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Politik verlangt nach reinen Menschen

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Die Mächtigen treten dauernd auf der Bühne der Medien auf, werden umworben, beneidet. Aber wie zweischneidig die Erfahrungen mit der Macht sind, zeigen die Ausführungen des tschechoslowakischen Präsidenten, eines Dichters an den Schalthebeln.

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Die Mächtigen treten dauernd auf der Bühne der Medien auf, werden umworben, beneidet. Aber wie zweischneidig die Erfahrungen mit der Macht sind, zeigen die Ausführungen des tschechoslowakischen Präsidenten, eines Dichters an den Schalthebeln.

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Warum sehnen sich Menschen eigentlich nach politischer Macht, und warum geben sie diese - wenn sie sie haben - so ungern auf? Ich meine, daß man die Gründe für diese Sehnsucht prinzipiell in drei Kategorien aufteilen kann:

Erstens werden die Menschen von ihren Vorstellungen von einer besseren Gesellschaftsordnung in die Politik getrieben, vom Glauben an bestimmte - ob gute oder zweifelhafte -Werte und Ideale und vom Bedürfnis oder vom unaufhörlichen Drang, für sie zu kämpfen oder sie zu verwirklichen.

Zweitens werden sie vermutlich von der natürlichen Sehnsucht jedes menschlichen Wesens nach Selbstbestätigung geführt. Kann man sich nämlich eine verlockendere Art, in der Vorstellung von der eigenen Existenz und deren Gewicht bestärkt zu werden, vorstellen als die, die politische Macht bietet? Denn diese bietet von Natur aus eine enorme Möglichkeit,'sich selbst zu bestätigen, indem man weithin sichtbare Abdrücke der eigenen Existenz hinterläßt; die Welt, die einen umgibt, nach seinem Bilde formt; sich über den Respekt freut, den jede politische Funktion fast automatisch dem beschert, der sie ausübt.

Die dritte Gruppe von Gründen, warum viele Menschen nach politischer Macht streben und warum sie so ungern darauf verzichten, ist der bunte Fächer von Privilegien, die - selbst unter den demokratischsten Verhältnissen - notwendigerweise das Leben eines Politikers begleiten.

Die drei Typen von Gründen werden in äußerst komplizierter Form stets miteinander verflochten. Fast immer geben sich Gründe der beiden letzten Kategorien als Gründe der ersten Kategorie aus: Ich kenne zumindest keinen Politiker, der imstande wäre, gegenüber der Welt oder zumindest sich selbst gegenüber zuzugeben, daß

er den einen oder anderen Posten ausschließlich anstrebte, um sich selbst die eigene Bedeutung zu bestätigen oder gar einzig und alleine, um die Privilegien zu genießen, die die politische Macht hervorbringt.

Alle wiederholen wir im Gegenteil immer wieder, daß wir nicht an der Macht an sich interessiert sind, sondern bloß an bestimmten allgemeinen Werten, und daß es nur unsere Verantwortlichkeit gegenüber dem Ganzen ist, die uns geboten hat, die Bürde unseres Auftrags zu übernehmen. Es ist oft alleine der Herrgott, der weiß, ob es sich wirklich so verhält, oder ob verdächtiger” dies bloß eine verdaulichere Art ist, vor der Welt und uns selbst unsere Sehnsucht, mächtig zu sein, zu begründen. ,

Ich bin einer von denen, die meinen Aufenthalt in meinem politischem Amt als Ausdruck von Verantwortlichkeit ansehen, von Pflichtgefühl, ja sogar als ein gewisses Opfer. Aber

Der Mensch versteinert zu einer Büste seiner selbst... indem ich andere Politiker betrachte, von denen ich einiges weiß, und die das gleiche behaupten, werde ich immerwiedergezwungen,mich selbst zu prüfenund mirdie Frage zu stellen, ob nicht auch ich beginne, mich selbst zu betrügen. Und mit jedem neuen Preis, den ich erhalte, einen Grad verdächtiger zu werden.

Besondere Aufmerksamkeit verdient die dritte Kategorie von .Gründen für die Sehnsucht nach politischer Macht, nämlich die Sehnsucht nach den Privilegien, die die Macht mit sich bringt, oder auch nur die Gewöhnung an diese Privilegien. Es ist sehr interessant zu beobachten, wie teuflisch die Versuchung der Macht gerade in dieser Sphäre ist.

Am besten läßt sich dies bei denen von uns sehen, die nie irgendeine Macht hatten und immer sehr mutig die Mächtigen dafür verurteilten, diese oder jene Privilegien, die den Abgrund zwischen ihnen und allen anderen vertieften, zu genießen, die aber jetzt plötzlich selbst an der Macht gelandet sind.

Ich will ein paar Beispiele anführen: Es wäre bestimmt sinnlos, wenn ein Politiker zu spät zu einer wichtigen Verhandlung mit einem ausländischen Partner käme, nur weil er der Unergründlichkeit des öffentlichen Verkehrs ausgesetzt ist. Er hat also einen Dienstwagen und einen Chauffeur. Es wäre bestimmt sinnlos, wenn * ein Präsident oder Regierungschef zu spät zu einem solchen Treffen käme, nur weil in den Straßen Verkehrschaos herrschte. Er nützt also ein besonderes Vorfahrtsrecht. Es wäre bestimmt sinnlos, wenn ein Politiker kostbare Stunden seiner Zeit verlöre, um am Herd zu schwitzen und ein offizielles Essen für seinen ausländischen Widerpart herzurichten. Er hat also seine Köche und seine Diener.

Um zusammenzufassen: Ich brauche nicht autozufahren und mein Chauffeur braucht sich nicht voll Raserei durch Prags Schneckentempo zu schleichen, ich brauche nicht Essen zu machen und nicht nach dem Essen zu suchen, ja ich brauche nicht einmal die Telefonnumer zu wählen, wenn ich mit jemandem sprechen will.

Ich befinde mich in der Welt der Privilegien, der Ausnahmen, der Protektion. In einer Welt der Prominenten, die allmählich nicht mehr wissen, wie viel eine Straßenbahnkarte oder Butter kostet, wie man Kaffee macht, autofährt oder wie man telefoniert. Ich befinde mich also an der Schwelle zu eben jener kommunistischen Oberklassewelt, die ich ein Leben lang kritisiert habe.

Und was das Allerschlimmste ist: das Ganze hat seine unangreifbare

Logik. Ich wäre lächerlich und zu verurteilen, wenn ich zu spät zu einem Treffen käme, das den Interessen meines Landes dient, weil ich meine Präsidentschaft in Wartezimmern der Zahnärzte, in Schlangen vor Fleischerläden verbrächte.

Wo aber endet die Logik und die objektive Notwendigkeit, wo beginnen die Entschuldigungen? Wo enden die Interessen des Vaterlandes, und wo beginnt die Freude über die universelle Protektion? Ich selbst, der einen ständigen und ziemlich mißglückten Kampf mit den Privilegien, die ich genieße, kämpfe, würde nicht wagen, von mir selbst zu sagen, daß ich stets und sicher imstande bin, einen

solchen Augenblick zu erkennen. Man kann zuletzt - ohne es zu wissen -seine wohlerprobte Urteilskraft einbüßen.

In der Versuchung der Macht liegt etwas sehr Heimtückisches, Betrügerisches und Zweideutiges: Einerseits gibt die politische Macht dem Menschen eine herrliche Gelegenheit, sich von morgens bis abends zu bestätigen, daß er seine unleugbare Identität hat, die sich mit jedem Wort und jeder Tat sehr deutlich in die Welt einschreibt, die ihn umgibt. Gleichzeitig aber verbirgt sich in der gleichen politischen Macht eine schreckliche Gefahr: daß sie uns im Gegenteil diskret, aber unaufhaltsam unserer Existenz und Identität beraubt.

Der Mensch, der vergessen hat, wie man autofährt, einkauft, Kaffee macht oder telefoniert, ist nämlich nicht der gleiche wie der, der dies sein Leben lang gekonnt hat. Der Mensch, der sich niemals durch das Auge der Fernsehkamera beobachten mußte, aber plötzlich jede seiner Bewegungen ihrem Blick unterwirft, ist nicht mehr der gleiche, der er war.

Er wird zu einer Geisel seiner Position, seiner Privilegien, seines Amtes. Das, was ihn anscheinend in seiner Identität und damit auch seiner Existenz bestärkt, nimmt ihm in Wirklichkeit diskret seine Identität und Existenz. Er hört nun auf, sich selbst zu beherrschen, weil er von etwas anderem beherrscht wird: von seinem Amt, von dessen Forderungen, von dessen Folgen, dessen Begleitzeichen, dessen Privilegien. Es ist etwas Todbringendes in dieser Versuchung. Der Mensch versteinert zu einer Büste seiner selbst. Einer Büste, die zwar seine unvergängliche Bedeutung und Ehre unterstreicht, die aber gleichzeitig bloß ein Stück toter Stein ist.

Was geht aus all dem hervor? Daß Politik ein Bereich menschlicher Aktivität ist, der erhöhte Ansprüche an das moralische Gespür stellt, an die Fähigkeit zu kritischer Selbstbetrachtung, an eine wirkliche Verantwortung, an Geschmack und Takt, an die Fähigkeit, sich in die Seele anderer einzuleben, an den Sinn für Maß, für Demut. Sie ist eine Beschäftigung für besonders bescheidene Menschen. Für Menschen, die sich nicht betrügen lassen.

Alle, die behaupten, daß Politik eine schmutzige Sache sei, lügen. Politik ist einfach eine Arbeit, die nach besonders reinen Menschen verlangt, weil es bei ihr besonders leicht ist, sich moralisch zu beschmutzen. So leicht, daß ein wenig wachsamer Geist dies überhaupt nicht zu bemerken braucht. Ich weiß überhaupt nicht, ob ich zu diesen wachsamen Menschen gehöre. Ich weiß bloß, daß ich, da ich mein Amt annahm, zu ihnen gehören sollte.

Auszug aus der Dankrede Havels bei der Verleihung des Sonning-Preises, des höchsten dänische Kulturpreises. Die dänische Fassung hat Hannes Gamillscheg übersetzt.

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