversammlung, wehn auch nur hinter den Kulissen. So etwa bei der Wahl des neuen Präsidenten des Lutherischen Weltbundes, der bis zum nächstes Treffen im Jahr 1991 das Amt ausüben soll.

Unter den vier Kandidaten befand sich traditionsgemäß auch der Führer der gastgebenden Kirche — also Zoltän Käldi. Daher erregte ein offener Brief Aufsehen, der scharfe Angriffe auf Käldi beinhaltete. Verfaßt wurde er von einem gerade in der Bundesrepublik Deutschland weilenden ungarischen Pfarrer, der seinem Bischof „theologischen Terror" vorwarf und meinte, in der ungarischen Kirche gebe es keine Religionsfreiheit. Die Kirchenpolitik der Regierung sei heute den Pfarrern und Gemeinden gegenüber viel loyaler als die Kirchenleitung. Hintergrund dieses Briefes dürfte vermutlich der immer wieder kolportierte strenge Führungsstil Käldis sein, der innerhalb seiner Kirche nicht unumstritten ist.

Dennoch gewann Käldi die Wahl zum Präsidenten mit 173 Stimmen. Zweite wurde Bodil Solling aus Dänemark, die erste Frau, die jemals für den Präsidentenposten kandidierte und somit einen symbolischen Akt gesetzt hatte.

Der neue Präsident Zoltän Käldi will jedenfalls in Zukunft die Kommunikation unter den Mitgliedskirchen verstärkt wissen und für die Gleichberechtigung zwischen kleinen und großen Mitgliedskirchen eintreten. „Österreich, Ungarn oder die Tschechoslowakei", meinte er in einem Interview, „sollten mehr Mitspra-

cherechte in unserer Gemeinschaft erhalten." Außerdem will Käldi die Zusammenarbeit zwischen westlichen und östlichen Kirchen verstärken und für die Ökumene eintreten: „Ich bin", sagte er, „ein Mann der Ökumene". In Ungarn gebe es bereits ausgezeichnete Beziehungen zur reformierten Kirche — und das schon seit 150 Jahren.

Gast in Budapest war auch der Leiter des römischen Sekretariats für die Einheit der Christen, Kardinal Johannes Willebrands. Er nannte in einer Rede die Kirchen verschiedener Konfessionen eine „Solidaritätsgemeinschaft der Hoffnung". Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sei die katholische Kirche offiziell in die weit-

umspannende ökumenische Bewegung eingetreten, sie begab sich, wie Willebrands feststellt, mit auf den Weg, den andere christliche Familien bereits beschritten hätten.

In der unpersönlichen Sporthalle des Nepstadions waren auch andere politische (Miß-)Töne zu hören. So ging es konkret um die Frage einer Suspendierung der Mitgliedschaft zweier südafrikanischer Kirchen, die sich - nach Meinung eines Großteils der Vollversammlung — mit zuwenig Entschiedenheit gegen die Apartheidspolitik der Regierungen in Südafrika und Südwestafrika/ Namibia stellten. In einer sehr emotionell gehaltenen Rede sagte Dekan Simon Farisani, ein Opfer der südafrikanischen Folter: „Wie lange wollen wir noch warten, bis etwas passiert? Wie viele Familien müssen noch leiden, wie viele Menschen noch gefangen, gefoltert und getötet werden, bis endlich etwas passiert? Wollen wir mit der Suspendierung der beiden Kirchen bis zur nächsten Vollversammlung in sieben Jahren warten?"

Die Mehrzahl der Delegierten stimmte dann auch tatsächlich für ein vorläufiges Ruhen der Mitgliedschaft, der evangelischlutherischen Kirche im südlichen Afrika und der Deutschen evangelisch-lutherischen Kirche in Südwestafrika/Namibia: Das Abstimmungsergebnis ließ mit 81 Prozent für die Suspendierung an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. In das neue, 29 Personen starke Exekutivkomitee wurde erstmals auch der österreichische Superintendent Bischof Dieter Knall gewählt, er ist somit der einzige Vertreter der westeuropäischen Diasporakircheri. In seinen Zuständigkeitsbereich fallen die Probleme der österreichischen, italienischen, luxemburgischen, französischen, Schweizer, liechtensteinischen und holländischen Kirchen.

Beeindruckt waren die Delegierten vom Leben in den ungarischen Gemeinden, deren Herzlichkeit und von den für viele überraschenden Möglichkeiten freier Religionsausübung. So gesehen hatte die ungarische Regierung mit der siebten Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes eine willkommene Möglichkeit, Imagepflege zu betreiben.

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