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Politik mit dem Kreml im Rücken

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Nach den nächstjährigen Parlamentswahlen könnte es in Finnland zu einem Bruch mit einer jahrzehntelangen Praxis kommen, ist es doch gar nicht ausgeschlossen, daß die bisherige Regierungskoalition aus Sozialisten und Zentrumspartei unter Einschluß der Kommunisten von einer Koalition der Konservativen mit der Sozialistischen Partei abgelöst wird; und das unter Ausschluß der Kommunisten. Eine finnische Regierung ohne KP-Beteiligung scheint im europäischen Westen fast unglaublich. Vielleicht wird sie 1983 aber finnische Realität.

Finnische Politiker machen ein saures Gesicht, spricht man sie auf das Thema „Finnlandisie-rung” an. Versteht man in Westeuropa darunter eine Demokratie an der langen Leine der Sowjetunion, so ist die jüngere finnische Politikergeneration sichtlich bemüht, sich selbständiger, unabhängiger zu geben.

Keine Frage: Man ist stolz, ein neutrales Land zu sein, fügt aber sofort hinzu, daß man zur Welt der westlichen Demokratien zählt. Und nur so beiläufig wird erwähnt, daß die Sowjetunion ein wichtiger Partner sei.

Unverrückbare Tatsache ist freilich, daß die gesamte Festlandgrenze im Osten des Landes direkt an die UdSSR anschließt. Tatsache ist, daß man in Moskau sehr, genau die außen- und innenpolitischen Regungen der Regierung in Helsinki und auch der finnischen Gewerkschaftsbewegung verfolgt. Tatsache ist, daß Finnland in internationalen Organisationen äußerst zurückhaltend agiert. Tatsache ist ferner, daß die wirtschaftlichen Beziehungen mit der UdSSR sehr eng sind: Ein

Fünftel des Waggonparks der finnischen Eisenbahnen ist ständig in Rußland unterwegs.

Das Straßenbild in den großen Städten — vom Angebot in den Kaufhäusern bis zum Lebensstil der Menschen — sagt mehr als politische Analysen: Es ist typisch für ein Land der westlichen Hemisphäre. Aber wenn die UdSSR vor allem aus strategischen Gründen auch ihr wachsames Auge auf Finnland hält, so gibt es doch Anzeichen dafür, daß sich im politischen Bereich einiges tut.

Mit ein Scherflein dazu beiträgt die kommunistische Partei selbst, die trotz aller Abhängigkeit von und Orientierung nach Moskau in drei verfeindete Gruppen zerfallen, völlig zerstritten und damit für künftige Regierungen ein in seiner Bedeutung stark geschrumpfter Partner ist. Dadurch könnte es in nächster Zeit — 1983 wählt Finnland ein neues Parlament — zu bedeutenden Veränderungen der politischen Landschaft kommen.

Die Frage wird sein, ob die Sowjetunion so eine Veränderung — auch wenn dies der erklärte Wille der tonangebenden finnischen Politiker sein sollte — überhaupt zuläßt. Womit sich zeigen wird, wie es um die „Finnlandisierung” wirklich bestellt ist.

Politische Beobachter sehen seit dem heurigen Frühjahr bereits gewisse Veränderungen. Nach dem Tod des 25 Jahre im Amt befindlichen Staatspräsidenten Urho Kekkonen wurde der Sozialdemokrat Mauro Koivisto gewählt. Kekkonen aus der Zentrumspartei kommend, war besonders bemüht, den Russen ja nur keinen Anlaßfür Kritik zu geben; was mitunter auch die Medien und Journalisten zu spüren bekamen.

Von Koivisto erwartet man sich mehr Diskussionen, mehr Flexibilität in der Außenpolitik.

Daß im Amt des Staatspräsidenten kein Politiker der Zentrumspartei, sondern ein Sozialdemokrat sitzt, hängt mit den Verschiebungen im bürgerlichen Lager zusammen. Die Zentrums-Partei, die sich vor allem auf Wähler aus dem ländlichen Bereich abstützt, ist - bedingt auch durch den Strukturwandel — seit Jahren in einer Stagnation. Stark im Aufschwung ist dagegen die „Kansal-linen Kokoomus”, die konservative Sammlungspartei, mit dem sympathischen Ilkka Suominen an der Spitze. ,

Interessant ist, daß sich auch im hohen Norden in der Politik ein Themenwechsel anbahnt, der vor allem Wasser auf die Mühlen der Volksparteien bedeutet:

Man diskutiert über die Grenzen des Sozialstaates, man fühlt sich zunehmend vom alles überwuchernden Bürokratismus bedroht. Man stellt sich die Frage, ob nicht in vielen Lebensbereichen kleinere Einheiten viel sinnvoller wären als Großinstitutionen.

War noch bis vor ein, zwei Jahren die Frage nach dem Arbeitsplatz das dominierende Thema, so rücken jetzt „weiche” Themen — wie etwa die Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens, von der Familie bis zur Gemeinde —und die Sorge um den Frieden in den Vordergrund.

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