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Politik und produktives Chaos

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Wer bei großen Symposien am liebsten Gesichter sichtet, war diesmal schlecht bedient. Unter rund zweihundert Intellektuellen aus sechzehn Ländern zeigten sich zwar Mircea Dinescu, die bulgarische Dichterin und Oppositionelle, Bla-ga Dimitrova, Viktor Jerofejev, Vadim Sokolov von der literarischen Anti-Establishment-Bewegung der Sowjetunion „April", Max Bill, Fritz Raddatz, auch Libuse Monikovä und Pavel Kohout, Emigranten also, die sich in heimische Belange ganz wie früher involviert fühlen.

Aber Umberto Eco und Günter Grass, Ota Filip und Peter Esterhä-zy, Barbara Frischmuth, Harry Kupfer und Karlheinz Stockhausen, Tom Stoppard, Jorge Amado, Raf ael Kubelik, Jacqueline Fonteyn und Hans Magnus Enzensberger, sie und noch mehr Prominente waren nicht in Prag letzte Woche, haben bedauernd abgesagt; man möge aber, schrieben einige, ihre Solidaritätsbekundungen vorlesen.

Lag's daran, daß man nur schwer binnen Jahresfrist die' Creme des Kunstlebens zu einer dreitägigen Begegnung zusammentrommeln kann? Oder lag es an der Art, wie sich der Europäische Kulturklub (EKK) seinen potentiellen Mitgliedern brieflich dargestellt hatte? Wurde eine so wichtige Idee mangels praktischem Geschick seiner Prager Keimzelle - dem Maler Josef Cisarovsky mit Freunden, dem Regisseur Arnost Goldflam und PEN-Spitzen wie Ivan Klima - von Anfang an verspielt?

Schon im Oktober 1989 erging, damals noch illegal, ein Aufruf an Künstler des Ostblocks, eine übernationale Vereinigung zum Schutz ihrer Arbeit vor ideologischem und kommerziellem Mißbrauch zu gründen. Achtunddreißig haben unterzeichnet, erwartungsgemäß auch Vaclav Havel. Monate später hat dann das Kulturministerium dem Europäischen Kulturklub als Sitz das Pälffy-Palais auf der Kleinseite gratis zur Verfügung gestellt. Diese großzügigen Räumlichkeiten sollen sich nun zu einer Drehscheibe europäischer Kultur-Kooperation entwickeln.

Im Hinblick darauf war der Kongreß zumindest kein totaler Flop. Noch nie konnten so viele kreative Menschen aus sämtlichen nachrevolutionären Oststaaten gleichzeitig miteinander Fühlung nehmen. Und zwar Leute, die in heroischem Bemühen dem maroden Kulturleben aufzuhelfen versuchen. Sie konnten in Prag Kontakte mit West-Kollegen knüpfen, die materieller Unterstützimg gleichkommen.

Enttäuschend war das offizielle Tagungsprogramm, das von der Verabschiedung eines provisorischen Klubstatuts bis zur Beschlußfassung über eine Charta fürs Europa-Parlament reichte. Wortreich jiind gewunden wurde der „gemeinsame Strom der gesamten Kunst" beschworen, grandiose, kostspielige Projekte, etwa eine umfassende Kultur-Datenbank sind geplant. Welch eine Zukunftsmusik...

Der Europäische Kulturklub will sich auch als Verleger betätigen, mit dem Hauptziel, die Essenz aus allen Literaturlandschaften des Kontinents in mehreren Sprachen und in vorzüglich gestalteten Ausgaben zugänglich zu machen. Dabei verbiß man sich in Statutendiskussionen, anstatt darüber zu diskutieren, woher in aller Welt man denn das Geld für so hochfliegende Pläne nehmen könnte.

„Wir vergeben hier eine große Chance" begehrte schließlich ein Tscheche auf, worauf ZEIT-Mitar-beiter Fritz Raddatz absichtlich provozierend einhakte: Er verstehe nicht, wozu dies alles hier dienen soll. Das wiederum traf Pavel Kohout besonders, der zum Tagungsthema „Die Erfahrungen der Künstler mit den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts" (erstmals zu Hause) geäußert hatte, was im Ausland zu vertreten er ja nie müde geworden ist.

Versagt habe - auf allen Linien -die tschechoslowakische Intelligenz der fünfziger Jahre, nicht minder aber die westdeutsche Linke dreißig Jahre danach. Und da sei Raddatz in der ersten Reihe gestanden. „Ich stelle die simple Frage, warum man uns damals die normale menschliche Solidarität versagt hat. Die haben uns für konterrevolutionär gehalten und haben uns deshalb nicht unterstützt."

Auch die geplante Wahl eines neuen Klub-Präsidiums wurde zum Fiasko, da die Spannungen zwischen einzelnen Cliquen aufbrachen, die politische Vergangenheit der Kandidaten aufgerollt wurde. Im Crescendo der Proteste kürte man schließlich wieder Cisafovsky zum Vorsitzenden. Zwei Vizepräsidenten wurden gewählt, denen nun die Last der Vorbereitung des nächsten Treffens in etwa zwei Jahren zufällt. Und das, obwohl sie schon die längste Zeit für Gottes Lohn Organisationsarbeit tun.

Die Schriftstellerin Libuse Monikovä, die lange genug im Westen gelebt hat, um Distanz zu haben, will trotz allem keine negative Bilanz ziehen: „Ich glaube, der Klub wird sich schon mit Inhalt füllen. Daß schon so viel Drängen da ist, so viel Not und auch so viel Erwartung, das verpflichtet auch ein wenig. Wenn Künstler aus den verschiedenen Ländern erzählen, welche Schwierigkeiten sie haben, dann kann man als Klub viel mehr Druck ausüben - das meine ich durchaus politisch."

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